Transparenz: Wirtschaftsnahe Politiker sträuben sich weiterhin
Die Richtung stimmt zwar. Auf Anfrage der Organisation Lobbywatch haben 143 von 246 Mitgliedern des aktuellen eidgenössischen Parlaments ihre Nebeneinkünfte detailliert offengelegt. Das sind mehr als doppelt so viele wie bei der letzten kompletten Befragung 2018. Damals hatte bloss ein Viertel der Parlamentsmitglieder Auskunft gegeben.
Lobbywatch-Co-Präsident Otto Hostettler sagte dem Beobachter: «Im Parlament setzt sich offenbar langsam die Erkenntnis durch, dass Ratsmitglieder ihre Einkünfte offenlegen sollten.»
Dies liegt zum einen an den Linken. 2018 hatten erst 60 Prozent der SP-Parlamentsmitglieder und bloss 38.5 Prozent der Grünen entsprechende Angaben gemacht. Heute sind die Parteien mit 94 Prozent (SP) und 96 Prozent (Grüne) mit Abstand am Transparentesten.
Zum anderen liegt es aber auch an der Mitte. Ihre Parlamentsmitglieder sind zwar insgesamt immer noch wenig auskunftsfreudig. Aber im Vergleich zu 2018 sind die mittlerweile 48 Prozent eine deutliche Steigerung. Hinter ihr folgen die SVP-Fraktion (41 Prozent), die ebenfalls deutlich zulegte, und als Schlusslicht die FDP-Fraktion (31 Prozent). Zudem zeigt die Befragung, dass Neugewählte tendenziell auskunftsfreudiger sind als Altgediente.
Nebenjobs deutlich lukrativer als Volksmandat
Trotz der erfreulichen Entwicklung zeigt die Transparenzliste aber weiterhin grosse Lücken. Die mutmasslichen Grossverdiener geben nämlich weiterhin freiwillig keine Auskunft. Keines der zehn Parlamentsmitglieder, welche bei der letzten Untersuchung am meisten bezahlte Mandate angaben – je nach Person zwischen 12 und 18 Posten – wollte die Höhe der Entschädigung offenlegen.
Dabei kann ein einzelner Nebenjob, der wesentlich auf der Rolle im Parlament beruht, deutlich lukrativer sein als das Volksmandat. Bisher bereits bekannt ist zum Beispiel, dass Landwirt Markus Ritter – der dies als einziges Nebenmandat angibt – für das Präsidium des Bauernverbands jährlich knapp über 100’000 Franken verdient. Dies ist deutlich mehr als die ungefähr 70’000 Franken, die er als Parlamentarier erhalten dürfte.
Als Krankenkassenvertreter für Süssgetränke weibeln
Ein Parlamentarier, der viele bezahlte Nebenjobs deklarieren musste, ist der Berner Mitte-Nationalrat Lorenz Hess. Im Oktober 2022 gab er 13 bezahlte Mandate an. Eines davon ist der Verwaltungsratsvorsitz der Visana-Gruppe. Wie viel er dabei verdient, gibt er nicht an. Doch dem Visana-Geschäftsbericht von 2022 ist zu entnehmen, dass er in diesem Jahr alleine mit diesem Amt 163’750 Franken verdiente. Gegenüber der NZZ schätzte er seinen zeitlichen Aufwand dafür auf 30 bis 50 Prozent.
«Ich verstehe, dass dies für manche Bürger schwierig zu verstehen ist», sagte Hess der NZZ. «Aber man kann es erklären. Diese Summe entspricht etwa dem Verzicht auf einen sonst möglichen Ausbau meiner selbständigen Beratungstätigkeit. Hinzu kommt die Verantwortung, welche man als Verwaltungsratspräsident für die ganze Firma trägt. Wenn etwas schiefläuft, steht man in der Öffentlichkeit rasch am Pranger.»
Hess sagte der NZZ aber nicht, dass er abgesichert ist. Unter anderem verdient er neben der Entschädigung als Parlamentarier auch Geld als Präsident der Informationsgruppe Erfrischungsgetränke. Die Interessen der Gruppe könnten in Konflikt mit denjenigen der Krankenkasse Visana kommen, sofern sich die Krankenkassen für eine gesunde Lebensweise überhaupt einsetzen. Denn die Lobbyorganisation von Rivella, Red Bull und Coca Cola in der Schweiz wehrt sich gegen stärkere Regulierung von Süssgetränken.
Das weiss auch die Visana schon lange. 2018 sagte Hess dazu in einem Interview in der SRF-Sendung Kassensturz, er sehe keinen Widerspruch. Darin suggerierte er, Red Bull und Coca Cola seien Schweizer Firmen und sagt, er glaube nicht, dass man mit Produkteregulierung die Leute dünner oder gesünder mache. Für seine Arbeit erhalte er einen Spesenbeitrag von ein paar Tausend Franken pro Jahr. Wie viel Hess mit diesem Mandat heute verdient, wollte er bisher gegenüber Lobbywatch nicht offenlegen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Pascal Sigg ist Mitglied von Lobbywatch.
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