Grosse Autos = viel Platz? Ein Trugschluss!
Eine Konsultativabstimmung in Paris sorgte kürzlich für Aufsehen. Künftig sollen Besitzer von schweren Autos die dreifache Parkgebühr bezahlen. Betroffen sind Besitzer von Autos mit Verbrennungs- oder Hybridmotoren ab einem Leergewicht von 1,6 Tonnen. Ebenso betroffen sind Besitzer von Autos mit Elektromotoren ab einem Leergewicht von 2,0 Tonnen.
Für die Massnahme gibt es gute Gründe: Grosse und schwere Autos verbrauchen mehr Energie, sie stossen mehr Schadstoffe aus, sie verschmutzen die Gewässer stärker, sie beanspruchen besonders viel Platz, und die Besitzer verursachen mehr und schwerere Unfälle.
«Familien brauchen Platz»
Trotzdem hat der französische Automobilclub «40 millions d’automobilistes» eine Petition gegen diese und ähnliche Massnahmen lanciert. «Familien brauchen Platz», schreibt der Automobilclub. «SUV-Besitzer wegen des Gewichts zu bestrafen bedeutet: Familien bestrafen.»
Auch viele Medien preisen die grossen und schweren Geländewagen als Familienautos. Die NZZ stellte den Nissan X-Trail als «echten Familienfreund» vor. Der Blick kündigte an: «Diese Familienautos rollen 2024 zu uns.» Zwei Drittel der präsentierten Autos waren Geländewagen. Denn, so der Blick: «Heute müssen Familienautos nicht nur praktisch, sondern auch stylisch sein.» Der französische Pneuhersteller Michelin schreibt klipp und klar: «SUV: Das ultimative Familienauto.»
Die entscheidenden Zahlen
Infosperber will die grossen und schweren Autos nicht verteufeln. Vielmehr liefert Infosperber die entscheidenden Zahlen. In der unten stehenden Tabelle sind die 15 in der Schweiz meistverkauften Modelle vom Januar in der Reihenfolge der Verkaufszahlen aufgelistet. Rot herausgehoben sind jeweils die drei Modelle, die herausstechen – weil sie besonders lang oder besonders breit sind, weil sie besonders viel Fläche beanspruchen oder besonders schwer sind.
Interessant ist sodann die letzte Spalte. Sie zeigt die Grösse der Kofferräume. Und zwar nach der einheitlichen Messmethode des Allgemeinen deutschen Automobil-Clubs (ADAC). Grün herausgehoben sind die drei Modelle mit dem grössten Kofferraum.
Dabei fällt auf:
- Den grössten Kofferraum hat der Skoda Octavia, obwohl er kleiner und leichter ist als der Durchschnitt der 15 Modelle. Der Kofferraum fasst 505 Liter.
- Unter den drei Modellen mit dem grössten Kofferraum figuriert nur ein sehr grosses und schweres Auto: Der elektrische Skoda Enyaq.
- Das allergrösste Auto, der BMW X5, verfügt trotz einer stattlichen Länge von beinahe fünf Metern und einem Leergewicht von deutlich über zwei Tonnen nur über einen durchschnittlichen Kofferraum mit einem Volumen von 400 Litern.
- Ähnlich schlecht schneiden auch die anderen grossen und schweren Autos wie Mercedes GLC, Volvo XC60, Tesla Model Y, BMW X3, Porsche Macan und VW Tiguan ab.
«Premium-Marken ‹runden› auf»
Der ADAC misst übrigens die Kofferraumgrösse nach, weil er festgestellt hat, dass «die Messmethoden der Hersteller sehr unterschiedlich sind». Und er hält fest: «Premium-Marken ‹runden› grosszügig auf.» Extremstes Beispiel: Der Tesla Model Y. Der Hersteller gibt ein Volumen von 854 Litern an. Der ADAC mass bloss 420 Liter. Das ist nicht einmal die Hälfte.
Der ADAC schreibt auch: «Automarken mit sehr günstigen Modellen wie zum Beispiel Dacia machen meist recht realistische Angaben zum Kofferraumvolumen.» Beim Dacia Jogger hat der ADAC sogar einen grösseren Kofferraum gemessen als der Hersteller selber.
Ein Leichtgewicht
Der Dacia Jogger hat bei weitem den grössten Kofferraum, den die ADAC-Tester gemessen haben. Er fasst 635 Liter. Und dabei ist das Auto der rumänischen Renault-Tochter mit 1233 Kilo für heutige Massstäbe schon fast ein Leichtgewicht.
Interessant ist deshalb auch – obwohl eine kleine Zahlenspielerei – das Verhältnis von Kofferraumvolumen zu Leergewicht. Der Dacia hat ein Kofferraumvolumen von 515 Litern pro Tonne Leergewicht. Der Skoda Octavia aus der obigen Tabelle kommt auf 365 Liter pro Tonne Leergewicht. Und der BMW X5 bloss auf 179 Liter pro Tonne.
Damit ist klar: Besonders grosse Autos bieten nicht unbedingt mehr Platz. Besonders schwere auch nicht. Das hat auch der ADAC festgestellt: «Weil ein SUV mehr Bodenfreiheit hat als etwa ein Van, geht dadurch ebenso Platz verloren wie durch die wuchtige Motorhaube. Ein klassischer Van bietet mit seinem ‹One-Box-Design› meist mehr Raum als ein SUV.»
