Foto vom Lager Trnopolje zeigt Opfer wahrer Gräueltaten
upg. Als Beispiel einer Foto, das für einen anderen Kontext missbraucht worden sei, zeigte Infosperber am 10. Februar einen jungen, ausgemergelten bosnischen Muslim hinter einem Stacheldraht eines «Flüchtlingslagers». Eine Replik von Andreas Zumach, der in den Neunzigerjahren als Korrespondent bei der Uno in Genf sowie vor Ort die Ereignisse in Ex-Jugoslawien verfolgte.
Im Gefangenenlager Trnopolje wurde gefoltert und getötet
Trnopolje war nicht wie behauptet ein Flüchtlingslager. Das ist eine tatsachenwidrige Behauptung, offensichtlich in der Absicht, die Verbrechen bosnisch-serbischer Nationalisten und ihrer Milizen im Bosnienkrieg des Jahres 1992 zu verharmlosen, zu relativieren oder gar gänzlich zu leugnen. Trnopolje war neben den ebenfalls im Distrikt Prjedor gelegenen Lagern Omarska und Keraterm eines von über 100 Gefangenenlagern der nationalistischen bosnischen Serbenmilizen. Sie wurden seit Kriegsbeginn Anfang April 1992 in den von den Milizen eroberten und kontrollierten Gebieten Bosnien-Herzegowinas errichtet.
Die Insassen der Lager waren überwiegend bosnische Muslime, aber auch Kroaten, die von den Milizen der bosnischen Serben im Zuge ethnischer Säuberungen gewaltsam aus ihren Wohnorten vertrieben wurden. Diese Menschen wurden unter Zwang in diese Lager verbracht, oftmals mit langen Fussmärschen. In den Lagern wurden Insassen gefoltert, vor allem muslimische Frauen wurden vergewaltigt, rund 30’000 Menschen wurden ermordet, darunter über 100-150 Insassen des Lagers Trnopolje.
Die genauen Todeszahlen sind nicht bekannt, da der Verbleib und das Schicksal von rund 4400 Lagerinsassen bis heute nicht geklärt werden konnte. Eine kleine Minderheit der Insassen des Lagers Trnopolje waren Menschen aus umliegenden Dörfern, die sich aus Angst um ihr Leben vor den heranrückenden serbischen Milizen «freiwillig» in das Lager begeben hatten.
Diese Tatsachen sind bestens belegt durch die Urteile, Anklageschriften und Beweisdossiers aus den Verfahren des UN-Kriegsverbrechertribunals zu Ex-Jugoslawien gegen bosnische Serben. Diese waren verantwortlich für die Errichtung und Leitung dieser Lager und haben dort Verbrechen begangen.
Propaganda der serbisch-bosnischen Nationalisten
Dass es im angeblichen Flüchtlingslager Trnopolje kein Problem des Hungers oder der Unterernährung gegeben habe, ist falsch. Fikret Alic, der abgemagerte junge Mann, den die Kamera abbildete, sei möglicherweise an Tuberkulose erkrankt und praktisch der einzige mit diesem Aussehen im Lager gewesen. Diese Darstellung ist bis heute Teil der Propaganda bosnisch-serbischer Nationalisten. Fikret Alic selber hat dieser Falschbehauptung widersprochen. Er hat das Lager überlebt. Das ITN-Filmmaterial beweist, dass er einer unter vielen in diesem Lager mit diesem Aussehen war.
Das Lager Trnopolje war vollständig von einem Zaun umgeben. Ausserhalb waren bewaffnete Wachen postiert. Das belegen zahlreiche Zeugenaussagen sowie das Filmmaterial, welches das ITN-Fernsehteam am 5. August 1992 aufgenommen hat und aus dem das Foto stammt. Zwei Tage später wurde der äussere Zaun entfernt.
Thomas Deichmann hat im britischen Magazin Living Marxism (LM) über das ITN-Foto geschrieben und das angebliche «Flüchtlingslager» beschönigt. Im Verleumdungsprozess, den ITN gegen LM anstrengte, musste Deichmann seine falsche, beschönigende Darstellung in weiten Teilen revidieren.
Washington und die Nato spielten die Gräueltaten herunter
Das gezeigte Foto hat keine Emotionen für den Krieg gegen Serbien geschürt. Das ITN-Team, das die Filmaufnahmen im Lager Trnopolje machte, hatte diese Absicht nicht. Das Team entschied nach ausführlicher Diskussion, in seiner Berichterstattung auf den Begriff «Konzentrationslager» zu verzichten.
Falls die drei britischen Zeitungen mit ihrer Präsentation des Fotos Emotionen für den Krieg gegen Serbien schüren wollten, dann ist das Kalkül nicht aufgegangen. Im Gegenteil. In Washington und anderen Hauptstädten der Nato-Staaten waren die Regierungen bemüht, die Angelegenheit herunterzuspielen. Der Leiter der für Ex-Jugoslawien zuständigen Abteilung im Aussennministerium in Washington wies seine Mitarbeiter an, auf keinen Fall den Begriff «Genozid» zu benutzen, weil das die US-Regierung unter Handlungsdruck gesetzt hätte.
