Kommentar

Schule: Bullerbü anstatt digitale Medien

Heinz Moser © zvg

Heinz Moser /  Schweden verbannt die digitalen Medien aus der Grundschule. Das führt überall in Europa zu kontroversen Diskussionen.

Seit in Schweden eine konservative Regierung an der Macht ist, geht es der Digitalisierung in den Schulen an den Kragen. Eine Studie des Karolinska Instituts stellte in Frage, ob die Digitalisierung positive Effekte hat. Der frühe Einsatz von Bildschirmen stehe im Zusammenhang mit einer schlechteren Sprachentwicklung, meint die Bildungsministerin Lotta Edholm. Sie will wieder verstärkt Bücher in die Schulen zurückholen. Vor allem kleine Kinder sollen nicht zu früh in der Schule mit digitalen Medien in Kontakt kommen. Je mehr die Schulen ihren Unterricht auf Internet und Computer stützten, desto schlechter würden die Leistungen der Kinder, lautet der Tenor.

Humane Bildung ohne Smartphones

Seit der schwedischen Entscheidung wird überall in Europa um die Frage der Digitalisierung gerungen. So mahnt Professor Ralf Lankau von der deutschen Hochschule Offenburg in der schweizerischen «Weltwoche», dass man eine Humane Bildung benötige, welche Smartphones und Tabletts aus den Grundschulen verbanne. Ziel seien smartphonefreie Schulen, der Einsatz analoger Medien und Raum für bildschirmfreies Lernen.

Ob in den ersten Lebensjahren bereits digitale Medien in Kitas und Schulen benutzt werden sollen, ist eine legitime Frage. Bevor Kinder richtig lesen können, ist ein sinnvoller didaktischer Einsatz von digitalen Medien schwierig. Lernen im direkten sozialen Kontakt mit Lehrpersonen und Gspänli dürfte weit wirksamer sein. Aber auch im Unterrichtsalltag, so die Kritiker, sind digitale Medien meist nicht mehr als zusätzliche Hilfsmittel, die oft entbehrlich sind.

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Buchschulen wie früher oder Schulen mit digitalen Medien? Darüber gehen die Meinungen auseinander.

Jahrzehntelanges Hin und Her

Auf der anderen Seite haben die Befürworter der digitalen Medien in den letzten Monaten neuen Aufwind erhalten. Seit der Hype um KI boomt, sind viele Bildungsverantwortliche überzeugt, dass in Zukunft Bildung ohne KI nicht mehr auskommen wird. Denn schon jetzt wirbt fast jede technische Anwendung damit, KI zu beinhalten, obwohl oft unklar bleibt, was das konkret bedeutet.

Dieses Hin und Her über die Wichtigkeit der Medien für die Schulen hat eine lange Vorgeschichte.  So wechselten sich in der Vergangenheit Befürwortende und Gegner/innen von neuen Technologien immer wieder gegenseitig ab. Am Anfang dieses Jahrhunderts hatte man gehofft, dass mit dem Internet auch in den Schulen ein Fortschritt möglich sei. «Googeln» schien neue Wege für den Wissenserwerb zu eröffnen.

In der folgenden Zeit mehrten sich, vor allem im Verlauf der Covid-Jahre, dann aber die Zweifel am Lernen mit digitalen Medien wieder. Die oft problematischen Erfahrungen mit Homeschooling liessen die traditionelle Buchschule in weitaus positiverem Blick sehen. Das spiegelt sich im Karolinska Bericht, wenn es heisst: Der Schwerpunkt sollte wieder auf den Wissenserwerb über gedruckte Schulbücher und das Fachwissen des Lehrers gelegt werden sollte, anstatt das Wissen in erster Linie aus frei zugänglichen digitalen Quellen zu erwerben, die nicht auf ihre Richtigkeit überprüft wurden.

Die binäre Debatte zu Hoffnungen und Ängsten greift zu kurz

Allerdings ist es zu einseitig, das Lernen aus frei zugänglichen Quellen direkt mit dem Wissenserwerb aus Schulbüchern zu vergleichen, da die damit verbundenen Ziele unterschiedlich sind. Die Karolinska-Studie betont den strukturierten Wissenserwerb über gedruckte Schulbücher und das Fachwissen der Lehrkräfte. Aber sehr häufig werden wir im Alltag mit Behauptungen und Informationen ungeprüfter Quellen konfrontiert, die wir einzuschätzen und zu bewerten haben. Wie wir damit sinnvoll umgehen, sollte ebenfalls Ziel des Unterrichts sein. Es muss gelehrt werden, wie wir die im Netz aufgeschnappten Nachrichten auf ihre Vertrauenswürdigkeit überprüfen können. Und wo könnte dies besser geschehen als in der Vermittlung durch die Schulen?

Der englische Professor David Buckingham, der sich international seit Jahrzehnten mit Fragen der Medienpädagogik befasst, erörtert in seinem neuesten Buch «The Media Education Manifesto» die Grenzen der binären Debatte zu digitalen Medien und Technologien. So sei die Diskussion um neue Technologien immer wieder von einer Mythologie der Hoffnungen und Ängste geprägt. Auf der einen Seite werde der Einsatz von Technologien als Allheilmittel für die Lösung all unserer sozialen Probleme betrachtet, gleichzeitig aber auch als Bedrohung für die Zukunft der künftigen Generationen.

