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Die Culture and Free Thought Association (CFTA) und die Alianza por la Solidar versuchten seit 2016, Frauen zu helfen, die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt wurden. © Act!onaid

Wie können westliche Frauen für die Hamas demonstrieren?

Urs P. Gasche /  Es ist nachvollziehbar, gegen Israels Politik zu demonstrieren. Unverständlich ist, wenn sich Frauen für die Hamas einsetzen.

Wer die Vernichtungspolitik der israelischen Regierung mit Präsident Benjamin Netanyahu ablehnt, kann sich gegen die Politik Israels wenden, ohne die Hamas oder den palästinensischen Hamas-Staat zu unterstützen. Es fällt auf, dass manche Frauen sich direkt oder indirekt mit der Hamas solidarisieren und keine Kritik an der Politik der Hamas üben, obwohl sie wissen müssen, dass die fundamentalistische Hamas Frauenrechte mit Füssen tritt.

«Verstehen diese gebildeten Töchter des Wohlstands eigentlich, dass sie, wenn sie in Gaza, Teheran oder Kabul eine abweichende Meinung äussern oder wenn sie gar verkünden, dass sie ‹queer› oder ‹gay› sind, auf der Stelle Opfer eines ‹Ehrenmordes› würden?» Das fragte Phyllis Chesler am 8. Oktober in der «Emma».


Die Frauen unter der fundamentalistischen Hamas

Die Hamas stützt sich auf religiöse, politische und soziale Normen, welche die Frauen schwer diskriminieren. Die islamistische Ideologie schränkt das Leben der Frauen stark ein. 

Die gesetzlichen Vorgaben, die Frauen im Gazastreifen diskriminieren, sind stark durch die islamische Scharia sowie durch spezifische Regelungen der Hamas geprägt, die seit ihrer Machtübernahme 2007 das Gebiet regiert. Diese Vorgaben betreffen vor allem das Familienrecht, die Bewegungsfreiheit, die Bildungs- und Berufschancen sowie die öffentliche Ordnung. 

Im Folgenden einige der zentralen gesetzlichen Vorschriften und gesellschaftlichen Normen, die Frauen benachteiligen:

1. Scharia-basiertes Familienrecht

Das Familienrecht im Gazastreifen basiert auf der Scharia, welche in mehreren Aspekten die Rechte der Frauen gegenüber denen der Männer einschränkt:

– Ehe und Scheidung: Ein Mann kann die Ehe einseitig beenden, indem er die Scheidung (Talaq) ausspricht, während Frauen oft kompliziertere rechtliche Verfahren durchlaufen müssen, um sich scheiden zu lassen. Frauen müssen zudem oft finanzielle Ansprüche aufgeben, um eine Scheidung zu erhalten.

– Sorgerecht: Im Fall einer Scheidung erhält der Vater oft das gesetzliche Vormundschaftsrecht über die Kinder, insbesondere über Söhne, sobald diese ein bestimmtes Alter erreicht haben. Mütter dürfen in der Regel das Kind nur bis zu einem bestimmten Alter betreuen, bevor es dem Vater zugesprochen wird.

– Erbrecht: Frauen erhalten nach den Vorschriften der Scharia in der Regel nur die Hälfte dessen, was Männer erben. Eine Tochter erbt beispielsweise die Hälfte des Anteils eines Sohnes. Dies gilt auch für andere verwandtschaftliche Beziehungen.

2. Ausgeh- und Reisevorschriften

Obwohl es im Gazastreifen keine formalisierte gesetzliche Vorschrift zur Vormundschaft gibt, wie es sie beispielsweise in Saudi-Arabien gibt, existieren dennoch de facto Vorschriften, die Frauen in Abhängigkeit von männlichen Verwandten halten.

– Ausgehen: Das unbegleitete Flanieren unverheirateter Paare ist verboten. Eine spezielle Frauenpolizei überwacht die Einhaltung der Vorschriften.

– Reisen: Frauen, besonders jüngere Frauen, benötigen häufig die Zustimmung eines männlichen Verwandten (Vater, Bruder oder Ehemann), um den Gazastreifen zu verlassen. Diese Einschränkungen wurden durch die restriktive Politik der Hamas und die Kontrolle der Grenzen verstärkt.

