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Seit 2018 mit kritischem Blick im Bundeshaus unterwegs: SRF-Journalist André Ruch. © SRF Reporter

«Als Journalisten sind wir meist zu spät»

Pascal Sigg /  SRF-Journalist André Ruch begleitete für eine Doku eine Lobbyistin – und war «bass erstaunt». Ein Interview über Einflussnahme.

SRF-Journalist André Ruch durfte die Lobbyistin Fabienne Thomas wochenlang begleiten: An Sessionen des Parlaments in der Wandelhalle des Bundeshauses, an Sitzungen der Kampagne für die Abstimmung übers Referendum, an einem teuren Mittagessen mit Parlamentsmitgliedern. So erhielt der ehemalige Bundeshauskorrespondent einen einmaligen Blick hinter die Kulissen der Schweizer Politik.

«Kassensturz» und Bundeshaus

Der 45-jährige André Ruch arbeitet seit über 25 Jahren im Journalismus. Von 2018 bis 2023 war er bei SRF Bundeshausredaktor. Seit Januar 2024 moderiert er das Konsummagazin «Kassensturz». Er macht aber auch Beiträge fürs Dokuformat «SRF Reporter» und will sich dabei weiterhin auf Bundeshausthemen konzentrieren. Vor dem Lobbying-Film erschien von ihm ein Film über die vergangene Bundesratswahl.

André Ruch, es wird in letzter Zeit viel übers Lobbying im Parlament berichtet. Weshalb wollten Sie ausgerechnet diesen Film machen?

Als Bundeshauskorrespondent lernte ich etliche Lobbiyst:innen kennen. Ich habe beobachtet, dass in der Wandelhalle viele Gespräche zwischen Lobbyistinnen und Lobbyisten und Parlamentsmitgliedern stattfinden. Aber ich hatte keine Ahnung, wie und worüber gesprochen wurde. Da wollte ich näher ran und mit einem Ansteckmikrofon zuhören.

Viele lehnten die Anfrage ab, eine Lobbyistin fürs Stromgesetz aber sagte zu. Was überraschte Sie am Einblick, den Sie via Fabienne Thomas erhielten?

Ich war schon sehr erstaunt, wie viel sie eingriff und wie eng die Beziehungen zu einigen Parlamentsmitgliedern sind. Sie hat sich als Expertin etabliert und geniesst hohe Glaubwürdigkeit. So kann sie gar Gesetzestexte vorformulieren und den Politiker:innen Statements für Werbefilme vorschlagen.

Der Film zeigt ja auch, dass die Politikerinnen und Politiker regelrecht auf die Lobbys angewiesen sind. Sind sie denn schlicht überfordert?

Eher. Als Parlamentarier:in müsste man sich in zahlreichen Fachgebieten im Detail auskennen. In der Rüstungspolitik, in der Sozialpolitik etwa, man muss wissen, was ein Schleppschlauch ist und wer aktuell ein bestimmtes Land regiert. Es ist für eine einzelne Person schlicht nicht möglich, alle Unterlagen zu lesen und über all diese Details, die im Parlament diskutiert werden, Bescheid zu wissen. Konkret gibt es in jeder Partei Spezialist:innen, die sich bei bestimmten Themen gut auskennen und dann ihre Parteikolleg:innen beraten. Und dann gibt es eben die Lobbyistinnen und Lobbyisten, die bei diesen Wissenslücken einspringen.

Eine offene Herangehensweise an komplexe politische Probleme könnte auch der Journalismus bieten. Ist das Bundeshaus gut genug abgedeckt?

Es kann nie gut genug abgedeckt sein. Der Journalismus wäre zwar ein mögliches Korrektiv, um den Lobbyist:innen auf die Finger zu schauen und auch deren Arbeit transparent zu machen. Doch wir sind meist zu spät. Wenn Journalisten über ein Geschäft berichten, ist es meist längst gelaufen. Wir Journalisten warten zum Beispiel häufig die Vernehmlassungen ab. Aber sobald der Bundesrat sagt, dass er sich ein Thema zur Brust nimmt, beginnen die Lobbys zu arbeiten und versuchen monatelang, das neue Gesetz zu beeinflussen. Zuerst in der Vernehmlassung, dann in den Parlaments-Kommissionen. Wenn ein Gesetzesentwurf dann ins Parlament kommt, ist der Mist meist geführt. Journalist:innen haben die Kapazitäten schlicht nicht, um da überall hinzuschauen. Der Journalismus kann nicht das einzige Korrektiv sein.