Was sich ebenfalls sagen lässt: Da Dacia beim Jogger auf wuchtige Formen und protziges Design verzichtet, resultiert – anders als bei den Geländewagen – tatsächlich ein Auto mit komfortablem Innenraum.
Die Fahrzeugbreite als Problem
Breite Fahrzeuge sind ein Problem: Für Velofahrer, weil sie knapp überholt werden. Für andere Autofahrer, weil es beim Kreuzen eng werden kann. Und für den Besitzer selber, weil Parkfelder nicht breit genug sind.
Hinzu kommt das Problem der Baustellen auf Autobahnen. Denn häufig ist die Überholspur mit einer Höchstbreite von 2,0 Metern signalisiert. Als Fahrzeugbreite gilt gemäss Artikel 38 der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge zwar nur die Breite ohne Aussenspiegel.
Doch mittlerweile gibt es schon Personenwagen, welche die 2,0 Meter auch ohne Aussenspiegel überschreiten. Von den meistverkauften 15 Modellen (siehe Tabelle oben) betrifft dies den BMW X5.
Bei einer Kontrolle der Kantonspolizei Zürich auf der Autobahn A1 bei Winterthur verstiess alle anderthalb Minuten ein Lenker gegen die Breitenbeschränkung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Super Recherche! Klar, dass die Autolobby inklusive Medien grosse Autos bevorzugen, da an diesen mehr verdient wird, Gefahr für Leib und Leben egal.
Ich habe ein «Bauernanhänger», den ich mit dem Elektrovelo ziehe. Bei 0.68 m Breite und 0.88 m Länge ist die Ladefläche ca. 0.6 m2. Da können bei leichten Dingen wie Heu 600 l und mehr transportiert werden, bei normalen etwa 250 l und bei schweren entsprechend weniger. Ich kann also auf kürzeren Strecken ohne zu grosse Steigungen etwa gleich viel leichte bis mittlere Ladungen transportieren wie ein Auto im Kofferraum. Mit viel weniger Energie.
Für Familien gibt es spezielle Velo-Lösungen geeignet für innerorts und Touren.
Apropos «Familienauto»: Ende der 60er-Jahre fuhren meine beiden Geschwister und ich mit den Eltern jewils im Sommer an die Côte d’Azur. Mit Gepäck für alle! In einem Ford Mustang!! Mehrheitlich über Hauptstrassen, denn Autobahnen waren noch rar.
Ich hab so einen Mustang letzthin an einem Oldtimertreffen gesehen und gestaunt, dass das überhaupt möglich war.
Ein wichtiges Familienauto fehlt: Der Hochdachkombi, er ist ist das Familienauto schlechthin. Ein Renault Kangoo oder Nissan townstar (oder Berlingo oder Opel Combo, Peugot Rifter etc.) misst keine 4.5m, hat aber einen Kofferraum von knapp 800 Liter. Mit allen Assistenzsystemen, die ja obligatorisch werden, wiegt mein Nissan 1680 kg. Kein Suv, aber über den 1600 kg. Ich fahre das Auto übrigens mit 6 – 6.5 l Benzin. 1600 kg sind also eine schlechte Grenze.
Der Hang zu diesen schweren Undinger verstehe ich nicht. Wir haben einen VW Touran, soviel Platz für diese Aussenmasse werden nur noch von Konzerneigenen Caddy übertroffen. 3 Kindersitze auf der Rückbank eines SUV‘s? Vergiss es.
VW sagt, der Touran sei massiv rückläufig in den Verkäufen (er bekam aber im 2023 doch nochmals ein Lifting). Ford hat die „Mini Vans“ mit c-max aus dem Sortiment genommen, ebenso Toyota mit dem Verso, Citroen mit Picasso, Renault mit dem Scenic (der neue hat schon fast SUV Masse so hoch ist die Fahrerkabine), Kia hat keinen mehr, ebensowenig Nissan und Honda.
Die „neuen“ Familienauto die alle auf den Renault Kangoo basieren finde ich persönlich noch hässlicher als damals der Fiat Multipla (den es trotz der genialen 6 Plätze auch nicht mehr gibt).
Familien mit mehr als 2 Kinder werden (fast) überall ignoriert.
Ein Vergleich mit älteren Fahrzeugen der 60iger bis 80iger Jahre zeigt, dass das Kofferraumvolumen nicht zugenommen hat. Das liegt bei Standardlimousinen meist zwischen 350 – 450 Litern. Die Nutzlast hat zugenommen, ist jedoch im Verhältnis zur Leermasse (die siehe Tabelle sehr hoch ist) stark gesunken. Dafür hat sich die Motorleistung verdoppelt und verdreifacht. Die Standardmaße einer Mittelklasse-Limousine der 60iger Jahre waren ca. 4000 – 4800 mm Länge und 1500 – 1700 mm Breite. Die Klassiker Fiat 124, Alfa Romeo Giulia, Lancia Fulvia, BMW E21 316, Peugeot 504, Renault 12, Citroen GS wiegen nicht mehr als eine Tonne, sind teilweise im Falle der Italiener sogar schmaler als 1600 mm und haben alle eine ordentliche Zuladung von 350 – 450 kg. Sogar der Zweitakter Wartburg 353 aus der DDR kommt auf ein Kofferraumvol. von 525 Litern und der robuste Moskwitsch 412 aus der UdSSR wiegt nur 1050 kg. Die Autos waren bei den Außenmassen kleiner, aber nicht unbedingt beim Kofferraum.