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Ausweichverkehr auf der Hauptstrasse im Kanton Uri. © SRF

Bündner wollen Navis austricksen

Marco Diener /  Bündner Verkehrskadetten provozieren über Ostern auf den Ausweichrouten der A13 künstlichen Stau. Um die Navis auszutricksen.

mdb. Navigationssysteme machen bei Stau mitunter unsinnige Vorschläge. Sie schlagen Autofahrern vor, die Autobahn kurz zu verlassen und später wieder einzumünden. Das Resultat: Noch mehr Stau und Ärger in Dörfern und Quartieren entlang der Ausweichrouten. Über Ostern will die Bündner Polizei die Navigationssysteme austricksen. Verkehrskadetten sollen den Verkehr auf der Hauptstrasse entlang der A13 zeitweise sperren, damit die Fahrt länger dauert als auf der Autobahn. Die Folge: Navigationssysteme empfehlen die Hauptstrasse nicht mehr als Ausweichroute. Der Haken: Die Verkehrskadetten müssen den künstlichen Stau hin und wieder aufheben, damit der Chur-Bus freie Fahrt hat. Der Kanton Uri seinerseits setzt weiterhin auf die Schliessung der Einfahrten in Göschenen und Wassen. Infosperber bringt hier nochmals den Artikel von Mitte Februar 2024, der das Problem mit den Navigationssystemen beschreibt.

Sonntag für Sonntag das gleiche Bild auf der Umfahrungstrasse, der Nationalsstrasse 6, bei Frutigen im Berner Oberland: Am Nachmittag staut sich der Verkehr auf der N6 talauswärts. Denn auf der Höhe von Frutigen mündet die Strasse aus Adelboden in die Strasse aus Kandersteg. Das Verkehrsaufkommen ist zu gross. Die Einmündung ist ein Flaschenhals.

Die «Lösung»

Manche Navigationssysteme kennen aber eine «Lösung». Sie schlagen den Autofahrern und Autofahrerinnen vor, die Umfahrungsstrasse bei Frutigen kurz zu verlassen und in Reichenbach wieder einzubiegen. Dabei gibt es zwei Varianten: Der eine Schleichweg führt mitten durch den Dorfkern von Frutigen und auf Nebenstrassen durch Weiler wie Wengi und Buchholz. Der andere Schleichweg führt – ebenfalls auf Nebenstrassen – durch die Industriezone von Frutigen und das Dorf Kien.

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Die Empfehlung des Navigationssystems (in Blau): In Frutigen (unten) kurz weg von der Nationalstrasse N6 und in Reichenbach (oben) wieder drauf. Die Folge: Der Verkehr staut sich auf der N6 von Reichenbach bis zurück nach Frutigen (schwach in Rot und Orange).

Das Resultat: Der Verkehr staut sich nicht nur in Frutigen, sondern zwei weitere Male bei den Einmündungen in Reichenbach. Die Navigationssysteme sorgen also für zusätzlichen Stau.

Durch Urdorf statt auf der Autobahn

Das Kandertal ist kein Einzelfall. Navigationssysteme funktionieren in der ganzen Schweiz so. Etwa in der Region Zürich. So gut wie jeden Morgen bildet sich südlich des Limmattaler Kreuzes ein Stau in Richtung Norden. Navigationssysteme schlagen den Automobilisten vor, die Autobahn zwischen Uitikon und Urdorf-Nord kurz zu verlassen.

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Bei Stau auf der A3 empfiehlt das Navi die Fahrt durch die Birmensdorferstrasse in Urdorf.

Die Leidtragenden sind einerseits die Bewohner von Urdorf, durch das sich der Ausweichverkehr ergiesst. Und andererseits die Fahrzeuglenker auf der Autobahn. Denn weil sich der Ausweichverkehr bei der Einfahrt Urdorf-Nord wieder auf die Autobahn zwängen muss, verursacht er einen neuerlichen Stau.

Den Rathausstutz hinunter in die Hintere Gasse

Doch Navigationssysteme empfehlen ihren Benützern nicht nur, mal kurz die Autobahn zu verlassen, um einen Stau zu umfahren. Sie machen auch innerorts Empfehlungen. Zum Beispiel in Davos GR.

