Biomüll in drei Ländern – Frankreich gibt Gas
Seit Anfang Jahr ist die erleichterte Entsorgung von Bioabfall in Frankreich vorgeschrieben. Einwohnerinnen und Einwohner sollen Rüstabfälle, Verdorbenes oder Essensreste in Zukunft gesondert und unkompliziert entsorgen können, sagt das Gesetz.
«Am 31. Dezember 2023 wird die Sortierung von Bioabfällen an der Quelle verpflichtend. Das heisst, dass alle Abfallerzeuger in Frankreich (Privatpersonen, Behörden, Körperschaften, Gewerbetreibende usw.) über Lösungen für die Sortierung an der Quelle und die Wiederverwertung ihrer Bioabfälle verfügen müssen. Das bedeutet auch, dass die Bewirtschaftung so nah wie möglich am Ort der Entstehung erfolgt.», fasst die Seite «Vers la Terre» auf Deutsch zusammen.
In Strassburg sei man mit der Umsetzung vorne dabei, berichtet ein in mehreren badischen Zeitungen erschienener Artikel. Ansprechend gestaltete Biomüll-Behälter fänden sich im ganzen Stadtgebiet. Maximal 250 Meter wohne die Hälfte der etwa 500’000 Einwohner der Metropole Strassburg von einem solchen Kompost-Kübel entfernt.
Der öffentliche «Biowürfel» werde durch eine Klappe befüllt und mehrmals pro Woche geleert. Er sei so dicht, dass Fliegen oder Ratten nicht an die Reste kommen und auch kein Geruch austrete. Strassburg sei damit Vorzeigestadt und sammle so etwa 15 Kilogramm Biomüll pro Person und Jahr. Der nationale Durchschnitt liege bei 12 Kilogramm.
Huningue: offen, zentral, sauber
Und wie sieht es in anderen Orten aus? Ein Augenschein in Huningue gleich jenseits der Schweizer Grenze: Noch in Sichtweite der Dreiländerbrücke, die Deutschland und Frankreich am Dreiländereck verbindet, findet sich die erste Abfall-Insel. Graue Einwurfkamine für Glas, Plastik und Restmüll stehen neben einem Behälter für Gebrauchtkleider und einem kleineren für Biomüll (unser Titelbild).
Unter der oben angebrachten Klappe des Betonquaders verbirgt sich ein ganz normaler Müllsack. Es ist klirrend kalt, der Müll darin ist vermutlich tiefgefroren. Die Frage nach störenden Gerüchen erübrigt sich. Der Platz ist zentral, sauber, offen und gut zugänglich.
Ebenso wie der nächste an der Kreuzung der Rue Vauban und der Rue du Raisin, wo eine Frau gerade einen grauen Plastiksack in einen der Restmüll-Kamine wirft, als ich ankomme. Neben den Öffnungen für die unterirdischen Behälter steht ein kleiner grau-weisser Quader mit einem grünen Aufkleber und der Aufschrift «Biodéchet» (Biomüll). Die Entfernung zur ersten Müllstation beträgt laut Google Maps genau 250 Meter. Da kann Huningue mit Strassburg also durchaus mithalten.
Der Weg zur dritten Recycling-Station auf dem öffentlichen Plan führt aus dem Dorfkern hinaus. Hier haben die Häuser Vorgärten. Die grüne Biotonne und die beige Tonne für Brennbares, die in St. Louis/Huningue beide einmal wöchentlich abgeholt werden, stehen sichtbar in den Einfahrten. Zusätzlich zu den drei Bio-Quadern gibt es für die 7600 Einwohner von Huningue also auch eine regelmässige Biomüll-Abfuhr.
Basel: das lange Leiden mit den Bioklappen
Im Gegensatz zum benachbarten Basel. Die angrenzende Schweizer Stadt hat kein flächendeckendes Biomüll-Konzept, quälte sich aber jahrelang mit Teillösungen.
Den französischen Bio-Quadern recht ähnlich sind die Bioklappen, von denen sieben im Stadtgebiet verteilt sind. Eine davon findet sich in einer Sackgasse im Kleinbasler Wettsteinquartier, am Eingang zum Gemeinschaftsgarten Landhof. Der mannshohe Container ist kräftig blau mit grüner Front und grösser als die französischen Biobehälter. Er quetscht sich neben der Einfahrt in eine Ecke.