Sie konnten auch bei einem Mittagessen für Parlamentsmitglieder dabei sein. Wein, sehr gutes, teures Essen, alles war gratis. Sie fragten, ob das nicht etwas korrupt sei. Wo geht für Sie als Bürger die Einflussnahme zu weit?

Ich als Bürger finde das Lobbying zumindest diskutabel. Stand heute ist es aber legal. Von Korruption zu reden, wäre falsch: Lobbying ist heute im Miliz-System so vorgesehen. Heute ist es normal, dass Interessengruppen mit kostspieligen Lunches um die Aufmerksamkeit der Parlamentsmitglieder buhlen. Und dass diese Mandate und Sitzungsgelder von Interessengruppen erhalten.

Was müsste aus Ihrer Sicht geändert werden?

Die Alternative zum Miliz-Parlament wäre ein Berufsparlament. Das würde  wohl fast gleich funktionieren: Da hätte jedes Ratsmitglied dann einen Stab von Referenten, der die wichtigen Geschäfte analysiert und vorbereitet – ob das besser ist als der Rat von verschiedenen Lobbyisten, sei dahingestellt. Egal mit welchem System: Was hilft, ist Transparenz. Wir wissen auch wenig darüber, wer tatsächlich in der Wandelhalle ein und aus geht.

Der Film zeigt ja auch, dass die Präsenz vor Ort in der Wandelhalle doch sehr wichtig ist.

Ja. Parlamentsmitglieder dürfen zwei Zutritts-Badges vergeben – darüber gibt es eine öffentliche Liste. Aber sie dürfen auch Gäste und Tagesbesucher einladen – so gelangen sehr viele Lobbyistinnen und Lobbyisten in die Wandelhalle. Über diese Gäste wird keine Liste geführt, obwohl dies sehr einfach wäre. Auch dies sollte transparent sein. Ich finde, wenn das Parlament schon auf Lobbyisten angewiesen ist, sollten möglichst verschiedene Lobbys Zugang erhalten, so dass möglichst viele Interessensgruppen in der Wandelhalle vertreten sind. Es gäbe betreffend Transparenz noch Luft nach oben.


Der ganze SRF-Film über das Lobbying zur Stromgesetz-Revision.

Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Pascal Sigg ist Infosperber-Redaktor und Mitglied von Lobbywatch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Lobbyist_Hand

Macht und Einfluss von Lobbys

Für Anliegen zu lobbyieren ist legitim. Doch allzu mächtige Lobbys korrumpieren Politik und Gesellschaft.

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Pascal Sigg

Pascal Sigg ist Redaktor beim Infosperber und freier Reporter.

3 Meinungen

  • am 8.08.2024 um 14:17 Uhr
    Permalink

    Wenn «kostspielige Lunches» im Raum stehen ist es nicht mehr normal, sondern bereits passive Korruption. Vor langer Zeit hatten diese Berater aka. Lobbyisten eine durchaus noble Funktion, perfekt für echte ehrliche Milizparlamentarier. Mit den heutigen Umständen haben wir ein de facto Berufsparlament, indem jede*r intransparente Geldquellen hat und zudem manche Vorteile in Naturalien geniessen. Ein kostspieliger Lunch da, ein Reisli dort, z. B. in die Emirate. Den besten wird zusätzlich ein späteres VR-Mandat in Aussicht gestellt. Das hat leider zu einem hochkorrupten und anfälliges System geführt, das verständlicherweise keine*r wirklich ändern will, ausser vielleicht kurz vor den Wahlen.

    • am 9.08.2024 um 10:33 Uhr
      Permalink

      Ja, man sollte durchaus eine Preisobergrenze für gesponserte Mittagessen einführen. Wenn es wesentlich teurer ist als das, was sich ein Normalbürger je leisten würde, sollte es als Form der Bestechung gelten.

    • am 11.08.2024 um 07:17 Uhr
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      Vor über 30 Jahren, als ich Lobbyistin war, da haben alle an den Gesprächen im Restaurant beteiligten ihre ganze Zeche selber bezahlt. Etwas anderes kam gar nicht in Frage. Nicht einmal ein Kaffee wurde gesponsert.
      Falls die Begegnung in einem Büro statt fand, wurde den Gästen lediglich ein Kaffee oder ein Wasser serviert.

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