Beerdigung

In Deutschland starben gemäss den Berechnungen in den drei Pandemiejahren etwa 127’000 Menschen mehr als sonst. © Buurserstraat38 / Depositphotos

«Ein anderer Grund als die Impfung müsste gefunden werden»

Martina Frei /  Die Übersterblichkeit nahm von 2020 bis 2023 immer stärker zu – paradoxerweise umso mehr, je mehr geimpft wurde.

Der Versicherungsmathematiker Matthias Reitzner und der Psychologie-Professor Christof Kuhbandner haben die Übersterblichkeit in Deutschland und Österreich genauer analysiert (Infosperber berichtete).

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Herr Reitzner, Sie sind Professor für Mathematik. Wie kamen Sie dazu, die Übersterblichkeit während der Corona-Pandemie zu berechnen?

Seit etwa 200 Jahren verwenden Versicherungsmathematiker zur Berechnung der Übersterblichkeit ein Standardmodell. Dort wird unter anderem die Altersstruktur der Bevölkerung berücksichtigt, die steigende Lebenserwartung und der mehrjährige Trend bei den Sterbezahlen. Auch das deutsche Bundesamt für Statistik hat das immer so gemacht. 2020, also während der Pandemie, wechselte diese Behörde plötzlich auf eine andere, seltsame Berechnungsmethode. Diese neue Methode ignorierte völlig, dass in Deutschland jedes Jahr etwa 15’000 Personen mehr versterben als im Vorjahr. Das hat mich misstrauisch gemacht. 

Um die Über- oder Untersterblichkeit zu berechnen, vergleicht man die Anzahl der normalerweise erwarteten Todesfälle mit der realen Anzahl Verstorbener. Wie veränderte sich das Ergebnis, wenn man diese übliche, jährliche Zunahme an Todesfällen nicht mehr berücksichtigte?

Dadurch sank die Anzahl der erwarteten Todesfälle um etwa 30’000 bis 40’000. Die Differenz zwischen den erwarteten und den beobachteten Todesfällen vergrösserte sich. Somit fiel die errechnete Übersterblichkeit deutlich höher aus. 

Das Bundesamt hat mit der neuen Berechnungsmethode also eine viel höhere Übersterblichkeit errechnet, als es mit der altbewährten Berechnungsmethode der Fall gewesen wäre?

Ja.

Zur Person

Professor Dr. techn. Matthias Reitzner
Professor Dr. techn. Matthias Reitzner

Professor Dr. techn. Matthias Reitzner (58 J.) studierte Technische Mathematik an der TU-Wien, danach Versicherungsmathematik und ist anerkannter Aktuar (Versicherungsmathematiker). Nach Aufenthalten in Freiburg und Salzburg wurde er 2009 auf den Lehrstuhl für Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik an der Universität Osnabrück berufen und leitet seit 2011 das Institut für Mathematik an der Universität Osnabrück. Der gebürtige Österreicher ist gegen alles geimpft und wollte sich auch gegen Covid-19 impfen lassen – bis er gesehen habe, «dass es in Deutschland im Jahr 2020 allen aufgeregten Meldungen zum Trotz keine Übersterblichkeit gab, und dann ab Mitte 2021 die Aufforderung zum Impfen in einem unfassbar ausgrenzenden Ton vorgetragen wurde, der an dunkle Zeiten in Deutschland erinnerte». Seitdem beschäftigt sich Reitzner kritisch mit der Übersterblichkeit während der Pandemiejahre.

Mit welcher Begründung wurde auf die in Ihren Augen «seltsame», neue Berechnungsmethode gewechselt?

Die frühere Methode sei zu kompliziert, hiess es plötzlich. Durch eine parlamentarische Anfrage kam später aber heraus, dass das statistische Bundesamt die altbewährte Methode gar nicht aufgegeben hatte, sondern im Hintergrund weiterführte. Die Ergebnisse dieser Berechnungen wurden an den offiziellen Pressekonferenzen während der Pandemie aber nicht mitgeteilt. Inzwischen ist das statistische Bundesamt wieder zur früheren Methode zurückgewechselt.

Kennen Sie weitere Beispiele für Übersterblichkeitsberechnungen, die aus Ihrer Sicht falsch sind?

