Kommentar
kontertext: Die Zukunft der Menschheit hängt vom Süsswasser ab
Aus dem Weltall ist das Bild eindeutig, und so haben ESA und NASA die Erde denn auch genannt: «Planet Aqua». Unsere Heimat besteht zum größten Teil aus Wasser. Wir leben von, mit und im Wasser. Selbst unser Körper besteht zu 60 % aus Wasser.
Das ist der Ausgangspunkt des neuen Buches des amerikanischen Ökonomen Jeremy Rifkin. Der Bestsellerautor, Berater von Regierungen in den USA und Europa, fordert diesmal ein komplettes Umdenken der Politik angesichts des Klimawandels und der damit einhergehenden Wasserkrise. Das Wassersystem der Erde, die Hydrosphäre wird unsere Zukunft bestimmen. Entweder Gesellschaft und Wirtschaft passen sich ihr an oder wir werden untergehen – so Rifkin. Süsswasser wird bei fortschreitendem Klimawandel in einigen Regionen der Erde zu einer raren Ressource, während es in anderen Gebieten sturzflutartig vom Himmel strömt, massive Schäden an Natur und Infrastrukturen verursacht.
Schockierende Zahlen
So weit, so bekannt. Jeremy Rifkin fasst anschaulich zusammen und schreibt fort, wovor die Klimaforschung seit langem warnt. Auch er selbst hat bereits in vielen seiner Vorgängerbüchern auf die Folgen des Klimawandels hingewiesen. Die Zukunft, so der Autor jetzt, gehört der Hydrosphäre, die die Atmosphäre, die Lithosphäre und die Biosphäre antreibt. Sie wird zukünftig unser Leben bestimmen.
Dazu wäre eine Veränderung des Umgangs mit Wasser gerade in den USA dringend erforderlich. Noch wird es trotz schwindender Ressourcen insbesondere in der Landwirtschaft hemmungslos verschwendet. Rifkin nennt bekannte, aber immer wieder schockierende Zahlen. Eine kalifornische Mandel verbraucht zwölf Liter Wasser. Um eine Tonne Rindfleisch zu erzeugen, benötigt man 16 000 Kubikmeter Wasser. Resultat: 92 Prozent des Grund- und Oberflächenwassers in den USA schluckt die Landwirtschaft. Privathaushalte nur 3,6 Prozent. Allein schon eine Umstellung auf pflanzliche Ernährung würde enorm viel Wasser sparen.
Also doch Hightech
Rifkin propagiert zudem die vertikale Landwirtschaft, bei der unter Kunstlicht im klimatisierten Räumen in langen Regalreihen Pflanzen auf Kunstböden angebaut und mit den nötigen Rohstoffen versorgt werden. Technik überwacht das Wachstum. Verbraucht werden nur zwei Prozent der sonstigen Wassermenge. Fleischersatz aus Pflanzen, Kunstfleisch aus der Retorte, Proteine aus der Insektenzucht: Rifkin sieht in landwirtschaftlichen Hightech-Produkten eine wassersparende Zukunft.
Bei aller Anpassung wird die Wasserkrise für Jeremy Rifkin extreme Auswirkungen auf unsere Gesellschaften haben. Für ihn werden zukünftig die Nationalstaaten zugunsten ephemerer, d.h. flüchtiger politischer Systeme aufhören zu existieren. Millionenstarke Bevölkerungsgruppen werden sich angesichts des Wassermangels und der andauernden Dürre in ihren Ländern auf den Weg in jene Regionen machen, in denen es noch genügend Süsswasser gibt. Sie werden Staatsgrenzen überschreiten, sich in riesigen Flüchtlingslagern niederlassen, die ihnen ein Überleben sichern.
Eine ausgesprochen optimistische Vision, denn derzeit errichten die USA und Europa Bollwerke gegen Flüchtlinge. Wie Rifkin da auf eine friedliche Einwanderung von Millionen Klimaflüchtlingen setzen kann, verschweigt er leider, zumal gerade in den USA viele Politiker und Bürger den Klimawandel leugnen. Auch dazu kein Wort.
Was ist Hydroismus?
Die Forderung nach einem anderen, sich an die Natur anpassenden Wirtschaftssystem ist bei Jeremy Rifkin nicht neu. Sie findet sich bereits in seinen anderen Büchern. Der Kapitalismus ist seiner Ansicht nach nicht in der Lage, den Klimawandel zu stoppen, die Wasserkrise zu lösen, weil er immer noch von der Vorstellung ausgeht, man könne sich die Natur unterwerfen und ihre Ressourcen ausbeuten. Für jede Krise gäbe es eine technische Lösung. Ein Irrtum – so Rifkin. Gefragt ist eine völlig neue Form der Wirtschaft: ein Hydroismus, ein System, das sich nach der Wasserverfügbarkeit richtet.
