Kommentar
Für Israel ist gegen den Gazakrieg
Die instinktive, augenblickliche und unhinterfragte Solidarität mit Israel in jeder Lage und auf jeder Ebene ist gegenwärtig absolute Doktrin in Politik, Kultur, Wissenschaft und Journalismus. Alles, was sich dagegen regt, wird getilgt.
Nur drei aktuelle Beispiele: In Saarbrücken wurde die Ausstellung einer jüdischen südafrikanischen Künstlerin, Candice Breitz, abgesagt, weil sie sich «nicht ausreichend gegen die Hamas» ausgesprochen habe, was sie übrigens bestreitet. Darüber hinaus wurde auch die Direktorin des Museums entlassen, und zwar, weil sie anfänglich die Absage der Ausstellung für falsch gehalten hat.
Der amerikanisch-russischen jüdischen Journalistin Masha Gessen wollte man den zugesprochenen Hannah-Ahrendt-Preis verweigern, weil sie Gaza mit einem Konzentrationslager verglichen hatte; schliesslich erhielt sie ihn dennoch, verspätet und in ausgesucht unauffälligem Rahmen.
Der «Antisemitismus-Skandal» an der Berlinale beruht darauf, dass ein jüdischer Regisseur, Yuval Abraham, anlässlich der Preisverleihung für den Dokumentarfilm «No other land» auf die Situation seines Co-Regisseurs, Basel Adra, als Palästinenser hinwies.
Warum sind unsere Politiker:innen und die Medien so schnell bereit, in dieser Hetze mitzumachen, ohne zu prüfen, wogegen die Personen verstossen haben? Ist es wirklich ein Grund, jemanden zu canceln, weil er oder sie einen Brief unterschrieben, Kritik an Israels Besatzungspolitik geäussert hat? Sollten wir uns nicht vielmehr gegen Denk- und Redeverbote wehren und die akademische Gewissenhaftigkeit schützen?
Stattdessen wird die Schraube gegen jegliche pro-palästinensische oder israelkritische Äusserung laufend angezogen. Es genügt schon zu sagen, der 7. Oktober habe eine Vorgeschichte. Er sei nicht im luftleeren Raum geschehen. Oder eine renommierte jüdische Philosophin wird niedergeschrien, weil sie sagte, die Hamas sei eine Widerstandsgruppe. Judith Butler weiss ganz genau, worüber sie spricht, und sie tut es mit weit mehr Sorgfalt und Expertise als Journalisten, die lauthals «Empörung und Entsetzen» darüber formulieren.
Man muss doch sehen: Die israelische Regierung ist die rechteste, die es je gab. Sie erlaubte in einem Jahr soviel Expansion der Siedlungen, Übergriffe und Einschränkungen gegenüber den Palästinenser:innen wie nie eine zuvor. Eine andere Regierung hätte nicht auf diese ungeheuerliche Art auf den Hamas-Angriff reagiert, sondern hätte die Geiseln befreit und die Schuldigen getroffen. Diese Regierung aber wählte ganz gezielt den schrecklichsten Weg: Seit fünf Monaten eine ganze, der israelischen Armee schutzlos ausgelieferte Zivilbevölkerung bombardieren, vertreiben, aushungern. Lastwagen voller Hilfsgüter aus anderen Ländern werden nicht durchgelassen, aus der Luft und per Schiff versucht man, ein bisschen Linderung zu bringen für eine Not, die Israel konsequent absichtlich herstellt.
Wahrscheinlich 90 Prozent der Einwohner:innen von Israel sind nicht mit dieser Regierung einverstanden oder wären es nicht, wenn sie wüssten, was in ihrem Namen geschieht.
Dass der weltweite Feldzug gegen angeblichen linken Antisemitismus in Wahrheit gegen Israelkritik zielt, ist ganz offensichtlich. Jede Kritik, selbst Fragen stellen ist verboten, man darf keine Ursachen suchen oder Verbindungen sehen; wer bestimmte Wörter benutzt – Genozid, Apartheid – wird gleich als Antisemit gestempelt und verfolgt, aber nicht einmal «Waffenstillstand» oder «Friede» darf man aussprechen.
Die vermeintliche Israelfreundschaft unserer Politik und Medien ist in Wahrheit Freundschaft mit den ultrarechtesten Akteuren weltweit. Dass die drei Präsidentinnen renommierter amerikanischer Universitäten zurücktreten mussten, geschah auf Druck ultrakonservativer, evangelikaler Mäzene und Trump-Anhänger, die Wokeness und Diversity den Kampf angesagt hatten.