Das Leiden an und mit den Bioklappen in Basel dauert nun schon zehn Jahre. Die Klappen-Konstruktion hat eine anfällige Mechanik, sie verstopft daher schnell. Dann legen Baslerinnen und Basler den Müll häufig neben dem Container ab. Auch mit dem Bezahlkarten-System wurden nicht alle warm.
«Man hätte den allerersten Versuch damals sofort abbrechen sollen», sagt Dominik Egli, der Leiter der Stadtreinigung Basel, auf telefonische Nachfrage. Seit einem Jahr gibt es ein neues Modell, das nicht so schnell verstopfen soll, und eine App zum Öffnen der Klappe. Die Situation habe sich inzwischen stark verbessert.
Zusätzlich gibt es mehrere Quartierkomposte, die aber meist nur eine Stunde pro Woche Abfälle annehmen, und ein privatwirtschaftliches Abholsystem namens Radschaft, das Bioabfälle im ganzen Kanton mit dem Lastenrad abholt. Die Stadt Basel versucht, Einwohner und Einwohnerinnen dazu zu motivieren, einen eigenen Kompost anzulegen oder sich einen Wurmkomposter zuzulegen.
«Jeder will ein funktionierendes Abfallsystem, aber keiner will es vor seiner Haustüre.»
Dominik Egli, Leiter Stadtreinigung Basel zur bz Basel, 2023
Auch Müllinseln haben es schwer. Gegen ein Pilotprojekt mit einem Biomüll-Unterflurcontainer im Bachletten-Quartier gingen 89 Einsprachen ein. «Jeder will ein funktionierendes Abfallsystem, aber keiner will es vor seiner Haustüre», fasste Egli 2023 gegenüber der «bz Basel» zusammen.
Auseinandersetzungen, unter die Basel nun wohl einen Schlussstrich gezogen hat. Für das kommende Jahr plane Basel eine flächendeckende Bio-Abfuhr, kündigt der Leiter der Stadtreinigung an. «Das schaffen wir auch ziemlich sicher termingerecht zum 1.1.2025.»
Schweiz: Luft nach oben
Basel kann dann seiner Rolle als grüne Vorzeigestadt wieder gerecht werden. Da ist derzeit nämlich ausgerechnet Zürich schon weiter. Dort werden seit 2023 auch organische Haushaltsabfälle eingesammelt.
In anderen Städten und Gemeinden werden oft nur Grünabfälle wie Heckenschnitt gesondert verwertet. «Beim Kompostieren gibt es noch Luft nach oben», schrieb der «Tagesanzeiger» Anfang Januar als Teil einer Serie über Abfälle in der Schweiz.
Demnach verursachte jeder in der Schweiz Lebende 2022 durchschnittlich 50 Kilogramm sogenannte biogene Abfälle. Das heisst Rüstabfälle, nicht mehr geniessbare Lebensmittel, Fleisch, Foodwaste und Grünabfälle. Laut Kehrrichtsackanalyse des BAFU über 2022 machten sie 35 Prozent des Siedlungsabfalls aus.
Deutschland: Die Biotonne gehört zum Alltag
In Deutschland waren vor zwei Jahren rund 27 Prozent der Haushaltsabfälle Biomüll. Die «grüne» oder «braune» Biotonne gehört seit längerem zum Alltag. Offiziell sieht das Kreislaufwirtschaftsgesetz seit 2015 vor, dass häusliche Bioabfälle getrennt erfasst werden. Abfalltonnen für Bioabfall gibt es teilweise länger, wenn auch noch immer nicht in allen Kreisen.
In Deutschland verbergen sich Altglascontainer, Müll- und Biotonnen aber eher in Nischen, hinter Hecken oder Mäuerchen. Kein Vergleich mit den offenen Abfallinseln in Huningue.
In der Realität ist die grüne Tonne meist braun und hat einen Deckel mit einem Filter gegen Gerüche. Gelegentlich gibt es Beschwerden über Fliegen, Maden, Gestank sowie Klagen der Abfallwirtschaft über Fehlwürfe. Also über Dinge, die nicht in den Biomüll gehören, grösstenteils Plastiktüten. Man scheint mit dem Modell aber so gut zurechtzukommen, dass niemand zurück zum System mit nur einer Restmülltonne will.
Unterschiedliche Lösungen für die gleichen Probleme
Der Umgang mit bioabbaubaren Abfallsäcken ist ein Streitpunkt. In den meisten deutschen Orten wollen die Müllabfuhren sie nicht im Biomüll haben, weil die Vergärungs- und Kompostierungsanlagen damit nicht zurechtkommen (Infosperber berichtete). Anders in Frankreich und in Basel – dort werden die dünnen Säckli zum Einsammeln von Biomüll ausgegeben.