Junge Menschen seien entweder «Digital Natives», die mit den neuen Technologien schon kompetenter als wir Erwachsenen umgehen, oder sie würden als verletzliche und passive Opfer dargestellt, die diesen Technologien und ihren Risiken am hilflosesten ausgeliefert sind. Doch bei aller berechtigten Kritik darf aus der Schule kein pädagogisches Bullerbü werden, das sich nostalgisch in der Verklärung von Zeiten verliert, wo es noch keine modernen Medien gab.

Die Schule ist nur ein kleiner Teil des Problems

Wenn es um die Risiken der Digitalisierung für Kinder und Jugendliche geht, dann wird das Problem viel zu häufig auf die Schulen bezogen. In Wirklichkeit spielt sich der Medienkonsum der Kinder und Jugendlichen hauptsächlich im ausserschulischen Raum ab. Die deutsche KIM- Studie von 2022 belegt, dass bereits heute 70 Prozent Kinder im Grundschulalter die Medien nutzen.

Mit zunehmendem Alter steigt der Anteil rasant: von 38 Prozent bei den 6- bis 7-Jährigen über 59 Prozent bei den 8- bis 9-Jährigen bis hin zu 85 Prozent bei den 10- bis 11-Jährigen und schliesslich 99 Prozent bei den 12- bis 13-Jährigen. Schon im Alter von 10-11 Jahren besitzen mehr als die Hälfte der Kinder ein eigenes Smartphone. Dabei kommt von den Eltern wenig Widerstand. Fast die Hälfte der Eltern (48 Prozent) erlauben es ihren Kindern, allein ins Internet zu gehen.

Das schlechte Gewissen der Eltern beruhigen

Ein striktes Internetverbot in Schulen erscheint daher wenig zielführend. Es beruhigt mehr das schlechte Gewissen der Erwachsenen, als dass es die Probleme löst. Zudem ist es für Eltern eine Überforderung, die Kinder als Digitalpolizisten in den eigenen vier Wänden zu überwachen und ihnen den Medienzugang total zu verbieten.

Darüber hinaus kollidiert ein solches Verbot mit einem allgemeinen gesellschaftlichen Trend: Immer häufiger werden Alltagsaktivitäten digitalisiert: Ohne Handy oder digitale Karte erhält man in Bus und Bahn keine Tickets mehr, kann keine öffentliche Toilette mehr aufsuchen oder am Kiosk und im Laden etwas kaufen. Auch Kinder und Jugendliche wachsen in diesen digitalen Alltag hinein: Sie lesen Texte und Bücher auf dem Smartphone und informieren sich über soziale Medien wie TikTok zu Fragen der Politik und anderen Themen.

Medienerziehung schon in der Grundschule

Dies alles stellt auch eine Herausforderung für die Schule dar. Sie ist die einzige Institution ausserhalb der Familien, die das Aufwachsen von Kindern in der digital geprägten Welt begleiten kann, indem sie die Mediennutzung der Kinder im Unterricht thematisiert. Dies ist jedoch nur möglich, wenn sich Schulen nicht von den digitalen Medien abkoppeln und sich als reine Buchschulen definieren.

Braucht es Medien also schon in der Primarschule? Die Antwort lautet «ja» und «nein». Vorsicht ist nötig, wo sich kommerzielle Interessen von Technologieunternehmen allzu direkt ins Spiel bringen. Unsinnig sind zum Beispiel Strategien, Kitas massenhaft mit Tablets zu fluten, obwohl die Lehrpersonen didaktisch viel zu wenig darauf vorbereitet sind. Auf der anderen Seite ist es unerlässlich, bereits in der Primarschule mit der Medienerziehung zu beginnen, um Kinder auf ein Leben im digitalisierten Alltag vorzubereiten.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor war bis zu seiner Emeritierung Professor für Medienpädagogik an der Universität Kassel und an der Pädagogischen Hochschule Zürich
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Lebenslanges Lernen heisst die Devise. Aber wie gelingt Lernen? Von der Volksschule bis zur Weiterbildung?

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2 Meinungen

  • am 26.09.2024 um 22:27 Uhr
    Permalink

    Nicht sehr überzeugend. Herr Moser lässt sich vor allem vom Trend treiben.
    Bildung muss altersgerecht sein. Einem Sechsjährigen einen kritischen Umgang mit zweifelhaften Inhalten des Internets beibringen zu wollen ist einfach nur lachhaft. Es ist etwa ebenso falsch, wie schon die Sechsjährigen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol anleiten zu wollen.
    Um unseriöse Informationen von seriöser unterscheiden zu können, braucht es ein gewisses Mass an Vorwissen. Fehlt dieses, sind wir hilflos. Das ist dann etwa so, wie wenn Herr Moser eine Formel aus der Quantenphysik auf ihre Plausibilität hin überprüfen müsste.
    Die Schule ist mitverantwortlich dafür, dass viele Eltern einen so unkritischen Umgang mit digitalen Medien pflegen. Wenn die Schulen ständig Loblieder auf alles Digitale von sich geben, wieso sollten Eltern dann etwas gegen einen exzessiven Handykonsum ihrer Kinder unternehmen?

  • am 28.09.2024 um 09:51 Uhr
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    Bravo Schweden! Die Idee mag nicht für alle Zeiten gut sein, aber heute ein Zeichen zu setzen gegen die sonst behördlich veordnete Hurrah-Digitalisierung mit ihren negativen Konsequenzen finde ich richtig.

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