Kommentar

Schweizer Nationalrat im Dienst fremder Kriegspropaganda*

Pia Holenstein © zvg

Pia Holenstein /  Die humanitäre Tradition der Schweiz ist in höchster Gefahr. Über Jahrzehnte genoss sie den Ruf, unparteiisch Hilfe zu leisten.

Red. Pia Holenstein Weidmann ist SP-Aussenpolitikerin. Sie war als Menschenrechtsbeobachterin unter anderem längere Zeit im besetzten Westjordanland. Ein Gastbeitrag.

Mitten in einer offensichtlichen Tragödie in Gaza versagt der Nationalrat – 99 Personen plus 7 «Unentschlossene» – die zugesicherte, absolut dringende Nothilfe an eine geschundene Zivilbevölkerung. Deren unermessliches Leid kann man mitverfolgen, und es steigt täglich. Es gibt nur eine kriegführende Seite, welche die UNRWA vernichten will*, und diese hat offensichtlich einen direkten Draht zu einigen Parlamentarier:innen.

Kinder starben als blosse Nummer

Ich habe vor einigen Tagen einen in Gaza tätigen Arzt per Zoom gesehen und drei weitere, die eine Zeitlang dort arbeiteten. Die Erzählungen waren einfach nur furchtbar. Schwerverletzte Kinder aus Flächenbombardierungen, die man keiner Familie zuordnen konnte und die als Nummer starben. Verletzte und Kranke sterben aus Mangel an einfachsten Hilfsmitteln. Kinder, die ins Spital kommen, um Wasser aus dem WC zu trinken. Und ja, alle sind krank. Die Kinderlähmung hat man kommen sehen, und sie wird nur bekämpft, damit sie nicht auf Israel übergreift. Israel verbietet noch immer, von Völkermord zu sprechen, doch es gibt kein anderes Wort.

Vielleicht sagt er einmal, er habe es nicht gewusst

David Zuberbühler, der Urheber des Vorstosses, wird vielleicht irgendwann sagen wollen: «Das habe ich nicht gewusst.» Ich nehme zu Gunsten aller andern an, dass sie nur Mitläufer:innen sind. Und Bundesrat Cassis hat die grösste Schuld zu tragen, auch wenn er einräumte, man sollte die UNRWA-Gelder nicht gerade in dieser grössten humanitären Krise stoppen. Er hat seit seinem Amtsantritt an der Demontage der UNRWA gearbeitet, hat Trump nachgesprochen, sie sei «Teil des Problems», hat den Direktor Pierre Krähenbühl nicht gestützt, als er durch eine unsägliche Schlammschlacht – die sich als gelogen herausstellte – zum Rücktritt gezwungen wurde. Er versagte Philippe Lazzarini den nötigen Rückhalt und gehorcht blind den israelischen Forderungen. Cassis scheint die Rolle der Schweiz als Depositärstaat der Genfer Konvention nie verstanden zu haben, ebensowenig den internationalen Reputationsvorteil, wenn dem Hilfswerk Schweizer als Generalkommissare vorstehen.

Gegründet wurde das Hilfswerk von der internationalen Gemeinschaft, um die Flüchtlinge aufzufangen, die von Israel bei der Staatsgründung vertrieben wurden. Um die umliegenden Länder zur Aufnahme der Flüchtlinge zu bewegen, zu entlasten und zu besänftigen, also zum Schutz Israels.

Trotzdem arbeitet Israel seit Jahrzehnten an der Demontage der UNRWA mit allen möglichen und unmöglichen, meist erfundenen Vorwürfen. Erklärbar ist es damit, dass der Flüchtlingsstatus den Palästinenser:innen ein Rückkehrrecht garantiert. Das will Israel mit allen Mitteln aus der Welt schaffen.

Die UNRWA gibt Palästinenser:innen Arbeit und Lebensgrundlagen in fünf Ländern, als Empfänger:innen und als Angestellte. Sie ist die einzige Organisation, die in Gaza überhaupt in einem gewissen Mass Hilfe bringen kann. Sie arbeitet unpolitisch im Auftrag der Vereinten Nationen, solange die Palästinenser:innen darauf angewiesen sind, das heisst, keinen eigenen Staat haben, und kann die Tätigkeit hundertprozentig ausweisen. Die israelischen Vorwürfe haben sich bisher stets als falsch erwiesen, so sind auch die neuen und kommenden zu bezweifeln.*