Das Foto zeigte Fikret Alic, einen jungen bosnischen Muslim. Die «Bild»-Zeitung titelte: «Bis auf die Knochen abgemagert, weggesperrt hinter Stacheldraht.» Diese Titelzeile der Bild-Zeitung war – ausnahmsweise – korrekt und ist kein «Beispiel eines Bildes, dessen Kontext verzerrt wurde».
Die Schlagzeile unten unter dem Bild des «Daily Mirror», «Der Schrecken des neuen Holocaust», suggeriert, der deutsche Holocaust und die serbischen «Todeslager» seien vergleichbar. Diese Schlagzeile ist falsch. Meine Vermutung: Der Daily Mirror hat «Belsen 92» getitelt, weil dieses Lager in der britischen Öffentlichkeit sehr bekannt ist. Es wurde im April 1945 von britischen Soldaten befreit. Und danach waren bis zum Abzug der Militärs der vier Siegermächte im Jahr 1990 in der Nähe des ehemaligen Lagers britische Soldaten stationiert.
«The Proof» (der Beweis) titelte der Daily Mail. Der Daily Mirror titelte «Belsen 92» – «in Anspielung auf das bekannte Nazi-Vernichtungslager», wie es im Infosperber-Artikel hiess. Diese Anspielung ist zumindest historisch ungenau. Zwar sind Tausende der im Lager Bergen-Belsen Inhaftierten an Seuchen und Unterernährung gestorben. Aber unter den insgesamt 20 grossen Konzentrationslagern mit 165 Aussenlagern, welche die Nazis etabliert hatten, gehörte Bergen-Belsen – im Unterschied zu Auschwitz-Birkenau – nicht zu den sechs Vernichtungslagern, in denen der Holocaust, die planmässige Vernichtung der Juden, betrieben wurde.
Joschka Fischer aus dem Zusammenhang gerissen
«Nie wieder Auschwitz»: Mit dieser Parole habe sich der deutsche Aussenminister Joschka Fischer im Jahr 1999 hinter die Nato-Bombardierungen auf Belgrad gestellt.
Doch es gibt weder einen zeitlichen noch einen kausalen Zusammenhang zwischen den Verbrechen der nationalistischen Serben im Bosnienkrieg 1992, dem Foto aus dem Jahr 1992 und der zitierten Äusserung von Fischer aus einer Bundestagsrede vom 7. April 1999.
Im Jahr 1999 wollte Fischer den zwei Wochen zuvor begonnenen völkerrechtswidrigen Nato-Luftkrieg gegen Serbien als angeblich notwendige «humanitäre Intervention» sowie die Teilnahme Deutschlands an diesem Krieg rechtfertigen. Fischer bezog sich in seiner Rede nicht auf die Ereignisse in Bosnien im Jahr 1992, sondern auf das Vorgehen und die Menschenrechtsverletzungen serbischer Soldaten und Polizisten an den Albanern im Kosovo in den Jahren 1998/99.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ich möchte mich sehr bedanken für diese Klarstellung. Wer Andreas Zumach von früheren Artikeln kennt, weiss, dass er auf keinen Fall die Sichtweise der US-Politik vertritt. Insofern legt er seine fundierte Sachkenntnis einfach deshalb dar, weil diese Genauigkeit und Unvoreingenommenheit in unserer Zeit der Informationskriege eine moralische Handlung ist. Damit unterscheidet er sich deutlich von dem, was im Mainstream wie im Antimainstream übliche Auffassung ist: Moralisch ist, wenn man die Informationen so zurechtbiegt, dass sie die Sache der «Guten» – je nach dem der Russen oder der Amerikaner – stützen; oder: Glaubhaft ist, was mein Vorurteil und meine Schuldzuweisung beweist.
Vielen herzlichen Dank, Andreas Zumach. Es bräuchte mehr Artikel von dieser sorgfältigen Art.
An anderer Stelle wird geschrieben, dass es im britischen Prozess um Deichmanns Aussagen im März 2000 nicht darum ging, ob die ITN-Reporter wahrhaft aus Trnopolje berichteten, sondern darum, ob sie mit Vorsatz gelogen hätten. Der Prozess wurde zugunsten ITNs entschieden und trieb den Beklagten, das Magazin LM, in den Bankrott. Der Richter selber stellte fest, dass die von ITN behaupteten Sachverhalte sehr zweifelhaft seien, es aber in diesem Prozess nicht um die Wahrheit, sondern um den Vorsatz gehe. Deichmann und LM hatten nie geleugnet, dass es in Trnopolje zu Gewalttaten und Menschenrechtsverletzungen gekommen war; es wurde aber das bekannte «Stacheldraht-Bild» als manipuliert angeprangert, was nach Kenntnis der Sachlage auch so gewesen ist. Das Bild hat, mit den Bildunterschriften, die Öffentlichkeit in die Irre geführt und für anti-serbische Stimmung gesorgt.