Durch diese wahnhafte Treibjagd auf alle demokratischen, humanen und verantwortungsbewussten Menschen innerhalb Israels und weltweit unterstützen und verlängern unsere Medien und zahlreiche Politiker:innen das Morden und Vertreiben der Menschen in Gaza und dem besetzten Gebiet durch eine fürchterliche israelische Regierung, die jede Achtung vor Leben verloren hat. Netanjahu und seine ultrarechten Spiessgesellen wären zu stoppen, wenn die westlichen Staaten ihnen die Unterstützung verweigern und ein Ende des Gemetzels verlangen würden. Das würde nicht nur zahlreiche Menschenleben retten, sondern auch die Würde von Israel und aller Menschen, welche diese Schuld nicht tragen wollen. Nicht in unserem Namen, rufen sie weltweit. Hören wir auf sie, zur Rettung auch von Israel!
Kürzlich schrieb Felix Schneider über den Schriftsteller Erich Fried, dass er ein Jude gewesen sei, dem sein Judentum nicht gleichgültig war. Er zitierte Fried: «Ich hoffe sogar … ein besserer Jude zu sein als jene Chauvinisten und Zionisten, die … ‹ihr Volk› immer tiefer in eine Lage hineintreiben, die schliesslich zu einer Katastrophe für die Juden im heutigen Israel führen könnte.» Diese Katastrophe sei unterdessen eingetreten, konstatierte Schneider.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Pia Holenstein Weidmann ist SP-Aussenpolitikerin, Kulturwissenschaftlerin und Publizistin. Sie war als Menschenrechtsbeobachterin unter anderem längere Zeit im besetzten Westjordanland.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Danke für diesen engagierten Bericht.
Es bräuchte viel mehr solche Stimmen und dann natürlich Journalistinnen und Politiker, welche entsprechend handeln.
Stellt sich dabei die Frage, weshalb die gesamte Riege des Journalismus, bei der Diffamierung der Menschen, welche Menschen- Und Völkerrecht für das palästinensische Volk einfordern, mitmacht. Das sind doch alles Leute mit Hirn, die sich auf einen journalistischen Kodex berufen. Könnte das deshalb sein, weil sie abhängig von Lohn und Auftrag sind? Oder wurden sie nach Kriterien der politischen Konformität ausgewählt?
Was die Autorin zu recht kritisch beleuchtet, ist meines Erachtens aber vor allem ein deutsches Phänomen. Die der deutschen Politik aus nachvollziehbaren Gründen eingeschriebene unverbrüchliche Unterstützung Israels hat sich zunehmend in das Gegenteil der guten Absicht verkehrt. Ein guter Freund würde einen zur Rede stellen, wenn man auf die schiefe Bahn gerät – genau das hat die deutsche Politik und die von ihr durchtränkte Bevölkerung bisher unterlassen, und so geriet die ursprüngliche Absicht zur starren Ideologie, in deren Namen jede abweichende Regung kurz und klein geschlagen wird. Insofern ist das sogar vollkommen kongruent zu den Ereignissen in Israel und Palästina…
Ich bin Deutsche und ich verstehe es auch nicht, dass die deutsche Regierung Israel so kritik- und bedingungslos bei dieser radikalen Bombardierung, Aushungerungs- und Vertreibungspolitik unterstützt. Warum bettelt man darum, Versorgungskorridore nach Gaza zuzulassen, warum kündigt man unter diesen Umständen nicht die materielle Unterstützung auf? Viele in meinem Bekanntenkreis sind auch meiner Ansicht, aber keiner getraut sich, das laut zu sagen, denn sofort wird man in die Antisemitismus-Ecke gestellt.
«Wer Wind sät, wird Sturm ernten». Wer bisher noch bei den palästinensischen Zivilisten guten Willens war, wird nun den Terroristen in die Arme getrieben. Eine friedliche Lösung des Nahost-Konfliktes ist in weite Ferne gerückt!
Ein wichtiger Beitrag. Leider wird die ganze Debatte sehr oft dadurch verschärft, dass mit Ungenauigkeiten operiert wird – etwa indem behauptet wird, jemand hätte gleichgesetzt, wenn verglichen wurde. So etwa bei Maha Gessen, die Gaza mit Ghetto (nicht Konzentrationslager!) verglichen und nicht gleichgesetzt hatte. Zu erwähnen ist, dass der jüdische Zentralrat in Deutschland eine üble Einheizerrolle spielt. Im Gegensatz dazu spielt der jüdische Gemeindeverband in der Schweiz eine sehr besonnene Rolle.
Stimmt, danke für die Richtigstellung, das hatte ich falsch erinnert.
Gut getroffen – jedwede Kritik an Israels ‹Politik› / Krieg wird abgestempelt. Allerdings hat sich dies bereits seit einiger Zeit angebahnt. So wurde z.B. das Cafe Palestine in Freiburg / Dtld schon vor Jahren heftig angefeindet, obwohl es sich genau um Verständigung bemühte. Die Organisator’*innen gaben irgendwann entnervt auf.
