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Daniel Goldstein © Grietje Mesman

Sprachlupe: Da tönt «Glace» helvetisch, «Bébé» aber nicht

Daniel Goldstein /  Bei manchen Helvetismen im Duden ist nun auch die landestypische Aussprache angegeben, aber nicht bei allen und selten akustisch.

In der letzten «Sprachlupe» habe ich mich über die kulinarische Exklusivität «schweizerisches Speiseeis» gewundert – nur dieses werde hierzulande als «Glace» bezeichnet, meint der Duden. Zugleich versprach ich ein Lob für die Neuauflage, hier ist es: Nun ist auch die schweizerische Aussprache angegeben (kurzes a, leicht hörbares e), in der elektronischen Ausgabe sogar wirklich zu hören, wenn man das Lautsprecher-Symbol anklickt: 🔊. Der schweizerische Dudenausschuss, für Vorschläge an die Redaktion des Wörterbuchs zuständig, hatte die Aussprache französischer Wörter schon auf dem Tapet, als ich ihm ein anderes Beispiel unterbreitete.

In meiner Eingabe ging es um «Trottoir», wofür der Duden nur die in Deutschland übliche Aussprache mit (übertrieben französischer) Endbetonung angab. Jetzt ist «süddeutsch und schweizerisch» auch die Anfangsbetonung aufgeführt, aber immer noch ohne das bei uns hörbare Schluss-r. Mit dem würden wir ennet der Saane bestenfalls Mitleid ernten, diesseits aber zeigen wir so, dass das Wort in unserem Hochdeutsch gründlich eingebürgert ist. Alternative Anfangs­betonungen sind nun im Duden für viele Wörter angegeben, auch am Bildschirm in der Regel nur mit Lautschrift wie im Buch, ohne Tonbeispiel: Affiche, Agraffe, Bijou, Billett(eur/euse), Coiffeur/euse/ure), Confiserie etc.

Muni ohne Meiensäß

Saisongerecht wie «Glace» steht neu auch «Badi» im Duden, nebst schweizerisch auch als umgangssprachlich gekennzeichnet, gleich wie etwa «Hudelwetter». Umgangssprachliches sollte man nur in informellen Texten verwenden. Wendet man sich auch an Deutsche, so gilt es bei allen Helvetismen abzuschätzen, ob das Wort überhaupt verstanden wird. Das ist erst recht bei den wenigen Wörtern fraglich, die als mundartnah aufgeführt sind. Dazugekommen sind nur deren vier: Brösmeli, glätten (für bügeln, auch in manchen «Landschaften» ausserhalb der Schweiz), Hitzgi, Muni. Im ganzen Duden sind bloss 93 der 151’000 Wörter schweizerisch mundartnah (oder mundartlich, wie es früher hiess). Wie genau es die Redaktion nimmt, zeigt «Hafenkäse»: 2013 als schweizerisch abwertend aufgenommen, ist es jetzt zudem umgangssprachlich.

In der Auswahl helvetischer Neueinträge fällt «Stabs­übergabe (schweizerisch für Amtsübergabe)» auf. In Schweizer Zeitungen überwog bis vor wenigen Jahren die Schreibweise ohne s in der Mitte. Nun hat, wohl unter dem Einfluss von Medien(leuten) aus Deutschland, das dort in Zusammen­setzungen häufigere Fugen-s überhandgenommen. Auch «Sparrings­partner» und «Schadens­ersatz» legen zu, obwohl laut Duden das s hier fakultativ ist, während er es ausgerechnet bei der «Stabs­übergabe» für einzig richtig hält. Kurios ist auch «Maiensäß» – als Schweizer Wort sollte es mit zwei s geschrieben sein. Dass das ß hierzulande ungebräuchlich ist, steht immerhin vorne im Wörterbuch. Wenigstens ist jetzt die rare Schreibweise «Meiensäß» gelöscht worden. Ebenfalls gestrichen ist «koldern (süddeutsch, schweizerisch mundartlich für schmollen)».

So erging es «Sprachlupe»-Vorschlägen

Früher hatte ich mit Vorschlägen an den Dudenausschuss ab und zu Erfolg, diesmal nur damit, dass unser «ennet» nicht mehr als mundartlich gilt. Erfolglos blieben – trotz freundlichen Antworten vom Ausschuss – die Anträge, «Carrosserie», «Lappi» und «Palmarès» aufzunehmen. Zudem: «Lavieren» gilt immer noch als stets geschicktes Verhalten, während beim Verb «verhalten» ein seltsamer schweizerischer Gebrauch unterstellt wird: «Die Behörde verhielt ihn zur Zahlung einer Geldbuße.». Da steht auch österreichisch, was zutrifft. «Lappi» gehört zwar nicht zwingend ins Wörterbuch, wohl aber deshalb, weil schon «Lapp» (bayrisch, österreichisch mundartlich) drinsteht. Ähnlich berechtigt wäre «Mathi» bzw. «Math», damit Schweizer Medien nicht mehr meinen, sie müssten «Mathe» schreiben, gemäss dem Eintrag «Schülersprache Mathematik». «Carrosserie» steht seit 2012 im (damals neuen) Spezialduden «Schweizerhochdeutsch»; trotzdem erfrecht sich Duden.de, diese Schreibweise in einer Fehlerliste anzuprangern.

Ob für meine Vorschläge schon in der Schweiz oder erst in Berlin Endstation war, weiss ich nicht. Unverdrossen habe ich schon wieder etwas eingereicht: Nachdem seit Langem «Schoppen (südwestdeutsch und schweizerisch auch für Babyflasche)» gilt, sollte «schöppeln» auch bei einem Bébé möglich sein, nicht nur beim Eigenkonsum anderer, meist alkoholischer Schoppen. Und beim Helvetismus «Bébé» muss die Betonung auf die erste Silbe rücken, nicht 🔊.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Weiterführende Informationen

  • Duden – Die deutsche Rechtschreibung. Das umfassende Standardwerk auf der Grundlage der aktuellen amtlichen Regeln 2024. Dudenverlag Berlin, 29. Auflage, 1328 Seiten
  • Indexeintrag «Helvetismen/Hochdeutsch» in den «Sprachlupen»-Sammlungen: tiny.cc/lupen1 bzw. /lupen2, /lupen3. In den Bänden 1 und 2 (Nationalbibliothek) funktionieren Stichwortsuche und Links nur im herun­tergeladenen PDF. Angaben zu Helvetismen in früheren Neuauflagen stehen im Band 3 unter der «Sprachlupe» Nr. 380 sowie im Anhang 6.
  • Quelldatei für RSS-Gratisabo «Sprachlupe»: sprachlust.ch/rss.xml; Anleitung: sprachlust.ch/RSS.html

Zum Infosperber-Dossier:

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Sprachlupe: Alle Beiträge

Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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