Kommentar
Versprechen und Realität – das Déjà-vu mit Nestlé
Freunde, Kolleginnen, Bekannte, alle haben über meine Gewohnheit gespöttelt, die Mundwinkel verzogen. Wie kann man nur? Wie kann man nur Pulverkaffee aus der Dose einem echt italienischen Espresso vorziehen?
Ich habe mit dem Attribut Kaffeebanause leben gelernt. Doch jetzt ist fertig lustig mit Nestlés Pulver. Jeder Schluck ist mir zu viel geworden.
Die schlechte Nachricht kommt aus Mexiko. Hier wächst die Wut auf Nestlé. Aufgebrachte Produzentinnen und Produzenten verbrennen auf offener Strasse ganze Säcke voller Kaffee. Es sind Kaffeebäuerinnen und -bauern, welchen Nestlé ein höheres Einkommen und ein besseres Leben versprochen hat. Stattdessen stehen die Kaffeebauern im mexikanischen Bundesstaat Chiapas vor dem Ruin. Die Preise sind gesunken, Nestlé kauft unter der nötigen Mindestmarke. (Infosperber berichtete am 11. Juni 2024: «Nestlés Dumpingpreise im Kaffee-Paradies Mexiko».)
Die erste Auflage seines Nescafé-Planes startete Nestlé im Jahr 2010. Der Konzern aus Vevey versprach, innerhalb von zehn Jahren weltweit 350 Millionen Franken in das Programm zu investieren. Man wolle so durch die ganze Versorgungskette, «vom Produzenten über den Konsumenten bis zu uns, Wert schaffen», sagte der damalige CEO. Das Verteilen ertragreicher Robusta-Züchtungen sowie Schulungen in Unternehmertum und Agronomie sollten zu höherer Produktivität führen. Bis 2023, dreizehn Jahre nach der Lancierung des Planes, seien allein in Mexiko 34 Millionen Setzlinge verteilt worden, lese ich auf der Nestlé-Website. Für verantwortungsvoll angebauten Kaffee zahle Nestlé eine Prämie.
Als ich vor ein paar Wochen im Magazin von Public Eye1 die ausführliche Reportage zur mexikanischen Wut auf Nestlé las, hatte ich ein Déjà-vu. Zusammen mit journalistisch und filmdokumentarisch versierten Kollegen hatte ich zwischen 2007 und 2011 an «Bottled Life» gearbeitet, einem Film, der Nestlés Machenschaften im globalen Wassergeschäft analysierte.
Nestlé war damals nicht nur im Geschäft mit abgefülltem Wasser, sondern auch im Kaffeegeschäft die Nummer 1 der Welt. Als Nestlé seinen Nescafé-Plan verkündete, waren wir gerade in New York City und drehten Bilder zur Funktion von Nestlé Waters als wichtigstem Sponsor des New-York-Marathons. Im Norden grub der Konzern das Wasser billig ab, karrte es mit schweren Trucks gen Süden und vermarktete es in Big Apple mit enormem Gewinn.
Grosse Teile der lokalen Bevölkerung in den Quell- und Grundwassergebieten von Maine waren sauer. Die politische Einflussnahme, das Lobbying und die PR-Kampagnen von Nestlé waren unerträglich. Ein Farmer brachte es auf den Punkt. Fadengerade und wütend sagte er in unsere Kamera: «Ich will mit denen gar nichts mehr zu tun haben. Ich weigere mich, irgendetwas zu kaufen, das von Nestlé produziert wird. Und wenn ich deswegen Hunger bekomme– dann sei es so.»
Manche stellten um vom Wasser aus der Flasche zum Wasser aus dem Hahn. Auch wir taten das. Einen Nespresso hingegen tranken wir zwischendurch weiterhin. Mindestens beim Kaffee, so schien es, hatte Nestlé einen glaubwürdigeren und nachhaltigeren Plan als beim Wasser. Lieferte Nestlé nicht angenehme Argumente, damit wir Dokumentarfilmer den «100% verantwortungsvoll beschafften Kaffee» nicht absetzen mussten? Tönte das Commitment gegenüber den Kaffeeproduzenten nicht ziemlich gut?
Die Kaffeestory von Public Eye setzt dem nun ein Ende. Und ja, das Déjà-vu ist da. Wieder landen schöne Worte und vollmundige Versprechen von «gemeinsame Werte schaffen» auf dem Müll. Sein nordamerikanisches Wassergeschäft hat Nestlé inzwischen an milliardenschwere Investmentfirmen verkauft. Das Geschäft mit dem Kaffee hingegen blüht. Ich bin nicht erstaunt, spielen ganz besondere Werbespots auch hier eine Rolle.