«Planet Aqua» greift vieles auf, wovor er bereits gewarnt hat. So warnte er schon 1996 vor der Herrschaft der Rinder, weil Milliarden Kühe nicht nur massiv zum Klimawandel, sondern auch zum Artensterben, zur Abholzung der Regenwälder und zur Nahrungsmittelkrise beitrügen. Er propagierte früh die Energiewende, den Umstieg von fossilen Energien zu Strom aus Erneuerbaren, glaubte an ein bevorstehendes Wasserstoffzeitalter. Die Wirtschaftszukunft sah er im Internet der Dinge, träumte vom Wissen für alle. Leider übersah er in seiner Vision einer virtuell bestimmten Zukunft die monopolartige Macht der Internetkonzerne, Fake News und virtuelle Desinformation in social media. Er beschwor das Wachsen einer empathiefähigen Menschheit, die zukünftig die Gesellschaft bestimmen würde. Dabei blendete er die wiederkehrenden Völkermorde ebenso aus wie die Kriege in Afrika oder den islamistischen Terror. Er schwärmte von einem Zeitalter des grünen Deals, den Aufbruch in eine ökologisch bestimmte, nachhaltige Wirtschaft. Dass auch sie auf Technik und Wachstum setzt, erwähnte er nur am Rande. Die Gentechnik mit ihrer Manipulation von Pflanze, Tier und Mensch war ihm ein Gräuel. Heute ist er durchaus für genetische Anpassung an Dürre und Wassermangel.
Gut streiten
Rifkins Zukunftsvision eines bevorstehenden hydrophilen Zeitalters erscheinen angesichts des Zustands der Welt illusionär, aber seine Analyse des Klimawandels und der damit einhergehenden Wasserkrise ist präzise und fundiert. Der inzwischen 79jährige Gründer der Washingtoner Denkfabrik «Foundation on economic trends» ist stets ein scharfsinniger und profunder Analyst der derzeitigen Weltwirtschaft und ihres kapitalistischen Wirtschaftssystems gewesen. Über seine Schlussfolgerungen kann man dagegen gut streiten. Sie sind pointiert zugespitzt und erweisen sich auch diesmal als weit übertrieben. Dennoch lohnt die Lektüre, weil es Jeremy Rifkin gut versteht, die komplizierte Materie einleuchtend und verständlich zu erklären.
Jeremy Rifkin: Planet Aqua, aus dem Englischen von Jürgen Neubauer, Campus Verlag Frankfurt, 2024, 305 Seiten, 32 €
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Trinkwasser-Verbrauch in Liter : 1 Kilo Rindfleisch 15’500, 1 neuer PC 20’000 ,1 Kilo Schweinefleisch 4‘730 , 1 Kilo Baumwolle 10’000 , 1 Kilo Tomaten 215 , 1 Kilo Kakaobohnen 27’000 , 1 Tasse Kaffee 140 Liter. Für Nestlé ist die Sparte Trinkwasser der lukrativste Bereich. Deren Fachleute sorgten schon vor Jahrzehnten dafür, dass Nestlé weltweit einen enormen Einfluss bei Trinkwasser hat. Die Geschäftemacher bei den Multi’s können voraus denken. So wird Wasser in Geld verwandelt.
Wasser ist ein öffentliches Gut, das ausschliesslich durch den Staat veräussert werden darf. Die Privatisierung ist eine extrem gefährliche Entwicklung…und zu verhindern.
Das Argument mit den 16.000 m(hoch 3) Wasser pro 1 t Rindfleisch ist zu bezweifeln: das wären 16 Millionen Liter Wasser in einem Kuhleben. Eine Milchkuh trinkt ca. 4 – 4,5 L Wasser pro Liter Milchertrag, an heißen Tagen bis zu 350 L Wasser / Tag. Nehmen wir mal ein Kuhleben mit 7 Jahren an, ergeben sich ca. 500.000 L Wasser. Wahrscheinlich rechnen die Autoren der 16 Mill. noch Futtermittel, Milch- und Fleischverarbeitung und Transporte hinein, was aber für lokal erzeugtes Fleisch gar nicht schlagend ist. Man muss wirklich vorsichtig mit solchen Totschlagzahlen sein. Auch beim Hochwasser ist Alarmismus nicht angebracht; es hat immer schon solche extremen Hochwässer gegeben, früher mit weitaus mehr Todesopfern. Richtig ist, dass die extreme Landwirtschaft zuviel Grundwasser entnimmt: Obst und Gemüse aus Italien, Portugal und Spanien ist nichts anderes als Wasserexport aus dürrebedrohten Ländern. Andererseits hat diese auch Wohlstand gebracht; mit Gentechnik löst man dieses Problem nicht.