Kommentar

Heliskiing: Ein dekadenter Freizeitspass

Helmut Scheben © zvg

Helmut Scheben /  Manche lassen sich mit dem Heli zum Tiefschneefahren auf den Berg fliegen. Der Unfug ist in einigen Nachbarländern verboten.

In der Schweiz dürfen Helikopter 40 offizielle Landeplätze anfliegen, um Skifahrer mit ihrem Bergführer abzusetzen. Für Einzelpersonen kostet das mit Bergführer zum Beispiel in Zermatt 1450 Franken, für Gruppen mit Bergführer 470 Franken pro Person. Wer noch Sicherheitsausrüstung und Freeride-Equipment mietet, zahlt dafür zusätzlich rund 100 Franken. Sinn der Sache sind gemäss Wikipedia «Naturerlebnisse, Nervenkitzel, sportliche Anstrengungen und Glücksmomente».

Was das Naturerlebnis angeht, so darf man mit Fug und Recht fragen, ob Naturerfahrung per Helikopter kein Widerspruch in sich ist. Was die sportliche Anstrengung betrifft, so ist sie sicher nicht sehr ergiebig, wenn man mit dem Heli ohne einen Tropfen Schweiss auf den Berg geflogen wird. Und was den Verkauf und Kauf von schnellen Glücksmomenten angeht, so wäre vielleicht der Spruch eines mexikanischen Präsidenten des 19. Jahrhunderts angebracht: «Frieden ist der Respekt vor dem Recht des Anderen.»

Die Anderen, das sind im weiten Alpenraum Tausende «Skitüreler» und Tiefschnee-Enthusiastinnen, die in aller Herrgottsfrühe aufbrechen, um mit den Fellen unter den Skiern auf den Berg zu gehen. Sie suchen in den Schneelandschaften Entschleunigung und Ruhe vom Stress des Alltags. Sie verfluchen die lärmigen Helikopter überall dort, wo sie vom frühen Morgen an ihre Klienten hinaufbringen, damit diese ihre «Glücksgefühle» erleben können. Da gibt es offensichtlich einige wenige Heliski-Konsumenten, denen der Respekt vor dem Recht der Anderen ziemlich egal ist.

Die Heli-Branche ist in Bundesbern gut vernetzt

In Deutschland und Frankreich ist Heliskiing verboten, in Österreich ist es lediglich an zwei Stellen am Vorarlberg erlaubt. In der Schweiz sind alle Vorstösse für ein Verbot oder eine Einschränkung der Spassfliegerei gescheitert. Die Gründe liegen auf der Hand. Die Spatzen pfeifen von den Dächern, dass die Heliski-Branche stark mit dem Bundesamt für Zivilluftfahrt verflochten ist. Zu stark sind die Interessen und zu gross ist offensichtlich die Macht einer Heli-Lobby, die auf begüterte Kundschaft aus ist und nicht den sanften, sondern den harten Tourismus propagiert.

Umweltschutzgruppen bekämpfen das Heliskiing seit vielen Jahren. Mountain Wilderness, eine kleine, aber renommierte Alpenschutzorganisation, macht jedes Jahr von neuem mit Demonstrationen auf das Problem aufmerksam. Am 9. März stiegen rund 40 ihrer Aktivistinnen und Aktivisten zum Walighürli bei Gstaad auf, einem der beliebtesten Heliskiing-Plätze. Der offizielle Landeplatz Vordere Wallig (2050 m ü.M.) verzeichnete im Jahr 2022 laut Mountain Wilderness knapp 900 Flugbewegungen allein fürs Heliskiing. Das Wetter war nicht so toll am 9. März, und in den tieferen Lagen gabs nicht genug Schnee. Also waren keine Helis in der Luft, und Aaron Heinzmann, Projektleiter Alpenschutz bei Mountain Wilderness, sagte: «So ruhig könnte es hier immer sein, es braucht keine Helis, Abgase und Lärm auf dem Walighürli.»

Stop Heliskiing
Walighürli bei Gstaad: Mitglieder der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness fordern ein Verbot von Heliskiing.

Der Zürcher «Tagesanzeiger» berichtete am 23. März über die Protestaktion. Rein formal ist es ein ausgewogener Bericht, Gegner und Befürworter kommen zu Wort. Was dabei aber auffällt, ist, dass die Argumente der Heliski-Lobbyisten einer kritischen Betrachtung nicht standhalten. Sie werden auch nicht dadurch glaubwürdiger, dass sie seit Jahrzehnten wiederholt werden.

Billige Stimmungsmache gegen Umweltschützer

Rolf Heuberger, Chef von Swiss Helikopter, einer Fluggesellschaft, die 2012 durch den Zusammenschluss verschiedener regionaler Heli-Unternehmen entstanden ist, spult die bekannten Sprüche ab: «Ohne touristische Flüge keine Transportflüge. Und keine Rettungsflüge.»

Seine Legende lautet, ein junger Pilot habe in seiner Ausbildung nur 200 Flugstunden absolviert, er brauche aber 1000 Flugstunden, um in Transport- und Rettungsflügen sicher genug zu sein. Folglich sei das Helikopter-Skifahren nötig, um den Piloten Gelegenheit zu geben, die nötige Praxis und Sicherheit zu bekommen.

