Stadt Bern: Die Abfall-Revolution ist gescheitert
mdb. 10,7 Millionen Franken liess die Stadtberner Regierung im November 2021 vom Volk für ein neues Abfall-Trennsystem bewilligen. Fortan hätten die Bewohner Kehricht, PET, gemischte Kunststoffe, Metall, Glas, Papier und Karton sowie Grün- und Rüstabfälle in Containern vor dem Haus bereitstellen sollen. Doch nun haben die Stadtbehörden gemerkt: Bestenfalls vor der Hälfte der Häuser hat es überhaupt genügend Platz. Zudem könnten die Container gegen das kantonale Baugesetz und die städtische Bauordnung verstossen. Eigentlich ist das Projekt gescheitert. Trotzdem hat die Stadtregierung noch nicht den Mut, es zu beerdigen. Denn die geleisteten Vorarbeiten sind enorm und spezielle Kehrichtlastwagen bereits bestellt. Die Stadt erarbeitet nun eine neues Konzept mit nur noch teilweiser Containerpflicht. Möglicherweise muss das Volk nochmals abstimmen. Schon das ursprüngliche Projekt wäre wahrscheinlich weder finanziell noch ökologisch von Nutzen gewesen. Beim neuen gilt das erst recht. Infosperber veröffentlicht den Artikel vom März 2023 hier nochmals.
Aufpassen, es ist kompliziert! Stadtberner Haushalte sollen in ihren Küchen künftig einen kleinen Entsorgungshof einrichten. Mit fünf verschiedenen kostenpflichtigen Plastiksäcken:
- Blau: für den Kehricht.
- Gelb-blau: für PET.
- Gelb: für gemischte Kunststoffe.
- Grau: für Metall.
- Violett: für Glas.
Entsorgt wird das Sammelgut nicht mehr laufend, sondern erst dann, wenn die Säcke voll sind. Und zwar vor dem Haus. Dort kommen mehrere Container aus Plastik in zwei Farben zu stehen:
- Grau: für die blauen Säcke.
- Ebenfalls grau: für alle anderen Säcke sowie für loses Altpapier und den Altkarton.
- Grün: für die Grün- und die Rüstabfälle.
Das Ziel der Stadtregierung: «Bern nimmt mit dem Farbsack-Trennsystem in der Schweiz eine Vorreiterrolle ein.»
Aber schon jetzt zeigt sich: Andere Städte sollten sich Bern nicht zum Vorbild nehmen. Denn da droht ein Fiasko. Doch der Reihe nach.
Dichtes Netz an Sammelstellen
Heute ist alles viel einfacher. Den Kehricht stellen die Stadtberner und Stadtbernerinnen in kostenpflichtigen Säcken an die Strasse, Altpapier und Altkarton gebündelt. Glas, Plastik und Metall bringen sie gratis in eine der 45 Quartier-Sammelstellen. Das System funktioniert gut.
10,7 Millionen Franken
Das Stadtberner Stimmvolk hat dem Ansinnen der Stadtregierung im November 2021 mit einem Ja-Anteil von über 58 Prozent zugestimmt und damit einen Kredit von 10,7 Millionen Franken gesprochen. Mitte 2022 hätte das Farbsack-Trennsystem im ersten von fünf Stadtteilen eingeführt werden sollen, Mitte 2026 im letzten.
Platz ist knapp
Doch die Sache harzt. Denn vor vielen Häusern lassen sich die Container gar nicht abstellen. Sei es, weil der Platz fehlt, sei es, weil eine Treppe den Vorplatz von der Strasse trennt. Die Stadt will deshalb Container-Standplätze auf öffentlichem Grund einrichten – für alle jene, die vor dem Haus keinen Platz haben. Sie müssten dann der Stadt eine Gebühr für den Standplatz zahlen.
Schon vor einem Jahr mussten die Verantwortlichen feststellen: «Öffentlicher Raum für Container ist knapp.» Es müssten zu viele Parkplätze aufgehoben und möglicherweise auch Sitzbänke entfernt werden. Zudem liessen sich die Asphaltflächen nicht wie geplant entsiegeln.
Im Vorgarten verboten?
Jetzt kommt es noch schlimmer: Die Verantwortlichen haben inzwischen die städtische Bauordnung gelesen. Dort steht, dass der Raum zwischen Fassade und Trottoir «als Garten zu gestalten» sei. Und im kantonalen Baugesetz steht, dass Bauten das «Orts- und Strassenbild nicht beeinträchtigen» dürfen. Das heisst: Die Container dürfen möglicherweise selbst dann nicht im Vorgarten stehen, wenn es eigentlich Platz hätte. «Wir haben unsere eigene Bauordnung unterschätzt», konstatiert nun plötzlich das zuständige Regierungsmitglied Marieke Kruit (SP). Ist es zum Lachen oder zum Heulen?
Das spricht auch dagegen
Der fehlende Platz für die Container ist nicht das einzige Problem. Das Farbsack-Trennsystem hat weitere Nachteile:
- Teuer: Einführung und Betrieb kosten Millionen. Ob und wann mit Einsparungen zu rechnen ist, lässt sich nicht sagen.
