Im Auto fahren Spione mit
Moderne Autos registrieren nicht nur schnelles Beschleunigen und Abbremsen, abrupte Spurwechsel, rassige Kurvenfahrten oder Tempoüberschreitungen. Dank Minikameras mit Fokus auf die Person am Steuer erfassen sie auch, ob diese aufmerksam ist oder sich ablenken lässt, ob sie sich auf die Strasse konzentriert oder Müdigkeitserscheinungen zeigt. Aus solchen Daten lassen sich Fahrerprofile erstellen, die anzeigen, wie jemand Auto fährt: sicher oder unkontrolliert, aufmerksam oder unachtsam, vorsichtig oder riskant, hellwach oder unausgeschlafen.
Die Hersteller bewerben diese Fahrerüberwachung mit dem Argument, sie erlaube den Kunden ein realistisches Feedback über ihre Fahrweise und helfe ihnen, sich zu verbessern. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. Kompliziert wird es, sobald solche Daten weitergegeben und von Dritten interpretiert werden.
Die Versicherer lechzen nach der gläsernen Kundschaft
Besonderes Interesse an solchen Profilen haben Autoversicherer. Denn sie wollen ihre Kunden und deren Risikopotenzial kennen, um die Prämienberechnung daran auszurichten. Sie offerieren Vertragsmodelle mit freiwilliger Fahrerüberwachung, um mit der Aussicht auf günstigere Prämien neue Kundschaft anzulocken.
Recherchen der New York Times haben jedoch ergeben, dass in den USA nur wenige Autofahrende von solchen Angeboten Gebrauch machen. Zu gross ist die Befürchtung, dass die Versicherer die gewonnenen Daten zu Ungunsten der Versicherungsnehmer auslegen könnten. Fahrerinformationen sind interpretationsbedürftig. Ein abruptes Bremsen zum Beispiel deutet nicht zwingend auf Rowdytum. Ein solches Manöver kann sinnvoll, ja nötig sein, um einen Unfall mit anderen Verkehrsteilnehmern zu vermeiden. Dafür möchte man nicht mit höheren Prämien bestraft werden.
Eine Welle von Prämiensteigerungen lässt aufhorchen
Viele Autofahrer in den USA sähen sich mit nicht gerechtfertigten, teils massiven Prämienerhöhungen konfrontiert, berichtet die NYT. Im Fokus stünden Besitzer von Fahrzeugmodellen aus dem Konzern General Motors. Der Grund: GM habe die gesammelten Fahrerprofile von Hunderttausenden Kunden an zwei Datenbrokerfirmen verkauft, die sie an Versicherer weitervermittelt hätten. Diese hätten dann bei vielen Kunden Prämienverteuerungen durchgedrückt wegen neuer Erkenntnisse über das Versicherungsrisiko.
Die Mär von der Einwilligung zur Datenweitergabe
Autohersteller und Datenbroker, die sich zusammengetan haben, um detaillierte Fahrdaten von Millionen von Amerikanern zu sammeln, sagten der NYT, dass sie die Erlaubnis der Lenker hätten, dies zu tun. Auch die Versicherer beriefen sich auf die angebliche Einwilligung der Kunden. Doch die Betroffenen gaben der NYT an, von der Datenweitergabe nichts gewusst zu haben, geschweige denn, ihr ausdrücklich zugestimmt zu haben.
Das sei kein Widerspruch: Die sogenannte «Einwilligung» stecke laut Abklärungen der NYT meist im verklausulierten Kleingedruckten oder in den Datenschutzrichtlinien der Kaufverträge, deren Tragweite kaum jemand richtig einschätzen könne. Oder sie werde abgeleitet aus dem Umstand, dass die Autobesitzer GMs mobile Fahrzeug-App «Smart Driver-Service» im Auto aktiviert hätten. Von einer willentlichen, bewussten Einwilligung zur Datenweitergabe könne dabei kaum je die Rede sein.
Die automobile Privatsphäre steht auf der Kippe
Jen Caltrider, eine Forscherin bei der US-Stiftung Mozilla, die im vergangenen Jahr die Datenschutzrichtlinien von mehr als 25 Automarken überprüft hat, sagte der NYT, dass die Fahrer wenig Ahnung davon hätten, wozu sie bei der Datenerfassung zustimmten. Es sei «unmöglich für die Verbraucher, die mit Juristenjargon gefüllten Richtlinien der Autohersteller, ihre vernetzten Dienste und ihre Apps zu verstehen». Sie bezeichnete Autos als «Albtraum für die Privatsphäre». Die Autohersteller seien wirklich gut darin, diese Überwachungsfunktionen mit der Sicherheit zu begründen, sagte Jen Caltrider, doch es gehe ihnen primär darum, «Geld zu verdienen».
General Motors sei nicht der einzige Autohersteller, der Daten über das Fahrerverhalten weitergebe, schreibt die NYT. Kia, Subaru und Mitsubishi täten das Gleiche, ebenso Honda und Hyundai. Auch bei vielen weiteren Marken könne eine systematische Datenweitergabe nicht ausgeschlossen werden.
Nach dem enthüllenden Bericht der NYT habe General Motors inzwischen mitgeteilt, nicht länger Fahrerprofile an die beiden Datenbrokern weiterzugeben, die Risikoprofile für die Versicherungsbranche erstellen.
In Europa wird das Fahrertracking per Kamera obligatorisch
Eine neue Verordnung der EU, welche auch die Schweiz übernimmt, schreibt vor, dass neue Autos ihre Lenker künftig ständig überwachen müssen. Dabei haben sie insbesondere die Augenbewegungen zu registrieren und Alarm zu schlagen, wenn der Blick zu lange von der Strasse abgewendet bleibt. Das soll die Sicherheit im Strassenverkehr erhöhen.
Die Konsumentenzeitschrift Saldo hat minutiös aufgelistet, welche Automarken welche Kamerasysteme einsetzen. Laut Verordnung dürfen die so gewonnenen Daten nicht weitergeleitet werden, sie dürfen ausschliesslich für die Warnsysteme im Fahrzeuginneren verwendet werden. Die Fahrer sollen diese Systeme ausschalten können, diese müssen sich jedoch bei jedem Neustart automatisch reaktivieren.
Die Verordnung verbiete explizit die Weiterleitung der Kamera-Daten an die Autohersteller, doch das sei nicht in jedem Fall gewährleistet, schreibt Saldo. Tesla zum Beispiel verweise im Handbuch darauf, dass das Videomaterial der Innenraumkameras «bei einem sicherheitskritischen Ereignis» automatisch an den Hersteller gesendet werde. Trotz gesetzlichem Anspruch sei es schwierig, von den Autoherstellern und -verkäufern Auskunft über das gesammelte Datenmaterial zu erhalten, bilanziert Saldo nach entsprechenden Recherchen.
Der Datenhunger der Autobranche ist unstillbar
Der deutsche Datenhändler High Mobility werbe damit, dass er fast 90 unterschiedliche Informationen aus den Fahrzeugsensoren herauslesen könne, schreibt die Konsumentenzeitschrift, darunter auch die «Fahrermüdigkeit». Solche Daten sind heutzutage pures Gold. Laut Saldo schätzt die Beraterfirma McKinsey, dass die weltweit gesammelten Autodaten schon heute rund 50 Milliarden Dollar wert seien.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.