Trotz Schulden – täglich ein Kaffee für 6 Dollar muss drin sein
«Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not» – was früher einmal normal war, scheint heute nicht mehr zu gelten. Notorische Diskussionen über die Aushebelung der staatlichen Schuldengrenze, jahrzehntelanger Streit über Mindest- oder Basislöhne, unzählige staatliche Rettungsaktionen für waghalsige Banker und ein amerikanischer Präsident, der massenhaft Altschulden für offensichtlich nutzlose akademische Ausbildungsgänge erlässt, haben Spuren hinterlassen.
Die Konsumenten sind offensichtlich so verwöhnt worden, dass sie von «alten Zöpfen» aus der Vergangenheit nichts mehr wissen wollen. Fomo oder Yolo heissen heute die Zauberwörter: Das erstgenannte leitet sich aus dem Englischen «fear of missing out» ab, wonach vor allem auch junge Leute spekulative Gelegenheiten an den Immobilien-, Wertpapier- oder Kryptomärkten auf keinen Fall verpassen wollen. Das andere kommt von «you only live once» oder vom Motto, das heutige Leben um jeden Preis zu geniessen, und sei es auf Kosten der finanziellen Zukunft.
Gut gemeinte finanzielle Ratschläge kommen nicht mehr gut an
Auf diese Weise mögen sich die rasante Zunahme von Kreditkartenschulden in den USA, von Konsumentenkrediten in der Schweiz oder auch das Aufkommen von digitalen Lösungen wie «Kaufe jetzt, zahle später» erklären lassen. Wer heute dagegen «alte Werte» predigt, riskiert sogar, lächerlich gemacht zu werden. Diese Erfahrung musste gerade der Amerikaner Dave Ramsey machen. Der bekannte und viel beachtete 63-jährige konservative christliche Radiomoderator mit 4,4 Millionen Instagram-Followern, 1,9 Millionen TikTok-Anhängern sowie einer grossen Hörerschaft bei seinen Radiosendungen und Podcasts gab jahrzehntelang inbrünstig gut gemeinte finanzielle Ratschläge.
Seine Botschaft war brutal und direkt – vermeide Schulden um jeden Preis, bezahle alles in bar und lebe genügsam. Heute jedoch wirft die jüngere Generation dem weissbärtigen Mann vor, der aktuellen Krise aufgrund hoher Lebenshaltungskosten nicht gerecht zu werden. So hatte er vor zwei Jahren in einem Blogbeitrag vorgerechnet, wie teuer der heute so beliebte «Coffee to go» auf dem täglichen Weg zur Schule, zur Uni oder zur Arbeit käme. Der Kaffeegenuss koste hochgerechnet auf das Jahr rund 800 Dollar, argumentierte er und es wäre besser, wenn Studenten damit ihre Kredite beglichen, wenn sich Konsumenten damit etwas Sinnvolleres gekauft oder wenigstens einen Flug in die Ferien gegönnt hätten.
Lieber eine Dosis Koffein, als deprimiert durch die Gegend zu laufen
Die heutige Jugend jedoch sieht das anders. Die jungen Leute wollen sich lieber täglich einen kleinen Luxus gönnen, statt das Geld auf die hohe Kante zu legen. «Ich nehme lieber eine gehörige Dosis Koffein zu mir, als deprimiert durch die Gegend zu laufen, nur um sechs Dollar zu sparen», bringt ein Social-Media-Nutzer seine Haltung zum Ausdruck. «Ich tue nicht alles, um aus den Schulden herauszukommen», mokiert sich eine junge Verwaltungsangestellte namens Kate Hindman: «Ich bin nicht bereit, jeden Tag nur Reis und Bohnen zu essen oder drei Jobs anzunehmen und keine Zeit mit meinen Kindern verbringen zu können – und wieso sollte ich an einem Freitag auf meinen Lieblingssalat verzichten?»