- Mühsam: Die Säcke fürs Sammelgut werden kostenpflichtig sein. Deshalb sollten sie in der Küche stehen, bis sie voll sind. Doch dafür fehlt in vielen Küchen der Platz.
- Aufwendig: Zuerst sammeln die Leute die verschiedenen Stoffe separat, dann landen alle zusammen im Kehrichtwagen, und schliesslich werden sie im Sortierwerk von Hand wieder getrennt.
- Schädlich: Die Ökobilanz könnte negativ ausfallen, wie eine Studie zeigt.
Rückenprobleme
Doch warum zettelt die Stadtregierung überhaupt eine Revolution bei der Abfall-Entsorgung an? Sie nennt drei Gründe: 1. Die Separat-Sammelstellen in den Quartieren seien überlastet. 2. Katzen, Füchse und Krähen würden immer wieder Kehrichtsäcke, die zu lange an der Strasse stehen, aufreissen. 3. Viele Angestellte der Kehrichtabfuhr litten wegen der schweren Kehrichtsäcke unter Rückenproblemen.
Die Gesundheit der Angestellten ist ein wichtiges Argument. Fragt sich aber, ob sie sich nicht anders schützen liesse. Denn das Farbsack-Trennsystem schafft neue Probleme. In Bern war davon bisher kaum die Rede. Deshalb nennt sie Infosperber.
In 14 Jahren günstiger – vielleicht
In der Abstimmung vom Herbst 2021 ging es um einen 10,7-Millionen-Kredit für die Einführung. Doch angesichts der Probleme wird das Geld nicht reichen. Hinzu kommen die Betriebskosten. Die Stadt rechnet jedenfalls damit, dass die Kosten frühestens nach 14 Jahren «durch Synergiegewinne kompensiert werden» — wenn überhaupt.
Ein Mischmasch im Lastwagen
Generell scheinen die Behörden die Folgen des Systemwechsels zu schönen. So schreiben sie, der Pilotversuch von 2018 und 2019 habe gezeigt, dass «die Reinheit der Wertstoffe im Farbsack-Trennsystem» über dem Schweizer Durchschnitt liege. Das hat allerdings nichts zu bedeuten. Denn die Teilnahme am Pilotversuch war freiwillig. Deshalb machten vor allem motivierte Leute mit.
Weil manche Pilotversuchs-Teilnehmer immer noch mit Farbsäcken entsorgen, lässt sich die Absurdität des Systems täglich auf den Berner Strassen beobachten. So landen die Säcke mit dem fein säuberlich getrennten Kunststoff, dem PET, dem Glas und dem Metall sowie das lose Altpapier und der Altkarton zusammen im Kehrichtlastwagen. Die Säcke werden in die Mulde geschoben. Es entsteht ein Mischmasch aus gerissenen und geplatzten Säcken.
Auf Anfrage von Infosperber behauptet die Stadt zwar: «Für die Sammlung der Farbsäcke wurden neue Kehrichtwagen, sogenannte Leichtverdichter, als Ersatz für ausgediente Fahrzeuge beschafft. Diese pressen den Abfall nicht, sondern verschieben ihn lediglich in den Aufbau. Dadurch werden die Farbsäcke bei der Sammlung im Kehrichtwagen kaum noch beschädigt.»
Von Hand sortiert
Doch Infosperber weiss: Der Lastwagen und der Lieferwagen wurden erst letzten Herbst bestellt. Geliefert werden sie bestenfalls im Sommer 2024. In der Zwischenzeit fahren immer noch konventionelle Kehrichtlastwagen. Sie behandeln die Farbsäcke ziemlich grob. Angestellte im Sortierwerk müssen das Gemisch aus Scherben, Blech, Plastik und losem Papier, das in den Haushalten schon mal getrennt wurde, wieder separieren.
Schlimmer noch: Die Tageszeitung «Der Bund» deckte 2019 auf, dass separat gesammelte Kunststoffe nach dem Sortieren zusammen mit dem Kehricht in der Kehrichtverbrennung landeten. Die Stadt musste das bestätigen. Die Vielfalt an Kunststoffen sei sehr gross. Manche liessen sich gar nicht rezyklieren, hiess es.
Unglaublicher Aufwand
Heute wird in Bern das Altglas nach Farben getrennt gesammelt. Mit dem Farbsack-Trennsystem kommt sämtliches Glas in den gleichen Sack – egal ob weiss, ob grün oder ob braun. Laut der Stadt ist das kein Problem. Angeblich wird «das gemischt gesammelte Altglas nach Farben sortiert. Die sortierten Glasscherben werden anschliessend wie das farbgetrennte Glas wiederum für die Herstellung von Flaschenglas eingesetzt».
Und die Umweltbilanz?