Dieses Argument ist in etwa so einleuchtend wie die Vorstellung, Postauto-Chauffeure müssten ausser dem regulären Linienverkehr noch Kaffeefahrten für Senioren absolvieren, damit sie mehr Fahrpraxis bekämen. Die schweizerische Rettungsflugwacht (Rega), seit siebzig Jahren erprobt in schwierigsten Einsätzen nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit, betreibt kein Heliskiing. Wohl niemand würde behaupten, die Rega-Piloten seien deshalb weniger zuverlässig und schlechter ausgebildet.

Eine der billigsten Ausflüchte der Heliski-Branche ist der Vorwurf, die Gegner des Heliskiing seien Linke und Grüne, die Autos und Helikopter ablehnten, wenn nicht gar abschaffen wollten. Da ertönt dann unweigerlich die stets effiziente und mehrheitsverlässliche Predigt, welch unermesslichen Nutzen der Helikopter nicht nur in der Bergrettung und bei Verkehrsunfällen bringe, sondern auch für Bergbauern, SAC-Hütten, bei Forstarbeiten, auf Grossbaustellen und so weiter.

Dies alles ist völlig unbestritten. Ich durfte oft genug im Helikopter mitfliegen. Von der militärischen Ausbildung in der Gebirgstruppe bis hin zur Teilnahme an Rega-Rettungseinsätzen oder Heli-Flügen für TV-Beiträge. Ich weiss daher zu schätzen, was Helipiloten leisten, und es käme mir nie in den Sinn, die Nützlichkeit dieser Flugmaschine in Frage zu stellen.

Man kann indessen mit jeder Maschine Nützliches tun, aber auch Unnützes und Schädliches. Eine Logik, die so trivial scheint, dass man sie nicht zu erwähnen braucht. Und gleichwohl betreibt die Heliski-Branche seit Jahrzehnten erfolgreich Stimmungsmache mit derselben billigen Behauptung: Wer Heliskiing abschaffen will, ist ein Feind des Helikopters.

Auswuchs einer Spasskultur

Heliskiing ist nichts anderes als ein frappierender Ausdruck eines Zeitgeistes, den man «das schnelle Leben» nennen könnte. Es ist die Überzeugung, dass man alles kaufen und haben könne und müsse, und zwar hier und sofort. Man darf nichts versäumen. Morgens geschwind das Tiefschnee-Erlebnis, Stunden später schon wieder im Büro am Computer, bevor der Abend mit weiteren Fun-Angeboten aufwartet.

Der überwiegende Teil der Gesellschaft, die unaufhörlich die Vorzüge von Achtsamkeit, Meditation, Entschleunigung und allerlei Formen des Zur-Ruhe-Kommens verkündet, sieht offensichtlich keine Veranlassung, sich über Helikopter-Skifahren aufzuregen. Es sind nur ein paar wenige, wie die Aktivisten von Mountain Wilderness, die zu Fuss zu den Gebirgslandeplätzen hochsteigen und ihre Transparente entfalten: Stop Heliskiing.

Wir leben in einer Welt, in der die Politik beim Thema Lärmschutz über jedes Dezibel und beim Thema Klimawandel über jeden Liter Benzin streitet, aber ganze Talschaften lassen sich ohne Widerspruch verrückt machen vom Lärm der Helikopter, die ihre Tiefschnee-Konsumenten hin und her fliegen. Was in den enormen Weiten der Rocky Mountains akzeptabel sein mag, ist in der dichtbesiedelten Schweiz ein Ärgernis.

Der mühevolle Aufstieg mit Fellen und als Belohnung die Abfahrt im tiefen Pulverschnee, die Erfahrung der Schönheit der Schneelandschaften, aber auch die technischen Kenntnisse und die physischen Anforderungen dieser Sportart: All das könnte man als eine Ethik des Skibergsteigens bezeichnen, die sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts nach und nach bis heute herausgebildet hat. Wenn es etwas gibt, das dieses Ethos und diese Tradition im Abfall entsorgt, dann ist es Heliskiing.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Mitglied der Alpenschutzorganisation Mountain Wilderness.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 31.03.2024 um 17:41 Uhr
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    Danke Herr Scheben! Die Menschen entscheiden zwischen Natur/Biodiversität und Konsum. Die Ueberproduktion findet fast überall statt. Der Schaden an der Umwelt ist meist kostenlos. Ich verstehe nicht wieso die Mehrheit (der stimmenden Schweizer) keine Steuer für Luxus erhebt, der der Umwelt schadet. Zum Beispiel: Kerosin besteuern: CHF 5.00/l.

    • am 1.04.2024 um 08:05 Uhr
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      Die Schäden an der Umwelt sind verheerend. Nur kosten sie die meisten Verursacher nichts.
      Da ich sehr nahe an der Natur lebe, kenne und erlebe ich die Auswirkungen dieser Umweltsünden hautnah.
      Eine Verursacher- oder Luxus-Steuer wäre mehr als angebracht. Und zwar müssten alle Folgekosten akribisch genau berechnet werden und zwar von den richtigen Leuten!

  • am 2.04.2024 um 16:24 Uhr
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    Es ist zwar achtungsvoll, das Heliskiing anzuprangern, aber man sollte das Bewusstsein auch einmal auf die weitverbreitet Kurzferien-Vielfliegerei richten.

    • am 3.04.2024 um 07:33 Uhr
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      Es ist der überbordende (nicht erneuerbare) Energiekonsum zu reduzieren: Deshalb: Ich verstehe nicht wieso die Mehrheit (der stimmenden Schweizer) keine Steuer für Luxus erhebt, der der Umwelt schadet. Zum Beispiel: Kerosin besteuern: CHF 5.00/l.

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