Die Rechnungen für ihren Lebensstil seien so hoch, dass das bisschen Geld, das sie hier und da sparen könnte, nicht wesentlich sei, behauptet sie weiter. Dagegen seien die hohen Lebenshaltungskosten und die niedrigen Löhne schuld an der finanziellen Misere der meisten Amerikaner, argumentiert sie weiter. Die Idee, fünf oder gar zehn Jahre lang auf eine gewisse Lebensqualität zu verzichten, nur um den äusseren Umständen gerecht zu werden, sei geradezu absurd, rebelliert sie weiter und fühlt sich dabei nach eigenen Angaben nicht einmal schlecht. «Spare in der Zeit, dann hast Du in der Not» – das scheint für viele von vorgestern zu sein.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Vielleicht verstehen manche Leute den Satz vom Sparen so: «Spare in der Not – da hast Du Zeit dazu»……
Ich gebe den heutigen Jungen absolut Recht. YOLO!
Da hilft es nur das (Geld-)System umzukrempeln. Warum sich abmühen wenn es die Kapitalisten wieder verschleudern?
Bei allem Respekt, zu diesem Text gibts nur eine folgerichtige Reaktion.
Okay Boomer ..
Die immer gleiche Leier. Die jungen Menschen wissen nicht mehr was Verantwortung bedeutet und überhaupt sind sie Schuld am Untergang der Welt wie wir sie kennen. Vor ein paar Jahren war es Toast mit Avocados, heute ist es der Kaffe für unterwegs. spare me ..
«Okay Boomer» ist eine intellektuelle Bankrotterklärung. Es geht gar nicht um den Untergang der Welt. Es geht darum, dass sich junge Leute einen massiven Verlust an Unabhängigkeit einhandeln, wenn sie sich verschulden.
Als 75 jähriger Boomer sehe ich das differenzierter.
Schon vor 55 Jahren galt man mit mehreren Sparheften als Sonderling.
Damals gab es weder Ratenzahlung noch Leasing.
Kein Mensch konnte sich vorstellen, das es reicht einen Chip an einen Terminal zu halten und irgendwo wird Geld abgebucht, das man nicht hat.
Für das einem dann doppelt so viel Zins berechnet wird,wie Speckis für ihren Lombard zahlen.
Wo sehe ich junge Menschen mit Kaffe ? Im ehemaligen Bahnhof Bern, heute ein Konsumpalast.
Aktuell plant man,den 8. grössten Bahnhof ( nach Benutzer ) der Schweiz,den RBS-Bahnhof in eine Anlieferstrasse für Geschäfte und Restaurants umzubauen.
So wie bei der AXPO der Stromhändler in einem guten Jahr , mit Bonus das Zehnfache des Direktors bekommt, wird vielleicht ein Immobilienentwickler bei der SBB eines Tages auch besser bezahlt als der Generaldirektor.
Junge Menschen die den Konsumterror nicht mehr aushalten,gehen am besten zum Bergbauer und misten um Gotteslohn den Ziegenstall.
Als ob es eine Unabhängigkeit gibt! Sie und ich haben 2008 gemeinsam die UBS mit 60 Milliarden Franken gerettet.
Nur schon diese Zahl ist einfach unfassbar.
Die Verschuldung der Gesellschaft ist politisch gewollt. Wenn man wirklich danach frsgen möchte, wer Schuld hat, dann sind das am ehesten die alten, welche dieses System eingeführt haben. Warum gehen Sie davon aus, dass in einem Land, dessen Staatsaparat auf Schulden aufgebaut ist, die Menschen anders wirtschaften.
Ausserdem würde die Wirtschaftsleistung diese Güter für alle Bereitstellen. Profitieren tuen davon jedoch vor allem wenige.
Die jungen Menschen sehen aber was möglich wäre und wollen nicht auf Dinge verzichten, welche ihnen von ihrer Wirtschaftsleistung her zustehen würden. Das System der Schulden und das Leben auf Pump wird gefördert.
Dieser Kommentar zielt also absolut am eigentlichen Problem vorbei, nähmlich der Ungleichheit, dass viele Menschen Probleme haben sich Güter zu leisten, obwohl die Wirtschaftsleistung stetig steigt.