Kink

Die Hauswart-Firma Kink kann keine Krankentaggeldversicherung mehr abschliessen, obwohl sie es gemäss GAV müsste. Das zeigte jüngst eine Recherche des «Kassensturz». © SRF

Krebsdiagnose und Burnout können ins Prekariat führen

Andres Eberhard /  Alles spricht über die AHV. Ganz vergessen geht die vielleicht grösste Lücke im Sozialversicherungssystem: das Krankentaggeld.

Stellen Sie sich vor, Sie bekommen eines Tages die Diagnose Krebs oder erleiden ein Burnout. Vielen Menschen geht es leider tatsächlich so. Sollte Sie es treffen, wird sich Ihr Leben von einem Tag auf den anderen schlagartig verändern. Untersuchungen und Therapien werden mindestens eine Zeit lang Ihr Leben bestimmen – von allen Sorgen und Nöten, die Sie umtreiben, einmal ganz zu schweigen. In dieser Zeit vertrauen Sie darauf, dass Ihr Arbeitgeber den Lohn weiterzahlt. Aber irgendwann werden Sie sich fragen: Wie lange?

Die Antwort darauf ist nicht zufriedenstellend. Denn sie hängt davon ab, wie Ihr Arbeitgeber versichert ist. Sicher ist, dass Sie mindestens drei Wochen lang weiter Geld erhalten. Dies, falls Sie Ihre Stelle erst gerade angetreten haben. Vielleicht sind es auch drei Monate (ab fünf Jahren im Betrieb) oder sogar deren sechs (ab 20 Jahren). Danach sollte für maximal zwei Jahre die Krankentaggeldversicherung zahlen und nachher – falls Sie dauerhaft erwerbsunfähig würden – die Invalidenversicherung (IV).

Der Haken dabei: Eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen ist für Arbeitgeber nicht obligatorisch. Wenn Sie also Pech haben und in einem unversicherten Betrieb angestellt sind, werden Sie während der ersten beiden Jahre Ihr Erspartes aufbrauchen müssen. Falls Sie keines haben, rutschen Sie in die Sozialhilfe. Anders gesagt: Der Weg vom Mittelstand ins Prekariat ist vorgespurt.

Für Versicherungen ein gutes Geschäft…

Mit dieser Lücke im Schweizer Sozialversicherungssystem befasst sich nun die Politik. Der Nationalrat hat einer Motion von ex-Nationalrat Marco Romano (Die Mitte) knapp zugestimmt. Diese fordert ein Krankentaggeld-Obligatorium. Nun ist der Ständerat an der Reihe. Anfang kommender Woche tagt die vorberatende Kommission zum Thema.

Es gibt nicht viele Argumente, die gegen ein Obligatorium sprechen. Trotzdem hat der Vorschlag einige mächtige Feinde. Einerseits die Lobby der privaten Versicherer. Für diese ist Krankentaggeld ein gutes Geschäft. 4,7 Milliarden Franken betrug das Prämienvolumen im Jahr 2021. Ein Obligatorium würde die Gewinne der Versicherer bedrohen. Denn derzeit optimieren sie ihre Margen, indem sie die Prämien bei «riskanten» Kunden um bis zum Dreifachen erhöhen oder diese gar ganz ausschliessen. Dafür genügt manchmal ein einziger kostspieliger Krankheitsfall, wie der Kassensturz jüngst publik machte. Ein Obligatorium könnte dieser Praxis Grenzen setzen.

Andererseits stemmt sich auch der Bundesrat gegen die Forderung nach einem Obligatorium. Der abgetretene Bundesrat Alain Berset (SP) argumentierte im Nationalrat, dass die meisten Firmen auf freiwilliger Basis eine Krankentaggeldversicherung abschliessen. Tatsächlich haben das landesweit rund vier von fünf Unternehmen getan. In manchen Branchen sind die Firmen per GAV dazu verpflichtet. Anderswo seien die Anreize genügend gross, dies zu tun, wie Berset meinte. «Die Arbeitgeber selbst sind an einer Versicherungslösung interessiert, um nicht das Risiko einzugehen, bei Langzeiterkrankungen mehrere Monate lang allein für die Lohnfortzahlung aufkommen zu müssen», sagte er.

… für KMU ein Risiko

Jedoch zeigen die Recherchen des Kassensturz auch: Manche Firmen möchten zwar eine Versicherung abschliessen oder müssen es wegen eines Branchen-GAVs sogar. Sie werden aber von keinem Versicherer aufgenommen, weil sie durch Krankheitsfälle in der jüngeren Vergangenheit quasi zu riskant geworden sind. So geschehen bei der auf Hauswarts-Dienstleistungen spezialisierten Firma «Kink Haus Wartungen». Die Firma mit 20 Mitarbeitenden zahlte zwei Jahrzehnte lang Prämien, ohne Leistungen zu beziehen, ehe ihr nach drei Krankheitsfällen die Krankentaggeldversicherung gekündigt wurde. Eine neue abzuschliessen, gelang nicht: 20 Anträge bei Krankentaggeldversicherern waren erfolglos.

Inhaber Stephan Kink findet diese Situation absurd, schliesslich ist er per GAV dazu verpflichtet, eine Krankentaggeldversicherung abzuschliessen. «Die Versicherer aber sind nicht verpflichtet, etwas anzubieten», sagte er gegenüber SRF. Ohne Versicherung muss das Unternehmen die Leistungen selber erbringen, dem erkrankten Mitarbeiter also 80 Prozent des Lohns während maximal zwei Jahren bezahlen. Für ein KMU, das wegen des Ausfalls eine Ersatzkraft einstellen muss, können solche Mehrkosten existenzgefährdend werden. «Wenn wir mehrere solche Fälle haben, dann machen wir den Laden dicht», so Stephan Kink.

Dieser wirtschaftliche Druck führt ausserdem zu Fehlanreizen, die zulasten von erkrankten Menschen gehen: Dass die Firma dem betroffenen Mitarbeiter zum nächsten arbeitsrechtlich möglichen Zeitpunkt kündigt, ist wahrscheinlich. Es ist dagegen ziemlich unwahrscheinlich, dass sie in Zukunft dem Ruf nach Inklusion nachkommt und zum Beispiel bei Wiedereingliederungsversuchen mitmacht. Denn Arbeitgeber, die Menschen mit chronischen Krankheiten oder Behinderungen eine Chance geben, zahlen derzeit besonders hohe Prämien.


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