Ganz absurd sind die Schätzungen der WHO. Das ist mathematischer Unfug – ein Lacher unter den Versicherungsmathematikern. Grober mathematischer Unfug war auch eine Studie in «The Lancet Respiratory Medicine», die kürzlich durch die Medien ging. Dort wurde berechnet, wie viele Menschenleben die Covid-Impfungen direkt gerettet haben. 

Medien berichteten gross über diese Studie. Ihr zufolge haben die Corona-Impfungen allein in Europa bis März 2023 schätzungsweise 1,6 Millionen Menschen das Leben gerettet. Was soll an dieser Studie «Unfug» sein?

Wenn man die Berechnungen dieser Autoren ernst nimmt, dann müssten in Europa mindestens 4,5 Milliarden Menschen leben. Das ist völlig unplausibel, denn es sind rund 740 Millionen. Ausserdem gehen die Autoren von unrealistischen Annahmen aus, zum Beispiel, dass die schützende Wirkung der Covid-Impfung viel länger anhält als dies der Fall ist. Sie legten bei Covid-19 eine Sterblichkeitsrate zugrunde, die rund 100-fach zu hoch gegriffen ist. Und die zugrunde liegende Formel ist Quatsch: selbst wenn hypothetisch alle geimpften Menschen in Europa direkt nach der Impfung mit Arsen vergiftet und gestorben wären, kommt mit den Berechnungen dieser Studie heraus, dass die Covid-Impfungen Menschenleben gerettet haben.

Wie hoch war die Übersterblichkeit in Österreich bzw. Deutschland im Zeitverlauf der drei Pandemiejahre, verglichen mit früheren Jahren?

Was die Sterblichkeit betrifft, war 2020 für Deutschland ein völlig normales Kalenderjahr, so normal, wie es nur sein kann. In Deutschland kommt es bei den Todesfällen zu jährlichen Schwankungen von plus/minus 25’000, das ist die übliche Schwankungsbreite. 2020 kam es in Deutschland zu 4000 Todesfällen mehr, als wir erwartet hätten. Das lag also völlig im normalen Bereich. 

Das betrifft aber das Kalenderjahr. Damit sich die winterlichen Infektionswellen nicht auf zwei Kalenderjahre verteilen, haben Sie nicht in Kalenderjahren gerechnet, sondern in «Pandemiejahren». Ein «Pandemiejahr» dauerte jeweils von April bis zum März des Folgejahres. Wie stellt es sich dar, wenn man das «Pandemiejahr» von April 2020 bis März 2021 betrachtet?

Dann errechnen wir eine Übersterblichkeit von etwa 22’000 Todesfällen. Das ist vergleichbar einem sehr schweren Grippejahr. 

Wie ging es weiter?

Im zweiten Pandemiejahr sind in Deutschland etwa 27’000 Menschen mehr gestorben, als zu erwarten war. Und im dritten Pandemiejahr sind die Todeszahlen mit fast 78’000 Toten völlig plötzlich emporgeschnellt. Das sind erschreckend viele. So etwas haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gesehen. Im dritten Pandemiejahr sind in Deutschland viel mehr Menschen verstorben als im ersten und zweiten Pandemiejahr zusammen. 

Waren das alles Covid-Todesfälle?

Nein. In Deutschland sind gemäss unseren Berechnungen in den drei Pandemiejahren etwa 127’000 Menschen mehr verstorben als sonst. Die meisten davon – es waren schätzungsweise mindestens 85’000 – starben nicht an Corona. Diese Todesfälle verteilen sich auf alle Altersgruppen.

Grafik Übersterblichkeit / Covid-Todesfälle Deutschland Pandemiejahre
Die Übersterblichkeit (rote Balken) wurde mit jedem Pandemiejahr grösser. Der Anteil der Covid-Todesfälle an der Gesamtsterblichkeit (braune Balken) nahm mit jedem Pandemiejahr ab.

Warum wissen Sie, dass diese Menschen nicht an Corona verstorben sind?

In Deutschland wurden im ersten Pandemiejahr über 78’000 Covid-Todesfälle registriert, bei einer Übersterblichkeit von rund 22’000 Todesfällen. Das heisst, dass 72 Prozent der Personen, die an Covid verstarben, im gleichen Zeitraum vermutlich an etwas anderem verstorben wären, oder dass sie an etwas anderem gestorben sind, jedoch wegen eines positiven Tests «mit» Corona starben. Im dritten Pandemiejahr dagegen gab es dann offiziell nur noch vergleichsweise wenig Covid-Todesfälle. Doch die Übersterblichkeit ist explodiert.

