So wirr berichtet die «SoZ» über Scheinscheidungen von Rentnern
Auf der Frontseite vom 30. Juni köderte die «Sonntags-Zeitung» ihre Leserinnen und Leser mit der Schlagzeile:
«Findige Senioren erhöhen ihre Rente mit einem Trick».
Die vielen Seniorinnen und Senioren unter der Leserschaft der «Sonntags-Zeitung» werden mit Spannung weitergelesen haben. Sie erfuhren zwar bald, dass der «Trick» nicht ganz trivial ist: «Um der Heiratsstrafe zu entgehen», würden sich ältere Paare scheiden lassen. Dieser Trick der findigen Senioren sei «legal», präzisierte die «Sonntags-Zeitung». Pro Jahr «dürften sich ein paar Hundert Paare rein formal scheiden lassen».
Letzte Woche habe der Bundesrat die Abschaffung der «AHV-Heiratsstrafe» abgelehnt. Doch viele Rentnerpaare würden dem Staat schon lange «ein Schnippchen schlagen». Eine rein formale Scheidung könne man ohne Anwalt beantragen und koste laut einem Scheidungsanwalt nur etwa 1500 Franken.
Laut «Sonntags-Zeitung» ist dies ein Trick, der sich offensichtlich lohnt, um dem sturen Bundesrat eins auswischen können.
Über dem gross aufgemachten Artikel auf der Inlandseite prangte der Titel:
«Pfiffige Rentner erhöhen ihre AHV um 1000 Franken pro Monat».
Die gezeigte Grafik widersprach dem Geschriebenen: Laut Grafik haben sich In der Schweiz von 2018 bis 2022 lediglich 700 Paare im Alter von 63 Jahren (der Ehefrau) scheiden lassen, also 140 pro Jahr. Im Alter von 64 Jahren (der Ehefrau) ebensowenige. Wie daraus «ein paar Hundert» pro Jahr werden, die sich nur wegen der AHV-Rente rein formell scheiden lassen – wie es auf der Frontseite der «Sonntags-Zeitung» hiess – bleibt der Hochrechnung der «Sonntags-Zeitung» überlassen.
Die «Sonntags-Zeitung» weiss nicht einmal, ob die gegenüber dem Trend (gepünktelte Linie) leichte Zunahme der Scheidungen beim Übergang ins Rentenalter etwas mit der AHV zu tun hat oder mit neuen Lebensumständen bei der Pensionierung.
«Findige» und «pfiffige» Rentner – oder doch eher dumme Rentner
Doch die totale Verwirrung entsteht erst im zweiten Teil des langen Artikels. Autor Mischa Aebi zitiert noch einmal den Scheidungsanwalt, wonach eine Scheinscheidung beim Tod eines Ehepartners «zur Falle werden» könne: «Wenn einer stirbt und ein Vermögen hinterlässt, muss der Überlebende Erbschaftssteuern zahlen.»
Es sollte noch dicker kommen: Ganz am Schluss des Artikels stellt die «Sonntags-Zeitung» fest:
«Statistisch betrachtet haben Ehepaare keinen Grund zu klagen. Im Gegensatz zu Konkubinatspaaren bekommen sie nämlich nach dem Tod eines Ehepartners Witwenrenten und unter Umständen weitere Rentenleistungen. Insgesamt zahlt die AHV für solche ehespezifische Leistungen pro Jahr 400 Millionen Franken mehr, als dass sie mit der als ungerecht empfundenen Plafonierung der Eherenten spart.»
Und die «Sonntags-Zeitung» folgert logisch:
«Streng genommen, ist die Heiratsstrafe also ein Heiratsbonus.»
Fazit: Rentnerpaare, die sich wegen ihrer reduzierten Maximalrente scheiden lassen, sind meistens weder «findig» noch «pfiffig», sondern eher kurzsichtig oder dumm.
Eine noch stärkere Verwirrung mit den «findigen» und «pfiffigen» Rentnern und ihren «Tricks» und «Schnippchen» könnte auch der altersbedingt eingeschränkte Präsident Joe Biden nicht schaffen.
Um die ganze «Aufmachergeschichte» der «Sonntags-Zeitung» zu retten, fand Autor Mischa Aebi im allerletzten Satz doch noch einen Fall, bei dem eine Scheinscheidung für Rentnerpaare nicht zu einem Fiasko wird:
«Wenn zwei spät Geschiedene dereinst zur gleichen Zeit sterben, dann hat sich ihre Scheinscheidung auch für die Ewigkeit gelohnt.»
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NACHTRAG
SoZ-Autor Mischa Aebi erklärt, er habe mit seiner Aussage «Streng genommen, ist die Heiratsstrafe also ein Heiratsbonus» den lebenslangen Vergleich von Verheirateten mit Konkubinatspaaren gemeint. Wenn sich Verheiratete erst beim Übertritt ins Rentenalter scheiden liessen, hätten diese bis dahin vom AHV-Heiratsbonus profitiert und könnten jetzt im Rentenalter vom Konkubinatsbonus profitieren. Der Vorteil der – im Rentenalter ohnehin eingeschränkten – Witwer- und Witwenrenten für hinterbliebene Verheiratete falle nicht mehr ins Gewicht, weil die Wahrscheinlichkeit, im Alter mit einem grossen Altersunterschied zu sterben, viel kleiner sei. Soweit Aebi.
Von einem wichtigen Heiratsbonus profitieren auch Pensionierte: (Schein-)Geschieden müssen auf Geerbtes vom Partner oder der Partnerin rund 40 Prozent Steuern zahlen, während bei Verheirateten beim gegenseitigen Erben jegliche Steuern wegfallen.
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Nach Infosperber haben von der «NZZ» bis zum «Sonntags-Blick» auch andere Medien darüber informiert, dass «Heiratsstrafe» ein PR-Begriff der früheren CVP und heutigen Mitte ist, mit dem das Gerhard-Pfister-Team die Rentnerinnen und Rentner auf unlautere Weise für sich gewinnen möchte:
«Sonntags-Blick» im Infosperber vom 23.12.2019
«Heiratsstrafe» sollte zum Unwort des Jahres gekürt werden
«NZZ» im Infosperber vom 16.2.2016
Die NZZ merkt, was Infosperber schon lange klarstellte
Bundesgerichtsurteil von 2013 im Infosperber vom 19.3.2015
Konkubinatspaare bleiben trotz doppelter AHV-Rente benachteiligt, stellte das Bundesgericht fest
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
«Streng genommen, ist die Heiratsstrafe also ein Heiratsbonus.»
Nicht einmal so streng genommen, ist der Artikel in der SoZ ganz einfach Schrott, Journalistenschrott.
Abgesehen davon, dass das Thema bei allen AHV-Ehepaaren schon früh vor der Pensionierung diskutiert wird, also bei Pensionierung längst durch ist, nur ein Stichwort: Erbrecht?