Die «anderen Organisationen» gibt es nicht

Was für eine Anmassung von Schweizer Parlamentarier:innen, diese Organisation der UNO einfach mal schnell abschaffen und in irgendeiner anderen Form aufbauen zu wollen. Es ist nicht nur absurd, sondern durch und durch bösartig, wenn Nationalrätinnen sagen, man solle das Geld andern Organisationen in Gaza geben. Im Wissen, dass es die nicht gibt. Dass es brennt. Und dass sich die Schweiz jetzt ganz konkret mitschuldig macht an der Auslöschung der palästinensischen Zivilbevölkerung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Pia Holenstein Weidmann ist SP-Aussenpolitikerin, Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie war als Menschenrechtsbeobachterin unter anderem längere Zeit im besetzten Westjordanland.
*Diese Sätze wurden kurz nach der Publikation noch leicht verändert.
_____________________
➔ Solche Artikel sind nur dank Ihren SPENDEN möglich. Spenden an unsere Stiftung können Sie bei den Steuern abziehen.
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120226um12_51_13

Atommacht Israel und ihre Feinde

Teufelskreis: Aggressive Politik auf allen Seiten festigt die Macht der Hardliner bei den jeweiligen Gegnern.

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

15 Meinungen

  • am 12.09.2024 um 11:10 Uhr
    Permalink

    So etwas einseitiges habe ich noch selten gelesen. Kann nicht verstehen, dass das pupliziert wird.

    • Portrait_Felix_Schneider
      am 12.09.2024 um 22:47 Uhr
      Permalink

      Einseitig intelligent, das muss schon bubliziert werden.

    • am 13.09.2024 um 16:32 Uhr
      Permalink

      Es geschieht ein Völkermord an 2 Mio. Menschen im Gazastreifen.
      Die einzige Organisation die noch versucht, vor Ort zu helfen – natürlich auch mit Hilfe der Betroffenen – ist die UNWRA.
      Und wer da den Geldhahn zudreht ist mitverantwortlich für den Genozid.

    • am 15.09.2024 um 08:46 Uhr
      Permalink

      Herr Fischer, bitte erläutern Sie uns, warum Sie diesen Beitrag für einseitig halten. Ich halte ihn für bitter nötig.

  • am 12.09.2024 um 12:21 Uhr
    Permalink

    Sehr guter Artikel. Klare Ansage. Dass BR Cassis als Papierschweizer nicht begreift, was Neutralität ist, hat er bereits mehrfach bewiesen. Solche Politiker machen unser Land kaputt und verunmöglichen humanitäre Lösungsansätze.

  • am 12.09.2024 um 12:51 Uhr
    Permalink

    Viele Dank, Pia Holenstein, für diesen Artikel. Als ehemaliger Mitarbeiter des EDA, unter anderem auch tätig in der Sektion MENA, bin ich absolut entsetzt über die Nahost-Politik von Cassis. Für die rechtskonservativen, heuchlerisch christlichen Gruppierungen im Parlament (inklusive Pfister) habe ich nur noch Empörung und Verachtung. Solcher Entscheide haben Signalwirkung über die Grenzen hinaus. Ich bin auch überzeugt, dass eine Zeit kommen wird, wo die unterlassene Hilfestellung gegenüber dem palästinensischen Volk und die aktive Unterstützung israelischer Kriegsverbrechen (militärische Zusammenarbeit des VBS, Waffenlieferungen, Waffenkäufe, etc) Gegenstand einer juristischen und politischen Aufarbeitung der Schweizer Schuld darstellen werden.

  • am 12.09.2024 um 13:27 Uhr
    Permalink

    Die palästinensische Menschenrechtsorganisation Badil widerlegt regelmässig die Gerüchte welche von «impact-se», einer der der rechtsextremen israelischen Regierung nahestehenden Lobbyorganisation, verbreitet werden. Die ehemalige Professorin für Literaturwissenschaften an der Hebräischen Universität Jerusalem Nurit Peled-Elhanan, hat umfangreiche Forschung zu palästinensischen Schulbüchern durchgeführt und kommt zu differenzierten Ergebnissen. Dass so etwas die SVP und ihre GesinngsgenossInnen nicht interessiert muss wohl auf ihre ideologische Nähe zum israelischen Regime zurückzuführen sein.

  • am 12.09.2024 um 13:56 Uhr
    Permalink

    Vielleicht hat die Haltung des Nationalrates auch mit der Tatsache zu tun, dass eine Verstrickung der UNRWA in die Massaker vom 7. Oktober mittlerweile nicht mehr zu leugnen ist.
    Klar hat ein Konflikt von dieser Komplexität den zweifelhaften Charme, dass jede Seite den Gegner als Teufel darstellen kann, ohne sofort beim Lügen erwischt zu werden, aber allein die Tatsache, dass Südafrika arge Probleme hat, Beweise im von ihnen angestrengten Völkermordprozess vorzulegen, sollte zu denken geben.

