bauland

Fluch oder Segen? Luftaufnahme von verbautem Land. © cc-by oiramn, Depositphotos

Bauland ist der Ressourcen-Fluch der Schweiz

Werner Vontobel /  Die Geschichte lehrt: Bodenschätze und andere Ressourcen können ein Land arm machen. Bauland ist auch ein Bodenschatz. 

Ökonomen reden vom Fluch der Ressourcen und meinen damit die Tatsache, dass rohstoffreiche Länder meist arm bleiben, nämlich dann, wenn der Umgang mit einer Ressource nicht so geregelt wird, dass der soziale Frieden gewahrt bleibt.  

In seinem neuesten Buch geht der Ökonom Paul Collier der Frage nach, unter welchen Umständen Bodenschätze doch zu breit verteiltem Wohlstand führen. Seine Antwort: Erstens hohe Steuern auf den Erträgen. Zweitens: gute Entschädigung für die vom Abbau Betroffenen. Drittens: Die Steuereinnahmen müssen zum Wohle aller verwendet werden. Collier gibt ein Zahlenbeispiel: Wenn ein Fass Erdöl 90 Dollar einbringt und sich sämtliche Kosten der Förderung inklusive Gewinnmarge auf 22 Dollar belaufen, dann erhält die Ölgesellschaft 22 und der Staat kassiert als Ressourcenrente 68 Dollar. Für Collier ist klar, dass Bodenschätze dem Staat gehören und nicht den privaten Landbesitzern. 

Übertragen auf die Ressource «Bauland» entspricht die Bruttomiete dem Preis für das Fass Erdöl. Der Bau, der Unterhalt und die Verwaltung von Mietwohnungen entspricht den Förderkosten und die 68 Dollar sind die Boden- oder Lagerente – das, was der Mieter wegen der guten Lage mehr zu zahlen bereit ist. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass «normale» Bodenschätze dem Staat gehören, während es beim Bauland meist so geregelt wird, dass der private Grundbesitzer die Bodenrente allein kassiert. Und anders als etwa bei Erdöl wird die Ressourcenrente nicht exportiert, sondern statt vom Ausland von den Einheimischen bezahlt.

Im Sinne von Collier liegt nun die Vermutung nahe, dass die Ressource Bauland bei diesem Arrangement vom Segen zum Fluch werden kann. Ist das so?

Wie vor der französischen Revolution

Dazu ein Zitat: Es stammt aus dem Bericht der «Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung» 1977: «Liesse der Gesetzgeber der Tendenz zu einer wachsenden Konzentration der Verfügungsmacht über grosse Teile des schweizerischen Grundeigentums völlig freien Lauf, so würde sich wie vor der französischen Revolution, eine «tote Hand» privater Vermögens- und Grundeigentums-Konzentrationen bilden. Dadurch würde die private Eigentumsordnung zwangsläufig mehr und mehr in Misskredit geraten, und die Kräfte, die auf tiefgreifende Strukturänderungen hinarbeiten, würden Auftrieb erhalten. Die grundsätzlich liberale Eigentumsordnung und freie Marktwirtschaft können kein Interesse daran haben, dass sie an ihren eigenen Auswüchsen zugrunde gehen.»

Das war 1977. Damals konnten sich CEOs wie der Raiffeisen-Chef noch nicht mehrere Luxusresidenzen leisten, die «Sonntagszeitung» interviewte noch keine Immobilienmaklerinnen, deren Kunden mindestens drei Parkplätze, einen Swimmingpool und pro Schlafzimmer eine Nasszelle fordern und dafür gerne auch mal 4 oder 21 Millionen Franken zahlen, wovon die Maklerin zwei bis drei Prozent kassiert. Rechne! 

Damals konnte man das für eine 4-Zimmerwohnung benötigte Grundstück noch für einen halben Jahreslohn erwerben. Heute kosten die ersten zehn auf Homegate angebotenen 4-Zimmerwohungen in der Stadt Zürich im Schnitt 2,47 Millionen oder gut 20’000 Franken pro Quadratmeter. Sind das vielleicht Auswüchse, an denen eine liberale Gesellschaft zugrunde gehen kann?

Zur guten Lage tragen alle bei – doch nur einer kassiert

Um zu verstehen, warum das so ist oder kommen konnte, müssen wir uns zuerst die Ressource Bauland beziehungsweise gute Lage genauer anschauen. Wie kommt sie zustande? Wer «produziert» sie? Alle wirtschaftlichen Tätigkeiten, Wohnen, Arbeiten und Konsumieren brauchen Platz und einen Ort. Dazwischen sind die Verkehrswege. Sie verursachen finanzielle und zeitliche Kosten. Die gute Wohnlage ist da, wo die Transportkosten am geringsten sind, wo alles nahe beieinander liegt – der Arbeitsplatz, die Schulen, Spitäler, Verkehrsinfrastruktur, Läden, Kneipen und so weiter. Jeder, der an einem Ort wohnt, arbeitet, ein Geschäft eröffnet oder dort einkauft, trägt zur Qualität der Lage bei. Sie ist ein Gemeinschaftsprodukt oder – wie die Ökonomen sagen – ein Clubgut.