3. Kleidervorschriften und öffentliche Ordnung

– Kopftuchpflicht: Die Hamas setzt die Einhaltung strenger islamischer Kleidervorschriften durch, insbesondere das Tragen des Hijabs (Kopftuch) und einer konservativen Kleidung in der Öffentlichkeit. Frauen, die sich nicht an diese Vorschriften halten, können von den Behörden und der Sittenpolizei verwarnt oder bestraft werden. 

– Geschlechtertrennung: In vielen öffentlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten und Freizeiteinrichtungen wird eine strikte Geschlechtertrennung durchgesetzt. Dies schränkt Frauen sowohl im Bildungsbereich als auch in ihrer gesellschaftlichen Teilhabe ein.

4. Gesetze zur öffentlichen Moral»

Die Hamas führte ausserdem Gesetze zur «öffentlichen Moral» ein, die Frauen besonders betreffen. Diese Gesetze beinhalten Vorschriften über das Verhalten von Frauen in der Öffentlichkeit, die Art der sozialen Interaktion zwischen den Geschlechtern und die Einhaltung religiöser Normen.

Lehrer dürfen nur Jungen unterrichten, Lehrerinnen nur Mädchen. 

Ein Militärgesetzbuch sieht harte Strafen für gleichgeschlechtliche Liebe vor: 100 Peitschenhiebe und bis zu einem Jahr Haft für Geschlechtsverkehr. Bei mehreren Partnern oder Partnerinnen drohen zusätzlich bis zu sieben Jahre Haft.

5. Einschränkungen im Arbeits- und Bildungsbereich

– Begrenzte Berufschancen: Obwohl Frauen im Gazastreifen theoretisch Zugang zu Bildung und Arbeit haben, sind sie in der Praxis oft in traditionellen Rollen gefangen. In öffentlichen Institutionen oder in höheren Positionen gibt es nur sehr wenige Frauen, da die Hamas eine konservative Vorstellung von Geschlechterrollen fördert.

– Sozialer Druck: Frauen, die Berufe ergreifen, die als «unweiblich» gelten oder die eine aktive Rolle in der Politik spielen wollen, sehen sich häufig starkem sozialen Druck ausgesetzt. Das schränkt ihre Karrierechancen und ihre öffentliche Präsenz stark ein.

6. Politische Unterdrückung

Frauen sind in der Politik stark unterrepräsentiert. Obwohl es keine expliziten gesetzlichen Vorgaben gibt, die ihre politische Teilhabe verbieten, behindern strukturelle und soziale Hürden ihre politische Beteiligung. Die Hamas fördert eine patriarchalische Auslegung des Islams, die Frauen von politischen Machtpositionen fernhält und ihre Teilnahme am öffentlichen Leben auf ein Minimum beschränkt.


Alle diese rechtlichen Vorgaben und sozialen Normen verwendet die Hamas, um ihre konservative und religiöse Ideologie durchzusetzen. Sie drängen Frauen in eine untergeordnete Rolle und entziehen ihnen grundlegende Rechte wie die freie Wahl in der Ehe, die Bewegungsfreiheit und die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.

Das ZDF zeigte vor zwei Jahren das Schicksal einer 19-jährigen Palästinenserin, der Männer verboten, im Ausland zu studieren:


Zitate aus der Charta der Hamas von 2017

«Die Islamische Widerstandsbewegung ist ein Zweig der Muslimbruderschaft in
Palästina [….] Die Grundstruktur besteht aus Muslimen, die sich Gott treu ergeben und ihn daher gebührend verehren, anbeten und ihm dienen […] Gott ist ihr Ziel, der Prophet ihr Vorbild, der Koran ihre Verfassung, der Dschihad ihr Weg und der Tod für Gott ihr hehrster Wunsch […] Die Frau im Haus oder in der Familie, die sich im Dschihad engagiert, sei sie nun Mutter oder Schwester, hat eine ganz besonders bedeutende Rolle in der Führung des Haushalts und der Unterweisung der Kinder in den moralischen Vorstellungen und Werten, die vom Islam abgeleitet sind, und in der Erfüllung der religiösen Pflichten, auf deren erwartete Rolle als Dschihad-Kämpfer vorzubereiten […] Frauen sollten unbedingt über ausreichende Kenntnisse und Verständnis in der Führung der Haushaltsangelegenheiten verfügen, denn sparsames Wirtschaften und das Vermeiden verschwenderischen Umgangs mit den Familieneinkünften sind unerlässlich, um auch unter widrigsten Umständen durchhalten zu können.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20130616um12_29_44

Frauen in Fundamentalisten-Staaten

Die Stellung und die Behandlung von Frauen sind ein starkes Indiz, wie fundamentalistisch ein Staat ist.