Im Bundesland Baden-Württemberg, das etwa so bevölkerungsstark ist wie die Schweiz, steigt die erfasste Biomüll-Menge noch immer an – ein Zeichen dafür, dass die Einwohner:innen noch immer nicht alle Bioabfälle in der Biotonne entsorgen. 2022 waren warfen sie pro Kopf 54 Kilogramm Biomüll weg (ohne separat gesammelte Grünabfälle). Die Eurométropole de Strasbourg ist mit 15 Kilogramm pro Kopf und Jahr also noch steigerungsfähig.
Vergärt, kompostiert oder beides
Die Strassburger und Strassburgerinnen geben sich Mühe, die modernen Biomülleimer in der Region richtig zu befüllen. Laut den «Badischen Neuen Nachrichten» liegt der Anteil an nicht organischem Abfall bei etwa drei Prozent. In Baden-Württemberg liegt die Quote laut SWR bei vergleichbaren 2,3 bis 2,6 Prozent. Stellenweise können es aber bis zu 15 Prozent sein.
Aus 68 Prozent des Tonneninhalts in Baden-Württemberg wird laut Abfallbilanz 2022 per Vergärung Biogas. Vergärungsreste und der grösste Teil vom Rest des Tonneninhalts werden kompostiert. Ein kleiner Teil wird verbrannt.
Auch Strassburg verwandelt den Abfall aus den modernen Biokübeln in Gas, das ins städtische Netz eingespeist wird. Biogas, das grösstenteils aus Methan besteht, wird in Zeiten globaler Umwälzungen und steigender Strompreise derzeit attraktiver.
Kompost ist als CO2-Senke und Dünger geschätzt. Was ohne Kontrollen aber sehr schief gehen kann – das zeigt ein Unfall in Nordbaden, wo zwischen 2005 und 2008 PFAS-haltiger Klärschlamm auf viele Felder gelangte (Infosperber berichtete). Die gesamte Gegend ist seither verseucht – Ursache war Gewerbemüll in Form von Schlämmen aus der Papierherstellung.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Grüezi Frau Gschweng
Es ist erfreulich, dass Sie aufzeigen dass es bei der Kreislaufwirtschaft schlechte und weniger schlechte Besipiele gibt.
Was mir fehlt sind Kostenbetrachtungen und Betrachtungen zu den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Das beginnt schon mit der Wortwahl. Wir sprechen von biogenen Wertstoffen und nicht von Biomüll. Biogene Wertstoffe sind nicht nur wertvoller Dünger, es ist z.B. auch lagerbere erneuerbare Energie zur Deckung der Residuallast und saisonaler Energiespeicher für Strom und Wärme. Die Einspeisung ins Gasnetz, das sie als Beispiel nehmen, ist z.B. eine der ineffektivsten Nutzung von Biogas. Biogene Wertstoffe sind ein rares Gut, dass z.B. nicht einfach in Gasheizungen im wahrsten Sinne des Wortes nicht einfach verheizt werden darf.
Ich denke es wäre sehr wichtig, zu klären wo das Marktdesign nicht stimmt. Die Lösungsansätze wurden im Infosperber schon öfteres thematisiert, aber meist nicht in den Zusammnehang gebracht von Fehlentwicklungen.
Frau Gschweng ist herzlich eingeladen sich die modernen Biomüllbehälter in Sion (Schweiz) anzuschauen, die haben auch die bioabbaubaren Abfallsäcke und vielleicht kann der Stadtrat auch die von Herrn Löpfe geforderten Zahlen liefern.
Grüezi Frau Gschweng
offenbar haben Sie noch nie Winterthur genauer angesehen. Wir haben hier seit vielen Jahren eine wöchentliche «Grünabfuhr» für alles, woraus wieder etwas entstehen (Kreislauf) kann.
Im übrigen ist «Biomüll» (welch dumme Bezeichnung) ein Problem der Verstädterung. Auf dem Land weiss jeder, was er damit Nützliches machen kann.
Vor Deutschland oder Frankreich müssen wir uns bezüglich Abfall-Trennung nicht verstecken. Was diese Länder heute lautstark als Fortschritt verkaufen, machen wir an vielen Orten in der Schweiz seit langem, aber ohne grosses Tamtam.