In Dtld. geht es mit dem Krieg in der Ukraine ähnlich. Wer nur einen Hauch des Verständnisses für Russlands Vorbehalte gegen eine weitere EU (und NATO) Osterweiterung erwähnt, wird als Putin-«Versteher» abqualifiziert, Rufe nach Frieden ebenso.
Schlussfolgerung (meine): Wir befinden uns in einer VORkriegsphase, in der die Regierungen des Westens ihre Bürger darauf einzuschwören versuchen, dass ‹der Westen› Recht hat, dass wir ‹die Guten› sind und dass ‹wir› andere bombardieren und sonstwie mit vollem Recht niedermachen dürfen.
Im Krieg ist Kritik aus eigenen Reihen HOCHGRADIG unerwünscht und wird unterdrückt.
DAS erleben wir gerade. Gegenstimmen? … wenige.
Ich stimme mit Frau Holenstein zu!
Der Internationale Gerichtshof untersucht Israels Verbrechen, erachtet einen Völkermord als «plausibel» und fordert, Zivilisten zu schonen. Israel ignoriert den IGH und entlarvt sich als terroristischer Schurkenstaat, während Zionisten auf Social Media Propaganda verbreiten und westliche Staaten diese Verbrechen unterstützen. Das ist krank.
«Die Nazis haben mir Angst gemacht, Jude zu sein, und die Israelis haben mich beschämt, Jude zu sein.» – Dr. Israel Shahak, Holocaust-Überlebender
Nicht ohne Grund warnt der jüdische Holocaust-Überlebende Dr. Gabor Maté: «Israel ist 1000-mal schlimmer als die Hamas»
Falls die Quellen der Zitate nicht bekannt sein sollten, kann ich sie gerne zur Verfügung stellen.
Und nicht zu vergessen sind unsere Printmedien, wie z.B. CH-Media, mit ihren dazugehörigen Internetseiten. Bei Berichten über Israel sind die Kommentarfunktionen meist gesperrt. Und sind sie doch einmal erlaubt, dann nur wenn sie israels Handlungen nicht zu sehr hinterfragen oder sie sogar positiv Darstellen.
So hat sich eine grosse Diskrepanz, also eine Abweichung von Ideal (grosser Teil der Presse) zur Wirklichkeit (grosser Teil der Bevölkerung) entwickelt. So erlebe ich es jedenfalls oft in Diskussionen, wo sie sich auch immer ergeben.
Danke Frau Holenstein für Ihren Bericht. Zum Glück gibt es noch Leute mit eigenem Verstand, welche sich nicht von Politikern und Medien verblenden lassen.
Höchst bedenklich, wie sich die Masse ohne zu reflektieren verhält, in derzeitigen und jüngst vergangenen Situationen. Das macht Angst.
Es ist alles leider wahr was sie schreiben. Dennoch frage ich: Habt ihr die Berichte (Die Zeit, New York Times, BBC ) über die Go Pro Kopf Kamera Filme von Hamas Kämpfern gelesen oder zumindest überflogen (ein bisschen erträglicher), wo beschrieben wird mit welcher aussergewöhnlicher Bestialität israelische Frauen
sexuell abgeschlachtet wurden , dabei gefilmt und diese Aufnahmen gepostet wurden ?
(Das haben nicht einmal Nazis geschafft .Vielleicht irre ich mich).
Das dürfen keine Gründe sein für weitere Verbrechen!
Aber mit Vor- Verbrechen wird in diesem Sperberartikel auch argumentiert:
Der 7. Oktober habe eine Vorgeschichte.
Spinnen eigentlich Alle ?
Ja, auch ich.
«Die instinktive, augenblickliche und unhinterfragte Solidarität mit Israel in jeder Lage und auf jeder Ebene ist gegenwärtig absolute Doktrin in Politik, Kultur, Wissenschaft und Journalismus. Alles, was sich dagegen regt, wird getilgt.»
Warum? Wegen 2WK? Wegen der Schuld des Westens? Gemessen an den Todesopfern und Kriegsversehrten, wäre die Schuld gegenüber Russland dann Grössenordnung Faktor 10 höher. Quasi zehn Mal das «Absolute» Israels.
Ich sehe den Grund im PR-Druck seitens USA/Israel. Bereits 2009 titelte der Tagesanzeiger: «27’000 PR-Berater polieren Image der USA / Ein Chefredaktor beklagt den immensen Einfluss des amerikanischen Verteidigungsministeriums auf seine Journalisten. Jetzt ist ihm der Kragen geplatzt: Er enthüllt schier unglaubliche Fakten über die PR-Arbeit des Pentagons.»