Um den Wert ihres Guts zu wahren und zu mehren, müssen sich die Clubmitglieder organisieren: Sie müssen Schulen für ihre Kinder bauen, sie brauchen Parks, Schwimmbäder, Verkehrsverbindungen, Polizei, die für die Sicherheit sorgt, Kehrichtabfuhr. Kurz: Es braucht einen Staat, der für seine Leistungen Steuern einziehen muss. Diese Steuern sind der Preis für die gute Lage und die damit verbundenen Annehmlichkeiten. Doch nun kommt das Problem: In diesem «Club der guten Lage» gibt es zwei Sorten von Mitgliedern – die vielen Mieter und die wenigen Grundbesitzer. Nur sie können nach den geltenden Regeln Anspruch auf die (gemeinsam geschaffene und finanzierte) Lagerente erheben. Das geht nur solange gut, als diese Rente relativ bescheiden bleibt.

Doch die Zeit der Bescheidenheit ist vorbei: Laut Newhome gilt heute die in der Schweiz anerkannte Faustregel, dass ein Mieterhaushalt nicht mehr als ein Drittel des verfügbaren Bruttoeinkommens fürs Wohnen ausgeben soll. Das «Immomonitoring 2024» von Wüest Partner sagt, dass heute schon 28 Prozent aller Haushalte mehr als einen Drittel ihres Einkommens für die Miete aufwenden, wenn sie eine gleichwertige Wohnung suchen oder suchen müssen. Gemäss der Statistik der Haushaltseinkommen belaufen sich aber die rein volkswirtschaftlichen Kosten des Wohnens nur auf etwa zehn Prozent der Einkommen. Wenn ein Mieterhaushalt heute also nur schon ein Viertel des Einkommens für die Miete bezahlen muss, kassiert der Vermieter eine Bodenrente von 15 Prozent. 

Gewaltige Umverteilung

Das führt zu einer enormen Umverteilung. Dazu ein Zahlenbeispiel:  Angenommen, von je zehn Clubmitgliedern mit anfänglich gleichem Einkommen ist einer der Bodenbesitzer und die anderen neun müssen ihm, als Mieter, eine Bodenrente von besagten Prozent ihres Einkommens entrichten. Dann sinkt das Einkommen (nach Bodenrente) der Mieter auf 85 Prozent, während das des Eigentümers auf 235 Prozent steigt. In der Praxis sieht es etwa so aus: «Meine Mutter», so ein Leserbrief im «Blick», «vermietet an bester Lage in Bern Wohnungen. Die Nettomieteinnahmen pro Wohnung sind 1700 Franken. Sie hat dadurch mehr passives Einkommen als ihre drei Söhne, die alle Akademiker sind und gut verdienen.» Gesamtschweizerisch summiert sich dieses passive Einkommen inzwischen auf mehr als 80 Milliarden Franken jährlich.

Aber damit nicht genug: Die Bodenbesitzer entscheiden auch darüber, wer Mitglied des Clubs werden kann und sie haben ein Interesse daran, arme Mitglieder durch reiche zu ersetzen. Das ist zum Beispiel immer dann möglich, wenn der Vermieter das tut, was heute als das beste Rezept gegen die Wohnungsnot gilt: Aufstocken! Tut der Vermieter das, kann er im Normalfall etwa 30 Prozent mehr Wohnraum zu 40 Prozent höheren Mieten verkaufen. Die Altmieter müssen sich dann entweder eine neue Bleibe suchen, oder den Gürtel enger schnallen. Was die Autoren des Verfassungsentwurfs geahnt haben, ist bald 50 Jahre danach traurige Realität geworden.

Da ist zuerst einmal der soziale Aspekt: Ein stabiles Wohnumfeld ist für unser Wohlbefinden weit wichtiger als ein hohes Einkommen. Immer mehr Leute müssen in entfernte Vororte ziehen, sie verlieren ihr soziales Umfeld, stecken immer länger im Stau und müssen obendrein noch hohe Such- und Umzugskosten in Kauf nehmen. Kommt dazu, dass der Volkswirtschaft viel Kaufkraft entzogen wird.

Ohne Bodenrente könnten die Mieter monatlich etwa 1500 Franken mehr für Konsum ausgeben. Im Interview mit der NZZ am Sonntag hat Globus-Chef Franco Sevastano den stagnierenden Absatz damit begründet, dass die Kunden mehr für das Wohnen ausgeben müssen. Und die Preise im Globus könnten tiefer sein, wenn das Warenhaus nicht seinerseits 18 Millionen Miete bezahlen müsste. 

Gesucht: Eine intelligente Regulierung des Baulands

Der Bodenbesitz ist also offenbar unintelligent reguliert. Wie könnte dieser Fehler korrigiert werden? Der Verfassungsentwurf von 1977 sah unter anderem vor, dass der Staat für «eine gerechte Umverteilung des Bodenwertzuwachses zu sorgen» habe, dass er «sozial schädliches Gewinnstreben bekämpfen» und dafür sorgen solle, dass «jedermann eine angemessene Wohnung zu tragbaren Bedingungen finden kann». 