Sie haben auch die Zahlen von Österreich analysiert. Mit welchen Ergebnissen?

In Österreich führte schon das erste Pandemiejahr zu einer enormen Übersterblichkeit: rund 7000 Tote mehr als zu erwarten gewesen wären. Im zweiten Pandemiejahr waren es noch mehr, rund 7600. Und im dritten Pandemiejahr stieg die Übersterblichkeit überraschend weiter, auf circa 8100 Todesfälle mehr als zu erwarten gewesen wären. 

Waren das alles Covid-Todesfälle?

Nein. Sowohl in Österreich als auch in Deutschland war die Anzahl der Covid-Todesfälle in den ersten beiden Pandemiejahren viel höher als die Übersterblichkeit. 

Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Übersterblichkeit und der Anzahl positiver Covid-Tests?

Ja und Nein. Am Anfang war die Übersterblichkeit zu den Zeiten besonders hoch, als es auch viele positive Coronatests gab. Vor allem im dritten Pandemiejahr fanden wir diesen Zusammenhang aber nicht mehr, obwohl in Deutschland bis Ende 2023 massiv getestet wurde. 

Kann es sein, dass die Tests im dritten Pandemiejahr viele Infektionen nicht mehr erfasst haben?

Das wäre eine mögliche Erklärung. Aber offizielle Stellen haben immer gesagt, dass die Tests die Infektionen erkennen. Alle Massnahmen bauten ja darauf auf, dass die Tests funktionieren. Auf den Ergebnissen der Tests beruhte die Politik mit den Massnahmen und «3G».

Hatten die angeordneten Massnahmen einen Einfluss auf die Übersterblichkeit? 

Nein. In Deutschland gab es einen offiziellen «Massnahmenindex» von 0 bis 10. Je strenger die Massnahmen in einem Bundesland waren, desto mehr Punkte gab es in diesem Index. Diesen Index haben wir für jedes Bundesland  mit Bezug auf die Übersterblichkeit ausgewertet. Das Ergebnis war, dass es für die Übersterblichkeit keinen Unterschied machte, ob die Massnahmen streng waren oder nicht. Das hat mich wirklich überrascht.

Es spielte also keine Rolle, ob der Bevölkerung viele strenge Massnahmen auferlegt wurden oder nur wenig? 

Genau. Zu diesem Schluss kommt übrigens auch eine Studie in «The Lancet Regional Health – Europe». Wir wissen allerdings nicht, ob sich die Bevölkerung in allen Bundesländern gleichermassen an diese Massnahmen hielt. 

Die Massnahmen waren immer dann besonders streng, wenn eine heftige «Corona-Welle» viele Krankheitsfälle verursachte. Sie sollten helfen, dass die Spitäler nicht überlastet werden und dass die Sterblichkeit möglichst tief bleibt. Zeigen Ihre Ergebnisse nicht indirekt, dass dieses Ziel erreicht wurde?

Wir haben uns in unseren Untersuchungen auf die Sterbefälle konzentriert und die Belegzahlen der Spitäler nicht untersucht. Im ersten Pandemiejahr ist die Übersterblichkeit tatsächlich erfreulich gering. Es ist jedoch keine negative Korrelation zwischen der Strenge der Massnahmen und der Übersterblichkeit erkennbar, was ich bei effektiven Massnahmen gegen eine gefährliche Krankheit erwarten würde. Im Gegenteil zeigt sich im ersten Jahr sogar der Effekt, dass die Übersterblichkeit höher war, wenn die Massnahmen strenger waren. Aber dieser Zusammenhang ist nicht besonders stark. [Anm. d. Red. – negative Korrelation bedeutet: Je strenger die Massnahmen, umso geringer die Übersterblichkeit.]

Wie war der Zusammenhang zwischen Übersterblichkeit und den verabreichten Impfdosen in den deutschen Bundesländern? 

Im Allgemeinen war es so, dass die Übersterblichkeit geringer war, wenn mehr geimpft wurde. Das war im ersten und im zweiten Pandemiejahr so.

Also ist das ein klarer Beweis für die Wirksamkeit der Impfungen?