Darunter leiden die Anwohner. Wenn nämlich die Talstrasse verstopft ist, dann schlagen Navigationssysteme einen Schleichweg durch Quartiersträsschen wie den Rathausstutz oder die Hintere Gasse vor. Stellenweise können nicht einmal zwei Autos kreuzen.

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Navi-Empfehlung bei Stau in Davos. Zuerst durch enge Quartiersträsschen und anschliessend über Flurstrassen, die mit Tempo 30 belegt sind.
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Hintere Gasse in Davos: Bei Stau auf der Talstrasse schlägt das Navi diesen Schleichweg vor. Kreuzen unmöglich.

Zuerst durch die Agglomeration, dann durch die Rebberge

Besser ist es auch am Genfersee nicht. Häufig sind die Autobahnen A1 und A9, die um Lausanne herumführen, verstopft. Dann schlagen Navigationssysteme den Autofahrern vor, die Autobahn in Crissier zu verlassen und in Morges-West wieder einzumünden. Der Zehn-Kilometer-Schleichweg führt durch die Agglomerationsgemeinde Bussigny, die Dörfer Echandens, Denges und Préverenges sowie das Städtchen Morges.

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Stau auf der A1 Richtung Genf: Zunächst empfiehlt das Navi den Schleichweg über Bussigny. Doch sobald auch dieser verstopft ist…

Und wenn es auch auf diesem Schleichweg kein Durchkommen mehr gibt, dann wissen Navigationssysteme trotzdem Rat. Sie empfehlen die Fahrt durch die Waadtländer Rebberge, über die verkehrsberuhigten Strassen im kleinen Dorf Bremblens und – obwohl sich der Verkehr dort längst staut – ebenfalls hinunter ins Städtchen Morges. Bei der Einfahrt Morges-West provozieren dann all jene, die den Stau umfahren haben und wieder auf die Autobahn drängen, einen neuerlichen Stau.

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…geht es durch die Rebberge bei Bremblens.

Da und dort scheint der Leidensdruck ziemlich gross zu sein. Die Gemeinde Urdorf teilt mit, sie sei «mit der Hauptachse Birmensdorferstrasse, die parallel zur Autobahn führt, seit Jahren durch massiven Durchgangs- und Schleichverkehr geplagt». Sie würde es begrüssen, wenn Navigationssysteme keine solchen Vorschläge machen würden.

Aber Einfluss auf die Anbieter von Navigationssystemen hat die Gemeinde nicht. Dafür versuche sie, bei Bund und Kanton Einfluss zu nehmen: «Wir tun dies beharrlich.» Und: «Auch die Moral der Automobilisten ist angesprochen: Angesichts der negativen Auswirkungen von Durchgangs- und Schleichverkehr für die Gemeinde sind sie angehalten – trotz Stau –, Urdorf auf der Autobahn zu umfahren.»

Die Gemeinde Reichenbach im Kandertal sperrt seit einiger Zeit einen der beiden Schleichwege für alle Nicht-Zubringer – aber nur an acht Tagen pro Jahr. Für mehr Sperrungen bräuchte es eine Bewilligung des Kantons. Die Gemeinde teilt mit: «Dieser temporäre Zubringerdienst wird jeweils im Winter und im Frühling an Schönwetter-Wochenenden eingesetzt.»

Der Appell des Astra

Vor Weihnachten lancierte das Bundesamt für Strassen (Astra) einen Appell an die Autofahrer und Autofahrerinnen unter dem Titel: «Ortschaften entlasten – bei Stau auf der Autobahn bleiben.» Es schrieb von «unerwünschtem Ausweichverkehr». Und weiter: «Dieser belastet die Menschen in den Ortschaften entlang der Nationalstrassen und führt zum Verkehrskollaps in den betreffenden Regionen.» Private und Gewerbler, Busse und Postauto, Fussgänger und Velofahrer auf Kantons- und Gemeindestrassen würden behindert, und das Unfallrisiko steige.