Nützt das Farbsack-Trennsystem wenigstens der Umwelt? Laut der Ökobilanz-Studie, welche die Stadt Bern hat erstellen lassen, wirken sich die Container aus Plastik und die Sortieranlage zwar negativ aus. «Der Umweltnutzen», heisst es in der Studie, «ergibt sich aus der Reduktion des privaten Transports zu Detailhändlern, Sammelstellen bzw. zu den Entsorgungshöfen.» Unter dem Strich soll die Umweltbelastung um 3 bis 16 Prozent sinken.
Doch das ist der Best Case. Und dabei geht der Studienautor von einer falschen Annahme aus — dass nämlich gegenwärtig 43 Prozent der Haushalte mit dem Auto zur Sammelstelle fahren. Künftig sollen es laut der Studie deutlich weniger sein. Daraus resultiert dann der angebliche Umweltnutzen. Nur: In der Stadt Bern besitzen zwar tatsächlich 43 Prozent der Haushalte ein Auto. Doch ein grosser Teil der Autobesitzer entsorgt das Sammelgut schon heute zu Fuss oder mit dem Velo. Die Annahme, dass alle mit dem Auto entsorgen, ist falsch; die Zahl der eingesparten Autofahrten wird gering sein; der errechnete Umweltnutzen ist viel zu hoch.
In Alternativszenarien korrigiert der Autor deshalb diverse Annahmen. Das Ergebnis müsste zu denken geben. Denn bei einigen Alternativszenarien sinkt die Umweltbelastung nicht, sondern steigt um bis zu 4 Prozent! Und das ist noch nicht einmal der Worst Case. Aber das alles haben die Stimmberechtigten vor der Abstimmung nicht erfahren.
Warum eigentlich nicht? Die Stadtbehörden behaupten, nur das Normalszenario zähle. Die Alternativszenarien seien weder plausibel noch realistisch.
Weiterführende Informationen
- Infosperber: Resultate wie in einer Diktatur
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Gut gemeint, aber… Schade!
In Thun wird sogar zwischen Papier und Karton getrennt. Habe ich mal etwas Halbdickes in der Hand, muss entschieden werden. Papier? Karton?
Letztes Jahr waren wir in Frankreich in den Ferien. Dort gibt es ein einfaches Abfalltrennsystem. Gelb ist Verpackung (Plastik, Papier und Karton), schwarz Restabfall. Glas wird ohne Trennung nach Glasfarbe gesammelt. Alles gratis in Säcken bei Sammelstellen einwerfen. Ferien!
Vor dreissig Jahren organisierten ein Kollege und ich eine Party. Am Tag danach entsorgten wir die Flaschen. Mein Kollege brach den Container auf und kippte die Box mit den Flaschen kurzerhand kreuz und quer durcheinander hinein. Ich stand schockiert daneben.
Das heisst, man darf es nicht zu kompliziert machen! Lernen wir doch von Frankreich, zumindest was die Einfachheit betrifft.
Und Bioabfälle kann man selber sammeln oder wie in Ittigen zu Biogas vergären lassen. Geht doch! Fremder Kompost würde ich eh nicht für meine Pflanzen nehmen!
Warum nicht dafür sorgen, dass bei jedem Einkaufscenter diese Container zur Verfügung stehen?
PET und andere Kunststoffe kann man dort schon entsorgen, wenn man also zu jedem Einkauf das Zeug gleich mitnimmt, kein Problem. Etwas ärgerlich nur, dass ich für Glas und Blechdosen immer noch extra zur Gemeindedeponie fahren muss! Wenn die auch beim Einkaufscenter stehen würden, Problem gelöst ohne diese hirnrissigen Projekte die wieder von jemandem erfunden wurden, der von der Realität weit entfernt ist! 10,7 Millionen, und das bei einem solchen Defizit!
Soll man da weinen oder lachen? Dass «Platz» das Problem ist, hätte ich den mit sehr grosser Voraus-Kelle anrührenden «Planern» sogar bereits vor dem raumplanerischen «Verdichteten Bauen» sagen können. Apropos Raum-Planung: Wer bezahlt die Fehl-«Planung» Stadt Bern?
Wirklich schade. Und für mich etwas unverständlich. Die Erfahrung haben andere Länder schon lange gemacht, z.b. in Deutschland wo viele Kommunen wieder von den komplizierten Trennsystemen zu einfacheren übergehen. Z.b. zwei Kategorien: Nass & Trocken.
Nass kommt in die Biogas Anlage
Trocken in eine automatische Trennanlage, welche mittlerweile wirklich gut funktionieren sowie die Gesundheit der Mitarbeiter schützen.
Das Plastikthema werden wir mit Recyclen eh nicht in den Griff kriegen, dazu sind radikalere Massnahmen notwendig.
Schlussendlich zeigt der Artikel oben leider aber klar auf, dass auch Versuchsprojekte oft nur wenig verwertbare Informationen liefern, zumindest solange wir uns in einem System befinden in dem nicht offen berichtet wird, damit sich einzelne Personen erfolgreich darstellen können, um ihre Karriere weiterzubringen. (SNAFU scheint mir sehr weit verbreitet zu sein)