Einen Werbe-Auftritt hat zum Beispiel der mexikanische Kaffeebauer Eduardo Camarena aus Tapachula. Zum Nescafé-Plan sagt er im Video strahlend: «Das war die beste Entscheidung meines Lebens. Ich kann nun das Versprechen an meinen verstorbenen Grossvater einlösen und die Familienfarm weiterführen.» Der Spot wurde vor über neun Jahren veröffentlicht.
Wie viele andere hatte Camarena damals auf Anraten von Nestlé von der Sorte Arabica auf Robusta umgestellt. Robusta ist die Kaffeeart, die Nestlé vor allem für die Produktion seines Nescafé-Pulvers braucht. Robusta ist in der Regel widerstandsfähiger und pflegeleichter, gilt aber auch als qualitativ minderwertig und erzielt geringere Preise.
In Februar dieses Jahres hat das Reporterteam von Public Eye Eduardo Camareno besucht. So wie wir damals Wasser-Betroffene auf vier Kontinenten besucht hatten.
Was die Reporter bei Eduado Camareno antrafen, waren Wut, Enttäuschung, Verzweiflung – und Proteste. 180’000 Bauern und -bäuerinnen produzieren in Chiapas, dem ärmsten Bundesstaat Mexikos, fast 40 Prozent der nationalen Kaffeemenge. Der Kilopreis ist dieses Jahr massiv gefallen. Die Situation der Bauern hat sich massiv verschlechtert.
Die Kleinproduzenten sind zwar nicht verpflichtet, an Nestlé zu verkaufen, doch ausser Nestlé gibt es in der Region, so die Feststellung von Public Eye, praktisch keine Käufer. Der Tenor der Proteste ist entsprechend: «Wir leben vom Kaffee. Wir haben Familien zu ernähren. Aber mit dem Preis, den uns Nestlé zahlt, geht es nicht auf. Faktisch sind wir Sklaven von Nestlé.»
Der von Nestlé bezahlte Preis deckt kaum die Produktionskosten. Die Folgen sind fatal. Viele der Bäuerinnen und Bauern geraten in eine Armutsspirale. Die Jungen versuchen sich in die USA abzusetzen. Dabei, so einer der Bauern, würden sie nur verlangen, dass der Nescafé-Plan zu dem werde, war er sein sollte, ein Programm, in dem Kaffeeproduzenten und Nestlé zusammenarbeiten – zum Nutzen aller.
Auch die aktuelle Konzernkommunikation befeuert mein Déjà-vu. Auf Einzelheiten geht Nestlé nur nach und nach ein. Auf der Website verkündet das Unternehmen zur Situation in Mexiko: «Im Februar dieses Jahres trafen sich Nestlé-Kolleginnen und -Kollegen mit Vertretern der Kaffeebauern aus Chiapas und den lokalen Regierungsbehörden. Die Angelegenheit wurde zur allgemeinen Zufriedenheit aller Parteien gelöst.»
Man lese dazu das Magazin von Public Eye.
Ich habe meinen Job als Dokumentarfilmer altershalber aufgegeben. Grundfragen sind geblieben. Wie weit halte ich an jahrelang herausgebildeten Konsumgewohnheiten fest? Wo setze ich Grenzen? Wo verabschiede ich mich von Liebgewonnenem? Weniger, um die Welt zu verbessern, als vor mir selber bestehen zu können?
Ich trinke nun – endlich – löslichen Kaffee aus der Fairtrade-Produktion. Was bleibt, ist ein fahler Nachgeschmack. Er liegt nicht an meinem neuen Kaffee.
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FUSSNOTE
1 Public Eye (ehemals Erklärung von Bern) definiert sich als eine Organisation, die seit 1968 Menschenrechtsverletzungen aufzeigt, die von Schweizer Unternehmen im Ausland verursacht werden.
Autor Urs Schnell
Urs Schnell arbeitete während Jahren für Print, Radio und Fernsehen. 2006 war er Mitbegründer der Filmproduktionsfirma DokLab GmbH in Bern. 2012 brachte DokLab unter der Regie von Schnell den Dokumentarfilm «Bottled Life – Nestlés Geschäfte mit dem Wasser» in die Kinos. «Bottled Life» zeigt, wie Nestlé auf der ganzen Welt billig Wasser abpumpt und durch den Verkauf in Flaschen Milliardenumsätze erzielt.
