Neophyten-Bekämpfung à la SBB
Die SBB reagierten im Sommer ziemlich giftig auf die Kritik der jurassischen Landwirtschaftskammer (Infosperber berichtete im Juli darüber). Die Bauernvertreter hatten sich darüber beschwert, dass die SBB die Gelder zur Bekämpfung der Neophyten gekürzt hätten.
Die SBB hielten fest: «Fakt ist: Die SBB gehen in der Grünpflege gezielt vor.» Und listeten ihre Fünf-Punkte-Strategie auf:
- Ausbreitung von gesundheitsgefährdenden Arten verhindern.
- Ausbreitung von bahntechnisch problematischen Arten eindämmen.
- Bekämpfung von Neophyten in Naturschutzgebieten, auf Auflagefläche und Biodiversitätsflächen.
- Ausbreitung des schmalblättrigen Greiskrauts eindämmen.
- Teilnahme an kantonalen und kommunalen Bekämpfungskonzepten.
Gleichzeitig gaben die SBB aber zu, dass die Punkte 3 bis 5 nicht mehr gälten. Oder anders gesagt: Die jurassische Landwirtschaftskammer lag mit ihrer Kritik richtig. Sie ist verärgert darüber, dass die Bauern Kürzungen bei den Direktzahlungen riskieren, wenn sie die Neophyten-Bekämpfung vernachlässigen. Dass aber die SBB keine Konsequenzen zu fürchten haben.
Mannshohe Goldruten
Was die vernachlässigte Neophyten-Bekämpfung für Folgen hat, zeigt sich zum Beispiel in Wagenhausen TG. Dort wuchern am Bahndamm mannshohe Goldruten. Ein Anwohner berichtete in der Radio-Konsumentensendung «Espresso» davon. Sein Haus und sein Garten stehen direkt am Bahndamm. Er ärgert sich: «Der Bund lanciert Kampagnen, damit wir Privaten die Neophyten ausreissen. Und die SBB als Bundesbetrieb lassen sie wachsen.»
Der Hörer hatte sich, bevor er sich bei der Radiosendung meldete, an die SBB gewandt. Deren Antwort: «Aus Spargründen wurde beschlossen, dass verschiedene SBB-Strecken dieses Jahr nicht gemulcht oder gemäht werden und auch keinerlei Neophyten-Bekämpfung stattfindet.»
Auch der Wagenhausener Gemeinderat Markus Nyffeler – er ist der Umweltverantwortliche der Gemeinde – hat kein Verständnis: «Wenn wir vom Kanton aufgefordert werden, Neophyten zu bekämpfen – dann fehlt uns das Verständnis dafür, dass sich die SBB einfach aus der Verantwortung stehlen können.»
Gemeinde darf nicht bis ans Gleis
Der Gemeinderat zog in Betracht, die Neophyten am Bahndamm von seinen eigenen Angestellten bekämpfen zu lassen. Er liess es aber bleiben. Denn, so Nyffeler: «Die Sicherheitsvorschriften lassen es nicht zu. Wir müssten fünf Meter vom Gleis entfernt bleiben. Und hier sieht jeder, dass wir rund zwei Drittel stehen lassen müssten, weil wir nicht näher ans Gleis gehen dürfen. So brächte der ganze Aufwand gar nichts.»
Gegenüber «Espresso» reagierten die SBB mit Ausflüchten: «Es ist nicht so, dass wir uns gar nicht an den Aufruf des Bundes halten. Wir unterhalten unsere Grünflächen natürlich gezielt und wir bekämpfen invasive Neophyten nach den gesetzlichen Vorgaben. Aber der Fokus liegt auf Massnahmen, die für die Sicherheit und die Zuverlässigkeit des Bahnbetriebs sorgen.»
Die SBB bekämpfen invasive Neophyten? In Wagenhausen sieht es nicht danach aus.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Dem sagt man SPAREN AM FALSCHEN ORT.
Auf Grund eines statischen Natur-Unverständnisses, dem Frust über das eigene Ungenügen im Natur- und Umweltschutz wird eine Ideologie kreiert, die die vermeintliche Kategorie «einheimisch» als wertvoll hochstilisiert und alle anderen Pflanzenarten als «fremdländisch», «nicht-einheimisch» oder gleich als «schädlich» herabsetzt. Damit wird ein nicht vorhandener Werte-Unterschied instrumentalisiert. Dass die Biodiversität in der Schweiz in den letzten 200 Jahren massiv abgenommen hat und die Schweiz im Naturschutz inzwischen europaweit auf hintere Plätze abgerutscht ist, kann dabei wunderbar vertuscht werden. Die SBB setzen – wenn wir der Wahrheit und nicht einer xenophoben Ideologie verpflichtet bleiben wollen – die Prioritäten richtig!
Der Bahndamm in Wagenhausen sieht sehr schön. Ich beobachte immer wieder die sehr zahlreichen Insekten an den Goldruten auch in anderen Gegenden. Sie ist eine der Pflanzen die am Bahndamm, also ein vom Menschen gestörter und oft mit Chemikalien belastetem Untergrund, noch wachsen kann. Die «fremdländischen» Neophyten wachsen vor allem auf Industriebrachen, verseuchten Böden etc., wo die meisten anderen Pflanzen nicht mehr gedeihen. Entgegen den Behauptungen, Neophyten verdrängten die «einheimischen» Pflanzen scheint es eher so zu sein, dass die Lebensbedingungen für viele einheimische Pflanzen zerstört wurden und nun die Natur sehr robuste Pflanzen, die mit der Verwüstung umgehen können, wachsen lässt. Diesen Prozess rückgängig zu machen, läuft darauf hinaus, gegen die Natur anzukämpfen. Es wäre an der Zeit, anstatt blossen Annahmen Glauben zu schenken fundierte Langzeitstudien bezüglich den Zusammenhängen in der Naturt durchzuführen.
Vielen Dank für die Kommentare von Herrn Scheibler und Herrn Horlacher. Der Kampf gegen das fremde ist in einer globalisierten Welt ein Kampf gegen Windmühlen. Mir ist bisher auch keine Studie bekannt, die belegt das hier in Mitteleuropa Pflanzen- oder Tierarten durch Neubürger zum aussterben gebracht wurden.
Jede spätblühende Traubenkirsche ist eine Bereicherung für das Ökosystem im Brandenburger Kiefernwald, jeder Götterbaum ein Glücksfall für die städtische Schutthalde und die Goldrute eine wunderbare Augenweide am Bahndamm.
Der Artenschwund und unsere Ökokrise hat seine Ursache im menschengemachten Lebensraumverlust, der chemisch intensiven Landnutzung und der Eutrophisierung – diese Verursacher des Artenschwundes sind erkannt, es fehlt allerdings der Wille diese zu minimieren.