Um Durchgangsverkehr zu verhindern, schliesst das Astra bei Bedarf die Autobahneinfahrten in Göschenen und Wassen UR. Damit lässt sich Ausweichverkehr durch die Dörfer zwischen Amsteg und Göschenen verhindern oder zumindest reduzieren. Auch die Autobahneinfahrt in Airolo TI bleibt oft geschlossen. Einfluss auf die Anbieter von Navigationssystemen hat aber auch das Astra nicht.

Keine Antworten von Google

Infosperber fragte Google:

  • Finden Sie eine Ausweichroute durch enge Quartierstrassen in Davos sinnvoll?
  • Finden Sie eine Ausweichroute durch Rebberge und kleine Dörfer rund um Lausanne sinnvoll?
  • Finden Sie eine Ausweichroute durch staugeplage Orte wie Urdorf sinnvoll?
  • Warum schlagen Sie Ausweichrouten vor, die bei der Einmündung in die Hauptroute zu zusätzlichem Stau führt?

Doch Google beantwortete die Fragen nicht. Stattdessen erhielt Infosperber einen Link zu einem Google-Blog und die Standardantwort: «Wir berücksichtigen eine Vielzahl von Faktoren, um die beste Fahrtroute zu liefern, einschliesslich Strassenbreite, Direktheit, geschätzte Reisezeit und Kraftstoffeffizienz.»

Viele fahren noch immer durch Wilderswil

Im August hat der Kanton Bern die Umfahrungsstrasse in Wilderswil eröffnet. Das Dorf bei Interlaken ist verkehrsgeplagt, weil es am Tor zu den Lütschinentälern mit den Tourismusorten Grindelwald, Mürren und Wengen liegt. Trotz der Umfahrungsstrasse fahren an Spitzentagen immer noch 5000 Autos durchs Dorf. Der Grund: Die Anbieter von Navigationssystemen haben zwar die Umfahrungsstrasse in ihre Karten aufgenommen. Aber viele Autofahrer haben noch kein Update gemacht. Und sie vertrauen offenbar eher dem veralteten Navigationssystem als den neuen Wegweisern.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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3 Meinungen

  • am 29.03.2024 um 17:24 Uhr
    Permalink

    Wie wäre es wenn man die Bevölkerung nicht mehr vergrössern würde? Die Ausbauten auf den Strassen nützen rein gar nichts wenn es immer mehr Menschen in der kleinen Schweiz gibt. Auch der Strategielose Ausbau der A1 ist für mich nicht Zielführend. Wir werden in 20 Jahren um einen weiteren Ausbau nicht herum kommen wenn das Bevölkerungswachstum so enorm weiter geht. Zuerst muss eine Strategie her wie man die Bevölkerung begrenzen kann und dann kann man die Infrastruktur für diese Planen ansonsten hinkt man mit dem Ausbau hinter her. Den Staus auf den Strassen kann nur mit Ausbau entgegengewirkt werden oder mit der Begrenzung der Bevölkerung. Ich bin ganz klar für das zweite denn ich will unsere Schweiz nicht verschandeln.

    • am 31.03.2024 um 17:54 Uhr
      Permalink

      Sind Sie etwa der «Antinatalist» von Watson? Glauben Sie mir, es hat viel mehr Platz auf der Welt als es jemals brauchen wird also beruihgen Sie sich.

  • am 30.03.2024 um 16:10 Uhr
    Permalink

    Der emeritierte Verkehrsforscher Hemann Knoflacher hat den Stau nicht als Symptom von Überlastung bezeichnet, sondern als Lösung zur Gesamtregulierung des Verkehrs. Dort wo es staue, sinke die Verkehrsleistung und der Verkehr werde andernorts flüssiger. Umgekehrt führt die konventionelle Meinung z.B. von Astra, Bundesrat, bürgerlichen Parteien, usw., welche die Strassen ausbauen möchten zu einer lediglich lokalen und/oder temporären Entlastung, und überall sonst *mehr* Stau.
    Vielleicht werden die Navis mal so schlau, dass sie z.B. raten zum Verschieben einer Reise, den ÖV zu nehmen, eine Pause für xy Minuten in Ort xy einzulegen, usw.
    Alles wäre kein Problem bei der Internalisierung der externen Verkehrskosten…

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