«Bottled Life» kann man hier streamen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Offenbar vermögen die am Weltmarkt erzielbaren Preise die Produktionskosten nicht zu decken. Je nach Wirtschaftsordnung – Plan- oder Marktwirtschaft – gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, dem zu begegnen. In einer Marktwirtschaft dient der Preis dazu, ein Gleichgewicht zwischen Nachfrage und Angebot herzustellen. Sinkt also z.B. der Milchpreis, so muss entweder die Milch subventioniert oder deren Produktion reduziert werden. Analog stellt sich die Frage, ob wir es beim Kaffe nicht schlicht mit einer Überproduktion zu tun haben. Möglicherweise hat Nestlé mit dem erwähnten, gut gemeinten Programm zu deren Entstehung beigetragen. Die ganze Verantwortung für diese Situation Nestlé zuzuschieben, scheint mir dennoch etwas fragwürdig.
Nicht weniger problematisch fand ich den sehr plakativen Film «Bottled Life». Vielerorts fehlen leider Wasserversorgungen wie hierzulande. In Maine gibt es genug Wasser, die Konflikte dürften andere, auch von lokalen Akteuren zu verantwortende Gründe haben.
@Herr Helbling: Dies ist die einfache Marktsicht. Wenn die Machtverhältnisse (Wissen, Geld und Macht/Militär) ungleich sind, dann haben wir leider keinen freien Markt. Klar, Nestle nutzt die sich bietenden Möglichkeiten, die andere (die Politik) geschaffen haben. – Konzernverantwortung einfordern wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Konzernverantwortung einfordern – geschenkt! Mindestens soweit es sich um ökologische und/oder gesundheitliche Folgen bestimmter Aktivitäten handelt. Marktverhältnisse auszuschalten, das wäre dann aber noch eine ganz andere Hausnummer. Man mag Nestlé vielleicht vorwerfen, die Nachfrageperspektiven des qualitativ mittelmässigen und eher preisgünstigen Robusta-Kaffees komplett falsch eingeschätzt zu haben – letztlich (und natürlich in geringerem Ausmass) auch zum eigenen Schaden. Einen Einfluss militärisch gestützter Machtverhältnisse sehe ich hier jetzt nicht unbedingt – das müsste erst noch konkret dargelegt werden. Nicht zu vergessen ist, dass die Marktverhältnisse durch den Eintritt neuer Prodzenten wie etwa Vietnam auf den Kopf gestellt wurden.
Nestlés Preis liegt deutlich unter dem Vorjahrespreis, obwohl der Robusta-Preis an der global massgebenden Londoner Börse im selben Zeitraum um 50% auf den höchsten Wert seit dreissig Jahren kletterte. Da machen Sie, Herr Helbling, also eine merkwürdige Auslegung. –
Zu „Bottled Life” schreiben Sie, in den Abgrabungsgebieten von Maine gebe es „genug Wasser”. Da sind weite Teile der betroffenen Bevölkerung seit Jahren anderer Meinung. Zum Einfluss der Flaschenwasserproduktion auf den weltweiten Grundwasserbestand in sensitiven Gebieten empfehle ich Ihnen – zwölf Jahre nach unserem Film – die Lektüre einer UN-Studie aus dem letzten Jahr.
1) Dann wäre den Bauern in Chiapas wohl zu raten, andere Käufer für ihre Ernte zu suchen. (Es sei denn, Nestlé hätte im vorangehenden Jahr einen ausnehmend guten Preis bezahlt.)
2a) Ich habe vor einiger Zeit mal zu einem berichteten Einzelfall ein wenig nachrecherchiert und herausgefunden, dass es dort v.a. um den LKW-Verkehr ging. (Das Bahngleis in jenen Ort war notabene stillgelegt worden.)
2b) Grundsätzlich dürften Trinkwasserversorgungen mit Flaschenwasser die Grundwasserspiegel weniger stark absenken als Leitungsnetze, da Letztere ja allein schon aus hygienischen Gründen relativ grosse Durchflussmengen erfordern (und aufgrund des einfachen Bezugs natürlich auch leichter ermöglichen). Hinzu kommt, dass das Trinkwasser dabei leichter von wasserreichen in wasserarme Gebiete verschoben werden kann. Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass die wirklich grossen Mengen v.a. von der Landwirtschaft beansprucht werden. Peter Brabeck (!) wies hierzu auf den Unsinn von «Agrofuel» hin.
Danke, Urs Schnell. Mein Eindruck: je grösser der Konzern, desto vollmundiger die Versprechen und umso grösser die Verbrechen! Wie ist das möglich: Der Konsum und die Produktion liegen weit auseinander und die Ausbeutung ist selten zu sehen. – Auch Fairtrade ist nicht wirklich transparent! Gebana macht es besser! Konzernverantwortungs-Initiativen sind zu unterstützen!