Bundesgericht weckt Zweifel an eigener Neutralität
Der Ausbau des Schweizer Mobilfunknetzes ist auch juristisch umstritten. Tausende Baugesuche für Mobilfunkantennen sind durch Einsprachen blockiert. Immer wieder landen die Fälle vor dem Bundesgericht in Lausanne.
So müssen wegen dem jüngsten Urteil hunderte Antennen aller drei Anbieter in der ganzen Schweiz ihre Leistung drosseln (Infosperber berichtete).
Doch während Bundesrichterinnen und -richter die Interessen der Telekommunikationsanbieter beurteilen, bezahlt das Bundesgericht dem Schweizerischen Verband der Telekommunikation Asut, welcher die Interessen der Mobilfunkanbieter Salt, Sunrise und Swisscom vertritt, jährlich Geld. Das Bundesgericht ist nämlich Asut-Mitglied. Und Asut setzt sich als politischer Arm der Unternehmen auch in Bern für einen beschleunigten Ausbau des Mobilfunknetzes ein.
Die Presseabteilung des Bundesgerichts sowie Asut-Geschäftsführer Christian Grasser bestätigen gegenüber Infosperber, dass das Bundesgericht ordentliches Asut-Mitglied ist und den Mitgliederbeitrag bezahlt. Gemäss Bundesgericht handelt es sich dabei um jährlich 1’191.25 Franken.
Bundesgericht sollte «Anschein» von Befangenheit vermeiden
Markus Felber berichtete jahrzehntelang für verschiedene Schweizer Medien übers Bundesgericht. Heute ist er selbständiger Berater spezialisiert auf Rechtskommunikation. Felber sagt Infosperber: «Mir war nicht bekannt, dass das Bundesgericht Mitglied eines Interessenverbands ist. Das ist ein Unding und erweckt den Anschein der Befangenheit.»
Rainer Schweizer, emeritierter Professor für Staatsrecht, ist derselben Ansicht. «Das Bundesgericht sollte grundsätzlich nicht Mitglied eines privatwirtschaftlichen Interessenverbands sein. Dies kann den Anschein der Befangenheit erwecken.»
Informatikabteilung will auf neustem Stand der Technik sein
Vom Bundesgericht heisst es, die Organisation sei seit über zehn Jahren Asut-Mitglied: «Die Mitgliedschaft betrifft ausschliesslich den Informatikdienst des Bundesgerichts und hat einzig den Zweck, jederzeit über den aktuellsten Stand der technischen Entwicklung auf dem Laufenden zu sein.»
Das Bundesgericht führt hauptsächlich an, dass der Informatikdienst des Bundesgerichts zur Gerichtsverwaltung des Bundesgerichts gehöre. Die Gerichtsverwaltung habe inhaltlich nichts mit der Rechtsprechung zu tun und deshalb keinen Einfluss auf deren Unabhängigkeit.
Der Informatikdienst des Bundesgerichts sei zudem Mitglied folgender Gruppen: OSB Open Source Business Alliance, CH-Open, SI Schweizer Informatik Gesellschaft, Ada Switzerland und Verein eJustice.CH.
Wie die Asut-Mitgliedschaft zustande kam, will das Gericht nicht sagen. Infosperber wollte wissen: Wann begann sie? Ging das Bundesgericht auf Asut zu? Oder nahm Asut Kontakt mit dem Bundesgericht auf?
Das Bundesgericht antwortete: «Was die Geschichte unserer Mitgliedschaft bei Asut betrifft, so können wir Ihnen leider keine weiteren Details nennen, da der damalige IT-Chef nicht mehr im Amt ist.»
Asut verlangte explizites Engagement
Die passive Darstellung der Mitgliedschaft widerspricht jedoch den Asut-Vorgaben. In den aktuellen Asut-Statuten etwa steht: «Die Mitglieder unterstützen den Verband und seine Zielsetzungen aktiv, indem sie nach Möglichkeit in den Kommissionen und weiteren Verbandsgremien mitarbeiten.»
Asut-Geschäftsführer Grasser schreibt Infosperber dazu: «Alle unsere Mitglieder haben dieselben Rechte und können unsere Informationsangebote, Fachgremien und Anlässe nutzen. Ausser dem jährlichen Mitgliederbeitrag haben die Verbandsmitglieder keine Pflichten gegenüber der Asut.»
Ist das Bundesgericht auch Regulierungsbehörde?
Die Mitgliedschaft verstösst womöglich auch gegen einen anderen Passus der Asut-Statuten. Diese schliessen nämlich eine Mitgliedschaft von Regulierungsbehörden und ihren Mitarbeitenden aus. Asut-Geschäftsführer Grasser schreibt: «Die Regulierungsbehörde im Telekommunikationsbereich ist die ComCom. Das Bundesgericht ist hingegen keine Regulierungsbehörde, sondern gehört zur Judikative.»
Markus Felber sieht dieses Argument kritisch. «Das Bundesgericht beaufsichtigt die Telekom-Regulierungsbehörde ComCom und ist über dem Bundesverwaltungsgericht deren oberste Kontrollinstanz.»
«Höchstrichterliche Schlaumeierei»
Das Bundesgericht selber ist nicht der Ansicht, dass es sich in einem möglichen Interessenkonflikt befindet. Und zwar weil der Telekom-Verband Asut in den Mobilfunkrechtsfällen nicht direkt selber Partei sei.
Auf Infosperber-Anfrage lässt das Bundesgericht verlauten: «Die Frage eines Anscheins von Befangenheit beziehungsweise eines Interessenkonflikts könnte sich höchstens dann stellen, wenn die betreffende Vereinigung Partei eines vor dem Bundesgerichts hängigen Verfahrens wäre. Ein solcher Fall ist in der Vergangenheit unseres Wissens nie eingetreten.»
In den aktuellen Asut-Statuten steht allerdings: «Zweck des Verbands sei die Vertretung der Interessen der Verbandsmitglieder gegenüber den Regulierungsbehörden, den politischen Behörden, sowie Verbänden und Öffentlichkeit.»
Markus Felber hält die Begründung des Bundesgerichts deshalb für «höchstrichterliche Schlaumeierei.» Sofern der Verband verpflichtet sei, die Interessen seiner Mitglieder zu wahren, liege ein klarer Interessenkonflikt vor, wenn das Bundesgericht einerseits Mitglied des Verbands ist und andererseits im Streit um die Interessen eines Verbandsmitglieds letztinstanzlich urteilt.
Mitgliedschaft «erscheint nicht mehr erforderlich»
Gleichwohl hat das Bundesgericht die Asut-Mitgliedschaft als Folge der Infosperber-Recherche evaluiert. «Angesichts des nunmehr umfassenden Fachwissens des Informatikdienstes des Bundesgerichts», schreibt es in seiner Antwort, «erscheint eine solche Mitgliedschaft als nicht mehr erforderlich.»
Ob das Gericht deshalb aus dem Verband austritt, lässt es aber vorerst offen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein zusätzliches pikantes Detail der Asut: Ihre Generalveranstaltung fand ausgerechnet beim Eidgenössischen Institut für Metrologie (METAS) statt, das ist das Bundesamt, welches die Berechnungsgrundlagen für Messungen der Mobilfunkstrahlung «herstellt». Forschungschef des Instituts ist Hugo Lehmann, der zuvor jahrzehntelang bei der Swisscom arbeitete und der 2019 bei einem Workshop der FSM (Forschungsinstitut für Strom und Mobilfunk) aussagte, dass 5G ohne eine 16-fache Leistungserhöhung nicht realisiert werden könne.