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4 Meinungen

  • am 15.10.2024 um 17:28 Uhr
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    Man muss sich bewusst sein, dass diese muslimischen Vorschriften auch bei uns – wenngleich christlich motiviert – bis in unsere jüngste Vergangenheit galten: Frauen gehörten an den Herd. Frauen hatten eine Kopfbedeckung zu tragen – wenn nicht ein Kopftuch, so doch einen Hut. Frauen konnten keinen Vertrag ohne Zustimmung des Mannes unterzeichnen. Frauen durften unter dem Rock kein Bein über dem Knöchel und sowieso nicht über dem Knie zeigen. Im Basler Bläsi-Schulhaus wurden die Trennwände zwischen Buben- und Mädchen-Trakten erst in den späten siebziger Jahren entfernt, wenngleich die Mauer zwischen beiden Pausenhöfen nach dem 2. Weltkrieg abgerissen wurde. Es gab in Basel ein Mädchengymansium! Das Stimmrecht für Frauen, die Vormundschaft der Männer – das alles ist noch zu jung, als dass es generell im Bewusstsein zumindest der Schweizer fest verankert ist – nicht zu sprechen von Muslimen hierzulande. Will man mit dem Finger auf andere Kulturen zeigen, so sollte man das wissen!

  • am 15.10.2024 um 19:06 Uhr
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    Das ist überhaupt kein Widerspruch. Möchten palästinensische Frauen und Mädchen lieber unter der Hamas leben oder unter einer israelischen 2000 Pfund Bombe sterben? Amerikanische Ärzte gehen jetzt von 120k Toten in Gaza aus, davon mindestens die Hälfte Frauen und Kinder. Wurden diese von Hamas oder Israel getötet? Im Übrigen protestieren westliche Aktivisten meistens nicht für die Hamas im engeren Sinne, sondern für palästinensische Menschenrechte und Unabhängigkeit. Kommt nach dazu, dass es ohne die israelische Besatzung gar nie zu einer Hamas gekommen wäre.

  • Pia Holenstein
    am 15.10.2024 um 20:10 Uhr
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    Das alles ist sehr klar: Eine abscheulich frauenfeindliche und menschenfeindliche Ideologie. Aber wo sind denn Frauen, welche für die Hamas demonstrieren? Ich sehe keine. – Vielleicht gibt es solche islamistische Bewegungen in Deutschland? – Es ist zu hoffen, dass man den pro-palästinensischen Demonstrant:innen keine Sympathie zur Hamas unterstellt. Für einen freien palästinensischen Staat zu sein, heisst sicher nicht, dass man eine solche Herrschaft will. Die langjährige Blockade und Abschottung haben die Macht der Extremisten gefördert.

  • am 15.10.2024 um 21:11 Uhr
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    Es ist richtig dieses Thema anzusprechen. Die Menschen unter israelischer Besatzung haben 2006 Hamas nicht deshalb gewählt, weil diese eine rückwärtsgewandte Ideologie, vertritt, sondern weil diese ihnen die einzige Hoffnung auf Befreiung vom Joch des täglichen israelischen Terrors in Aussicht stellte. Tatsächlich kann Hamas kein Bündnispartner für eine Solidaritätsbewegung sein, die sich an Menschen- und Völkerrecht orientiert. Unter ihrem zweifellos autoritären Regime, gab es aber immerhin christliche Glaubensgeneinschaften sowie linksradikale Organisationen und auch Teile der Fatah konnte noch immer eine begrenzte Rolle spielen. Stellt man sich die Frage, ob unter der von Israel bestimmten Hungerblockade des kleinen Küstenstreifens überhaupt so etwas wie eine demokratische Ordnung denkbar war und ob Religiosität nicht auch eine Reaktion auf Verzweiflung ist, lassen sich die politischen Verhältnisse dort, wenn auch nicht schönreden, doch immerhin nachvollziehen.

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