Der Dollar ist umstritten, aber nicht so schnell ersetzbar

Der Dollar ist umstritten, aber nicht so schnell ersetzbar © public-domain pixabay

Eine Dollar-Alternative ist nicht in Sicht

Christof Leisinger /  Schwellenländer wie etwa Brasilien, Indien, China oder Russland wollen sich vom Dollar abkoppeln. Doch so schnell geht das nicht.

Enorme Staatsdefizite, hohe und rasch zunehmende Schulden, innenpolitische Polarisierung, aussen-, handels- und geopolitische Abenteuer – wen wundert es angesichts der scheinbar prekären Lage in den USA, dass immer mehr Berichte und Analysen auf den Markt kommen, die an der Zukunft des amerikanischen Dollars als Welt-Reservewährung zweifeln.

Und wer wird schon davon überrascht sein, dass China, das kriegerische Russland sowieso und neben weiteren Schwellenländern auch das rohstoffreiche Brasilien die amerikanische Währung als das dominierende Transaktionsmedium im internationalen Handels- und Finanzgeschäft gerne ablösen wollten. «Jeden Abend frage ich mich, warum alle Länder ihren Handel auf den Dollar stützen müssen», so brachte Präsident Lula da Silva seinen offensichtlichen Unmut im vergangenen Jahr im Rahmen einer leidenschaftlichen Rede vor der New Development Bank oder besser der Brics-Bank in Schanghai auf den Punkt.

Lamentieren gegen das das «Dollar-Weltreserve-Joch»

Lulas Aufruf, das «Dollar-Weltreserve-Joch» abzuwerfen, kommt Peking und Moskau entgegen. Schliesslich geben die Regierungen beider Staaten schon eine Weile vor, die eigenen Währungen beziehungsweise den Yuan bei der Abwicklung des grenzüberschreitenden Rohstoffhandels zu bevorzugen. Die Chinesen versuchen, die Rolle der zweitgrössten Volkswirtschaft der Welt im globalen Finanzsystem zu stärken.

Dollarindex
Historische Entwicklung des Dollar-Index

Solche Absichtsbekundungen haben enorm zugenommen, seit Russlands Zugang zum Dollarsystem aus politischen Gründen ziemlich eingeschränkt wurde – und das mag eine der Ursachen dafür sein, dass kritische Beobachter in diesen Tagen skeptisch über dessen Wert debattieren. Mancherorts arbeitet man gar an der Einführung beziehungsweise an der verstärkten Nutzung von Alternativen. Kühne Prognostiker wagen sogar die Prognose, rohstoffbasierte Währungen würden dem amerikanischen Greenback bald den Rang ablaufen.

Glaubt man ihnen, so ist das, was sie als Fiat-Währungssystem bezeichnen, zum Scheitern verurteilt. Nach Jahrzehnten mit zu billigem Geld und überall rasant steigenden Schulden zögen die jüngsten Turbulenzen im amerikanischen Bankenwesen, die hohe Inflation und der ständige Streit um die Schuldenobergrenze die Substanz von Vermögenswerten auf Dollarbasis in Zweifel. «Der Dollar wird entwertet, um die Bankenrettungen zu finanzieren», wüten Libertäre. Sie greifen verschwörerische Behauptungen auf, welche am rechten Rand des politischen Spektrums in den USA weit verbreitet sind.

Zum Franken schwach, aber im Welthandel stark gefragt

So weit ist es allerdings noch lange nicht. So mag die amerikanische Währung in den vergangenen Jahrzehnten im Verhältnis zum Franken zwar gut 80 Prozent seines Wertes verloren haben, allerdings sieht das in anderen Teilen der Welt und vor allem auch internationalen Handels- und Finanzgeschäft etwas anders aus. In vielen Staaten mit chronisch schwacher Währung ist der Dollar gerne gesehen. Generell fühlen sich viele gezwungen, den Greenback als internationale Transaktions- und Finanzierungswährung zu nutzen, weil ohne sie im Welthandel nun einmal kaum etwas läuft. Ein Blick auf die globale Verbreitung und Verwendung der amerikanischen Währung in den vergangenen zwei Jahrzehnten zeigt, dass der Dollar weiterhin eine dominante und relativ stabile Rolle einnimmt.

Das zeigt sich zum Beispiel an der Entwicklung eines Indexes, der sich als gewichteter Durchschnitt der offiziellen Währungsreserven, des Devisentransaktionsvolumens, der ausstehenden Fremdwährungsschuldtitel sowie der grenzüberschreitenden Einlagen und Kredite berechnen lässt. Der «Dollar-Anteil» ist seit dem Jahr 2010 stabil bei einem Wert von etwa 70 geblieben und liegt damit weit vor allen anderen Währungen. Den nächsthöheren Wert hat der Euro mit etwa 23, und auch dieser ist relativ stabil geblieben. Die Werte des Yen, des Pfunds oder auch des chinesischen Renminbi firmieren unter «ferner liefen», selbst wenn die Bedeutung der chinesischen Währung in jüngster Zeit auf tiefem Niveau etwas zugenommen hat.