    • am 13.09.2024 um 05:39 Uhr
      Permalink

      Die IDF haben mit Helikopter und Panzer auf Zivilisten geschossen, um zu verhindern, dass die Gaza-Truppen Geiseln nehmen können. Dabei sind viele gestorben. Auch haben die Angreifer Israelische Soldaten getötet, das lässt sich nicht leugnen.
      Ich erinnere daran, dass Israel auch von Vergewaltigungen sprach, die sich als Lüge entpuppte, und von geköpften Kleinkindern, was ebenfalls eine Lüge war. Israel behauptet zudem, es würden «nur» 1 Zivilist pro 1 Kämpfer getötet, was angesichts der Flächenbombardierung von Wohngebieten ein völliger Hohn ist. Israel ist keine verlässliche Quelle von Information.

    • am 14.09.2024 um 08:15 Uhr
      Permalink

      Natürlich hat die Haltung eines Teils des Nationalrates damit zu tun. Diese NationalrätInnen meinen es ginge darum auf der „richtigen“ Seite zu stehen. Das ist nicht so. In diesem Fall geht es darum, Nothilfe an Menschen in höchster Not im Gazastreifen zu verweigern oder nicht.

  • am 12.09.2024 um 15:38 Uhr
    Permalink

    Ich bin sehr froh, dass dieser Artikel kommt. Ich bin entsetzt, ob diesem Abstimmungsverhalten im Nationalrat. Und leider ist vom Ständerat nichts anderes zu erwarten. Was reitet die bürgerliche Mehrheit in dieser grässlichen Lage im Gazastreifen die Nothilfe an die Zivilbevölkerung zu verweigern? Woher nehmen sie die Gewissheit das Richtige zu tun? Es gibt überhaupt keine Dringlichkeit für die Schweiz, keine vernünftige Begründung, der UNRWA jetzt den Geldhahn abzudrehen. Wenn man Vorbehalte hat gegenüber dieser Organisation, dann hätte man vor Jahren mit Auflagen und Umstrukturierungen eingreifen können. Jetzt ist ganz sicher der total falsche Moment. Was für eine Verantwortung haben sich Nationalrätinnen und Nationalräte, die dem Zahlungsstopp zugestimmt haben, aufgeladen. Noch mehr verletzte, im Elend und unter grösster Gefahr lebende Kinder und Erwachsene werden im Gazastreifen traumatisiert und sterben, weil die Nothilfe sie noch weniger erreicht. Schämt euch!

  • Portrait_Felix_Schneider
    am 12.09.2024 um 16:29 Uhr
    Permalink

    Der NR-Entscheid, der UNRWA die Gelder zu streichen, ist die beste Föderung des Terrorismus, die man sich denken kann.

  • am 12.09.2024 um 17:57 Uhr
    Permalink

    Ein erschütternder Bericht nach einem beschämenden Beschluss des Nationalrats. Das Geld anderen Organisationen als der UNWRA für humanitäre Hilfe im Gazastreifen zukommen zu lassen, ist eine billige Ausrede dafür, die Menschen dort verhungern und an Verletzungen und Seuchen sterben zu lassen. Kaum eine NGO traut sich noch oder ist der Lage, Hilfe zu leisten, weil die Mitarbeitenden ständiger Lebensgefahr ausgesetzt sind oder schlicht keine intakte Infrastruktur mehr besteht, die notleidende Bevölkerung zu versorgen. Und ein Ende dieser unsäglichen humanitären Katastrophe ist nicht abzusehen.

  • am 13.09.2024 um 01:22 Uhr
    Permalink

    Auch ich danke Frau Holenstein für diesen Artikel, der unsere Auslandpolitik endlich auf den Punkt bringt. Ich kenne Palästina, Libanon und Jordanien recht gut und kann bezeugen, dass die UNWRA eine sehr aufbauende und wichtige Funktion hat für die Palästinenserflüchtlinge. Dass viele Palästinenser, auch solche, die für die UNWRA arbeiten, mit der Hamas sympathisieren, ist verständlich. Die Hamas besteht aus einem Verwaltungsorgan, einer sozialen Hilfsorganisation und aus Widerstandskämpfern. Also nicht nur eine «Terrororganisation». «Terrorismus» ist übrigens ein Kampfmittel für den Widerstand, wenn keine Armee besteht. Denke man an die Résistance im 2. WK! Unsere Parlamentarier und Bundesräte treiben die Schweiz tatsächlich in den Abgrund aus Ignoranz, Beeinflussung und unkritischem Geist. Anstatt sich zu informieren, stützen sie sich auf die israelische Lobby Organisation UN-Watch. Viele Schweizer sind entsetzt, es ist Zeit, auf die Barrikaden zu steigen!

  • am 13.09.2024 um 08:13 Uhr
    Permalink

    Es erstaunt immer wieder, wie viele anständige Leute sich reflexartig vor die Kindermörder stellen um sie in Schutz zu nehmen,

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...