Davon steht in der aktuell geltenden Verfassung leider nichts mehr. Aber im Artikel 269 des geltenden Obligationenrechts steckt ein kleiner Hoffnungsschimmer. Da heisst es: «Mietzinse sind missbräuchlich, wenn damit ein übersetzter Ertrag aus der Mietsache erzielt wird, oder wenn sie auf einem offensichtlich übersetzten Kaufpreis beruhen.» 

Im Artikel 269a wird ferner sinngemäss präzisiert, dass ein Kaufpreis «in der Regel» dann nicht als übersetzt gelte, wenn die daraus resultierenden Mieten «orts- oder quartierüblich» seien. Dabei stellt sich aber heute die Frage, ob eine Miete oder ein Mietzinsniveau «quartierüblich» sein kann, wenn es dazu führt, dass sich die für das Quartierleben unerlässlichen Dienstleister wie Lehrer, Kita-Mitarbeiter, Coiffeure, Feuerwehrleute et cetera ein Leben im Quartier nicht mehr leisten können.

Darf «quartierüblich» zugleich «quartierschädlich» sein? Verneint ein Miet- oder letztlich gar das Bundesgericht diese Frage, könnten alle nicht quartierverträglichen Mieten angefochten werden. Oder die Vermieter könnten zum Beispiel dazu verpflichtet werden, 70 Prozent ihrer Wohnungen zu quartierverträglichen Mieten anzubieten. Mit der Folge, dass auch die Bodenpreise entsprechend auf ein quartierverträgliches Niveau sinken würden.

Vorkaufsrecht des Staates kann die Miete halbieren

Zweite Möglichkeit: Ein Vorkaufsrecht des Staates, wie es eine im Kanton Zürich lancierte Volksinitiative fordert. Das eröffnet neue Perspektiven: Die Stadt Zürich kann sich zu 0,7 Prozent verschulden. Zu diesem Zins (plus dem üblichen Kostenansatz von 3,25 Prozent des Gebäudeversicherungswerts von 450’000 Franken) kann sie eine für 1,5 Millionen Franken erworbene 4-Zimmerwohnung kostendeckend für 2100 Franken vermieten. Bei einem privaten Vermieter wäre selbst eine doppelt so teure «Kostenmiete» immer noch mietrechtskonform. Kauft der Staat viele Wohnungen, werden seine Mieten allmählich zum Richtwert und die Baulandpreise müssten entsprechend sinken.

Das gefällt dem Hauseigentümerverband natürlich gar nicht. Er betrachtet das als einen systemwidrigen Eingriff in die Marktwirtschaft. Vermutlich wird er sich mit seiner Sicht der Dinge noch einmal durchsetzen. Nach seiner Logik ist letztlich allen geholfenwenn wir Bauland als ganz normales Gut betrachten und den Markt spielen lassen. Doch der Markt funktioniert eben nur deshalb und nur dann zum Wohle aller, wenn der Wettbewerb dazu führt, dass der preis- und kostengünstigste Produzent den Preis bestimmt. Doch Bauland kann nun mal nicht preisgünstig produziert werden.

Behandeln und regulieren wir Bauland dennoch so, als wäre es ein Marktgut, spalten wir damit die Gesellschaft und entziehen der Wirtschaft die Kaufkraft. Doch diese simplen Zusammenhänge sind noch nicht ins kollektive Bewusstsein vorgedrungen. Auch das gehört zum Fluch der Ressourcen.

Wenn eine Minderheit ihren Anspruch auf eine Ressource erst einmal durchgesetzt hat, fliessen ihr auch die nötigen Mittel zu, ihr Narrativ durchzusetzen und ihren «Besitz» zu verteidigen. Der Sieger legt die Regeln der Ökonomie neu aus. Er schreibt die Geschichte – bis wir von ihr eingeholt werden.

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4 Meinungen

  • am 15.10.2024 um 11:15 Uhr
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    Warum die Beschränkung auf das BAUland? Der Boden mit all seinen Ressourcen ist generell ein Allgemeingut. Doch diskutieren Sie einmal die Verstaatlichung des Bodens, Sie werden geteert und gefedert.

  • am 15.10.2024 um 12:32 Uhr
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    Hervorragender Beitrag! Sollte zum Schul-Pflichtstoff werden. Einzig der gleichsetzende Gebrauch der Begriffe «Besitz» und «Eigentum» stört mich.
    Warum wohl heisst der Hauseigentümerverband so und nicht Hausbesitzerverband? Besitz ist eben nicht gleich Eigentum. Umgangssprachlich werden die Begriffe zwar gleichgesetzt, aber einem solch guten Artikel hätte etwas mehr «Wortklauberei» nicht geschadet.

  • am 15.10.2024 um 12:53 Uhr
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    Zusammengefasst: die Schweizer Politik hat seit 1977 nichts dazugelernt und der Krug liegt beim austrocknenden Brunnen am zerbrechen.

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