Sperberauge
Berner Regierung: Unfähig zur Selbstkritik
Berner Regierungsräte und Regierungsrätinnen bekommen neben einem stattlichen Lohn auch eine Spesenpauschale von 8000 Franken pro Jahr. Diese Spesenpauschale soll die Nutzung privater Fahrzeuge und privater Infrastruktur für dienstliche Zwecke abgelten. Sie soll auch Bekleidungskosten und Kleinauslagen decken.
1.15 Franken fürs Znüni
Diese Regelung hindert Berner Regierungsräte aber nicht daran, auch Kleinstspesen abzurechnen, wie die Fernsehsendung Kassensturz am Dienstag aufzeigte. Krassestes Beispiel: FDP-Regierungsrat Philippe Müller.
Müller scheute nicht davor zurück, dem Kanton 1.15 Franken für ein Mehrkornbrötli und eine Banane aus dem Berner Bahnhof-Coop in Rechnung zu stellen. Verbucht wurden Brötli und Banane als «Verpflegung».
Hut und Schal für den Neujahrsempfang
SP-Regierungsrat Christoph Ammann verlangte vom Kanton 40 Franken zurück, die er ausgegeben hatte, um beim Stadttheater einen Hut und einen Schal für den Neujahrsempfang im Bundeshaus zu mieten. Und dies, obwohl Bekleidungskosten in der Spesenpauschale eigentlich inbegriffen sind. Dies nur zwei Beispiele, die der Kassensturz präsentierte.
Schiefes Licht
Natürlich sind die 1.15 Franken und die 40 Franken nicht Beträge, die den finanziell angeschlagenen Kanton Bern in den Ruin treiben. Aber sie werfen ein ziemlich schiefes Licht auf die Berner Regierung. Und diese unternimmt alles, um ihr Image weiter zu beschädigen.
«Spesenpauschale»
Noch in der Fernsehsendung behauptete der Berner Regierungssprecher Reto Wüthrich: «Es handelt sich bei den abgerechneten Aufwendungen um Auslagen, die in einem Exekutivamt auf Kantonsebene üblich und gerechtfertigt sind.» Doch eigentlich ist eine Spesenpauschale dazu da – wie der Name sagt –, Spesen «pauschal» abzugelten. Und so wird es in vielen Kantonen auch gehandhabt.
Immer schlimmer
Gestern veranstaltete die Berner Regierung dann ein veritables Informations-Desaster:
- Regierungssprecher Reto Wüthrich schrieb dem Radio-Regionaljournal: «Weder Philippe Müller noch sonst einem Regierungsmitglied käme es in den Sinn, eine Banane oder ein Brötchen abzurechnen. Leider ist es passiert.» Der Regierungssprecher sagt also: Müller würde es nie tun. Aber er habe es trotzdem getan.
- Unsinn auch auf dem X-Kanal des Kantons Bern: «Es gibt kein Regierungsmitglied, das Kleinstbeträge als Spesen abrechnet – erst recht nicht systematisch.» Anders gesagt: Sie tun es nie. Jedenfalls nicht regelmässig.
- Und nochmals auf X: «Einzelne Berner Regierungsmitglieder stehen aktuell in der Kritik, weil sie gemäss einem Fernsehbeitrag des ‹Kassensturz› Kleinstbeträge als Spesen abgerechnet haben. Die Kritik ist ungerechtfertigt.» Warum die Kritik ungerechtfertigt sein soll? Das bleibt das Geheimnis der Berner Regierung.
- Und dann äusserte sich auch noch Regierungsrat Philippe Müller auf X: «Es gibt zwei Bretzel (2018) & 1 Banane (2019), die falsch verbucht wurden, mein Fehler.» Fragt sich nur: Warum gab Müller die Quittungen überhaupt in die Buchhaltung? Und warum klopfte ihm dort niemand auf die Finger?
Dabei wäre es so einfach gewesen. Der Regierungssprecher hätte beispielsweise sagen können: «Die Berner Regierung hat Fehler gemacht. Das ist peinlich. Ab sofort dürfen Regierungsmitglieder keine Spesen unter 200 Franken mehr in Rechnung stellen.» Und schon wäre die Angelegenheit erledigt gewesen.
Erinnerungen an die Jaguar-Affäre
Im Sommer 1984 deckte Rudolf Hafner, Revisor in der Berner Finanzkontrolle, einen Skandal auf, der als Berner Finanzaffäre in die Geschichte einging. In einem 23-seitigen Papier listete er zahlreiche Verstösse gegen das Finanzhaushaltsgesetz und die Kantonsverfassung auf. Er kritisierte, dass der Kanton unter anderem Lotteriegelder zweckentfremdet und damit antiseparatistische Organisationen unterstützt hatte. Die Laufental-Abstimmung musste deshalb sogar wiederholt werden.
Der Regierungsrat räumte ein, «rechtliche Fehler» gemacht zu haben, betonte aber stets, dass sich niemand persönlich bereichert habe.
Deshalb doppelte Hafner im Herbst 1985 nach. Er wies nach, dass sich Regierungsräte sehr wohl bereichert hatten. Für das grösste Aufsehen sorgte FDP-Regierungsrat Hans Krähenbühl. Er hatte seinen privaten Jaguar in der Garage des Kantons auf Staatskosten reparieren lassen.
Später kam auch noch heraus, dass Regierungsräte Spesen doppelt bezogen hatten und sich private Ausflüge, Vereinsbeiträge und Versicherungen aus dem gemeinnützigen Lotteriefonds hatten bezahlen lassen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ist es war, dass man unseren Regierung kritisieren darf?
Im Prinzip ja, aber es lebt sich in den eigenen vier Wänden angenehmer.
Als ich nach meinem Studium meine erste Stelle antrat (eine «kleine», befristete Stelle beim Staat, etwa Mitte der 1970-er Jahre) , wurde ich sehr wohl in die Gepflogenheiten eingeführt. Angesichts des «stolzen» Lohns fand ich es sehr kleinlich (und ausserdem mühsam), über Fahrkosten und derlei buchzuführen und sie zurückzufordern. Ich nahm alles auf meine eigene Rechnung. Ich wundere mich noch heute über die armselige Spesenreiterei.
Ergänzend sollte erwähnt werden. dass Rudolf Hafner und nicht etwas Krähenbühl wie ein Schwerverbrecher von der Polizei gejagt wurde. Übringens sind mir Querdenker lieber als kleinkarierte Denker.