Professorinnen kritisieren Nachsicht mit Tätern
In Deutschland sorgte Ende letzten Jahres ein Urteil des Landgerichts Hamburg für Empörung. Das Gericht befand, dass neun Angeklagte, die zur Tatzeit zwischen 16 und 20 Jahre alt waren, eine damals 15-Jährige im Stadtpark vergewaltigt hatten. Doch es verurteilte nur einen von ihnen zu einer Gefängnisstrafe von knapp drei Jahren. Acht kamen mit Bewährungsstrafen davon.
Vertrauen in Rechtsstaat schwindet
Ein sexueller Übergriff mit Gewaltanwendung kann in Deutschland mit maximal 15 Jahren bestraft werden. In den meisten Fällen bleiben die Gerichte jedoch im unteren Drittel dieses Strafrahmens, kritisieren die Strafrechtsprofessorinnen Frauke Rostalski von der Universität Köln und Elisa Hoven von der Universität Leipzig in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» (FAZ). Mit einem Strafmass signalisiere der Rechtsstaat gegenüber der Öffentlichkeit, wie stark er ein Unrecht missbillige. Damit stabilisiere er den gesellschaftlichen Konsens über Verhaltensregeln. Wenn die Strafvorstellungen von Bevölkerung und Gerichten wie in Fällen sexueller Gewalt zu stark voneinander abweichen würden, beschädige dies das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Zukunft des Täters wichtiger
Als Beispiel zitieren Rostalski und Hoven aus der Urteilsbegründung eines früheren Falls. Vor dem Landgericht Stralsund war ein Arzt angeklagt, der seine Partnerin schlug und kontrollierte. Als sie seiner Meinung nach zu freundlich zu einem Pizzaboten war, zerrte er sie mit Gewalt ins Schlafzimmer und sagte, «sie gehöre ihm und er werde ihr schon zeigen, wer ihr Mann sei». Dann vollzog er an der weinenden Frau ungeschützten Geschlechtsverkehr. Laut dem Gericht hatte die Tat einschneidende Folgen für das Opfer: «Frau X ist durch die zahlreichen ihr vom Angeklagten zugefügten Misshandlungen psychisch erheblich beeinträchtigt. Nach der Trennung vom Angeklagten begab sie sich in eine psychotherapeutische Behandlung, die sie zunächst abbrach, später aber wieder aufnahm. Das Verhältnis mit dem Angeklagten war ihre erste feste Beziehung. Aufgrund ihrer Erlebnisse ist ihre Beziehungsfähigkeit gestört. Sie hat Angst vor Männern und konnte bislang keine neue Beziehung eingehen.»
Der Angeklagte misshandelte auch spätere Partnerinnen. Eine würgte er, bis sie bewusstlos war. Für die Angriffe auf die sexuelle Selbstbestimmung mehrerer Frauen verurteilte ihn das Landgericht zu einer Bewährungsstrafe von insgesamt einem Jahr und drei Monaten. Der Mehrfach-Täter musste also nicht ins Gefängnis, obwohl das Gericht «eine verfestigte Fehleinstellung des Angeklagten im Verhältnis zu Frauen» festgestellt hatte. Das Strafverfahren werde den Mann von künftigen Taten abhalten, meinte das Gericht. Das geringe Strafmass begründete es unter anderem mit fehlenden Vorstrafen und den beruflichen Folgen für den Angeklagten. Eine Gefängnisstrafe würde die Zukunft des Angeklagten als Arzt gefährden. Als strafmildernd beurteilte das Gericht zudem, dass sämtliche Opfer «dem Angeklagten nicht frühzeitig klare Grenzen aufgezeigt» hätten. Durch ihr Verhalten hätten sie den Arzt «in seinen Fehleinstellungen bestärkt».
Strafhöhe ist Werte-Entscheidung
Ein solches Urteil zeige, dass Gerichte sexuelle Gewalt nach wie vor bagatellisieren und den Opfern eine Mitverantwortung zuschieben, schreiben Rostalski und Hoven. Es missachte das Leid der Opfer und sei keine angemessene Antwort auf die schwere Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen. Nötig sei ein «grundlegendes Umdenken» bei der Bestrafung sexueller Übergriffe. Das Recht erlaube höhere Strafen. Wichtiger als eine Verschärfung des Strafrechts sei es, dass die Gerichte sexuelle Übergriffe nach geltendem Recht härter bestrafen. «Ob Vergewaltigungen grundsätzlich mit einem, drei oder zehn Jahren zu bestrafen sind, ist nicht wissenschaftlich bestimmbar, sondern auch das Ergebnis einer Werte-Entscheidung.»
Milde Urteile aus Tätersicht
Milde Urteile sorgten letztes Jahr auch in der Schweiz für Schlagzeilen:
So sprach das Bezirksgericht Zürich im Frühjahr einen nordmazedonischen Staatsangehörigen in erster Instanz für schuldig, ein finnisches Au-pair vergewaltigt zu haben. Es verurteilte den Täter jedoch lediglich zu einer bedingten Haftstrafe von 22 Monaten. Er muss also nicht ins Gefängnis. Das milde Urteil begründete das Bezirksgericht damit, dass der Täter «keine übermässige Gewalt angewendet» habe. Die Tat sei nicht geplant gewesen und habe nicht lange gedauert.
In einem anderen Fall befand das Bundesgericht Ende letzten Jahres, dass die Dauer einer Vergewaltigung bei der Bemessung der Strafhöhe eine Rolle spielen kann. Die Vorinstanz hatte die Strafe für einen Vergewaltiger unter anderem mit der Begründung reduziert, dass die Tat nur elf Minuten gedauert habe. Dies führte landesweit zu Protesten. Doch das Schweizer Höchstgericht hat diese Begründung für eine Strafreduktion gutgeheissen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Die Autorin ist Redaktorin und Herausgeberin der Online-Zeitschrift «FrauenSicht».
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