Nein, da muss man aufpassen. Wir können nichts zur Kausalität aussagen, wir stellen einzig Zusammenhänge fest. Und da gibt es zwei Punkte, die zu denken geben: Erstens gab es einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen der Anzahl der Impfungen, die im zweiten Pandemiejahr verabreicht wurden, mit der Übersterblichkeit im ersten Pandemiejahr, als es noch fast keine Covid-Impfungen gab. 

Eine Impfung, die noch gar nicht existierte, kann doch nicht die Übersterblichkeit beeinflusst haben?

Eben, das kann nicht sein. Und trotzdem findet man rechnerisch einen starken Zusammenhang. Daraus kann man schliessen, dass es eine dritte Einflussgrösse oder sogar mehrere Faktoren gegeben haben muss, die da hineingespielt haben. 

Und der zweite Punkt?

Im dritten Pandemiejahr drehte es sich um: In den deutschen Bundesländern, in denen besonders viel gegen Covid geimpft wurde, starben nun viel mehr Menschen: Bundesländer, die viel impften, hatten im dritten Pandemiejahr die höchste Übersterblichkeit. Diese Übersterblichkeit lässt sich mit den Covid-Todesfällen nicht erklären, denn im dritten Pandemiejahr gab es vergleichsweise nur noch wenige Covid-Tote. Drei Viertel der Übersterblichkeit gingen im dritten Pandemiejahr auf andere Todesursachen zurück. 

Könnte es daran gelegen haben, dass in den Bundesländern, in denen wenig geimpft wurde, schon viele Menschen durch eine Corona-Infektion immun waren und deshalb auf die Covid-Impfung verzichteten?

In den Bundesländern, in denen es im ersten Pandemiejahr viele Covid-Infektionen gab, wurde tatsächlich weniger geimpft. Und in Bundesländern mit anfangs wenig Covid-Infektionen wurde mehr gegen Covid geimpft. Warum dies so war, ist mir unklar und kann durch unsere statistischen Studien nicht erklärt werden. Eventuell haben die Menschen erwartet, dass die überstandene Infektion mehr schützt als die Impfung. Aber unabhängig davon, warum das so war, sollte eine wirksame Covid-Impfung dazu führen, dass die Übersterblichkeit dort, wo mehr geimpft wurde, weniger stark steigt als dort, wo wenig geimpft wurde.

Konnten Sie das bestätigen?

Nein, im Gegenteil: In den deutschen Bundesländern, in denen mehr gegen Covid geimpft wurde, stieg die Übersterblichkeit sogar stärker an.

Die Grippeimpfung hatte in den letzten Jahren eine relative Wirksamkeit von 30 bis 40 Prozent, eine US-Studie schätzte die relative Wirksamkeit des auf die Omicron-Variante angepassten, ab Herbst 2022 eingesetzten Covid-Impfstoffs auf 4 bis 29 Prozent. Angenommen, die Covid-Impfung habe nur einen relativen Schutz von vielleicht 30 Prozent gehabt, zumindest im dritten Pandemiejahr. Nehmen wir weiter an, die Corona-Tests hätten nicht alle Covid-Erkrankungen erfasst. Nehmen wir ferner an, es sei infolge der Covid-Infektion bei manchen Menschen Wochen oder Monate später zu tödlichen Herzinfarkten oder anderen Todesfällen gekommen. Auch nach einer «gewöhnlichen» Lungenentzündung sonst kann die Sterblichkeit – insbesondere bei älteren Menschen – ja noch ein Jahr lang erhöht sein. Dazu kamen andere Infekte wie die Grippe, die wieder verstärkt auftraten. Könnte diese Mischung aus verschiedenen Faktoren Ihre unerwarteten Befunde erklären?

Es könnte natürlich sein, dass die Impfung im Wesentlichen wirkungslos war und die Tests sehr ungenau. Dann würde dies aber noch immer nicht erklären, wieso überall dort, wo mehr geimpft wurde, plötzlich die Sterblichkeit ansteigt – wenn nicht die Impfung selbst einen verheerenden Einfluss auf den allgemeinen Gesundheitszustand der Geimpften hatte. Nur dann könnten tatsächlich bei unerkannten Corona-Infektionen, Lungenentzündungen und schweren Grippeverläufen vermehrt Todesfällen unter Geimpften auftreten.

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➞ Lesen Sie demnächst Teil 2 dieses Interviews.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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