Der langfristige Trend zeigt nach unten: Dollar in Franken
Der langfristige Dollarkurs in Franken zeigt nach unten

Diese Konstellation verleiht der amerikanischen Geld- und Fiskalpolitik eine enorme Bedeutung, weil zum Beispiel hohe amerikanische Zinsen und ein offener, tiefer Finanzmarkt das internationale Kapital anziehen oder weil dieses sich aus den Schwellenländern zurückzieht, sobald sich die Weltkonjunktur eintrübt.

Jüngste Forschungen zur internationalen Wirtschaft zeigen, wie erst der Boom und dann der Absturz von Vermögenspreisen, grenzüberschreitende Kapitalflüsse, Risikobereitschaft, Arbitrage und der enorme Einsatz von Fremdkapital in der Realwirtschaft und an den internationalen Kapitalmärkten mittelfristig zu globalen Zyklen geführt haben. Erst zum finanziellen Überschwang und später dann zur entsprechenden Untergangsstimmung. Diese bipolaren Stimmungsschwankungen korrelieren stark mit Bewegungen des nominalen Wechselkurses des Dollars. Legt der Greenback zu, dann werden normalerweise die Finanzbedingungen auf der ganzen Welt restriktiver. Gibt er dagegen nach, so steigt sofort der Risikoappetit, weil Investoren mit der Lockerung der finanziellen Rahmenbedingungen rechnen.

Bedeutung des Dollar geht weit über den US-Binnenmarkt hinaus

Tatsächlich also ist der Dollar keine x-beliebige Währung. Heute noch laufen etwa neun Zehntel aller Devisenhandelsgeschäfte in aller Welt über den Dollar, knapp drei Fünftel aller Währungsreserven lauten auf Dollar, 50 Prozent aller internationalen Kredite, Schuldverschreibungen und Handelsgeschäfte werden in Dollar abgewickelt und gut 40 Prozent des internationalen Zahlungsverkehrs.

Die praktische Bedeutung der amerikanischen Währung geht folglich weit über das hinaus, was wirtschaftlich im amerikanischen Binnenmarkt läuft oder was die Firmen des Landes in aller Welt treiben. Entscheidend ist, ob die Greenbacks am Ende des Tages an den von den Amerikanern dominierten, aussergewöhnlich umfangreichen, liquiden Finanzmärkten effizient und günstig zwischen den Marktteilnehmern ausgetauscht werden können.

Auf dieser Basis hat sich der sogenannte Euro-Dollar-Markt über Jahrzehnte hinweg organisch entwickelt. Inzwischen ist er so weit verzweigt, grenz- und branchenübergreifend so stark verwoben, dass rechtliche, operative und regulatorische Hürden sowie wenig attraktive Alternativen den freiwilligen Verzicht auf die Nutzung des Dollars im internationalen Geschäft bisher weitgehend verhindert haben oder zumindest stark bremsen. Wer möchte schon auf Netzwerkeffekte verzichten, die sich aufgrund der Standardisierung und der Gewöhnung ergeben haben und die wegen Grössenvorteilen die Kosten für den Transfer von Kapital und von Risiken innerhalb dieses Systems senken?

internationale Währungsreserven
Der Dollar dominiert als Anlagewährung bei internationalen Währungsreserven Anteil an den offen deklarierten Beständen, Daten: IWF

Die Dominanz der amerikanischen Währung sei vor allem auch für Schwellenländer mit hohen Dollarschulden eine schwere Bürde oder gar ein Joch, weil die Kursentwicklung des Greenback an den Devisenmärkten direkt in ihre Binnenmärkte durchschlage und eine eigenständige Geldpolitik verunmögliche – behaupten Kritiker zwar regelmässig. Was aber mag diese abgehalten haben, ihre eigenen Kapitalmärkte effizient zu entwickeln und die eigenen Währungen durch eine vernünftige Wirtschafts-, Geld- und Fiskalpolitik zu stabilisieren?

Staaten wie China, Brasilien, Mexiko und andere brauchten ihre Exporte in die USA nur zu reduzieren, und schon würden sie dazu beitragen, das scheinbare Dollar-Dominanz-Problem zu lösen. Stattdessen betreiben die meisten von ihnen bis anhin eine merkantilistische Wachstumspolitik. Das Ziel ist, ihre Produkte auf Basis künstlich schwach gehaltener Währungen dorthin zu verkaufen, wo sie möglichst viel dafür lösen können – in letzter Konsequenz also meist in das Land mit den scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten auch im Sinne der Konsumbereitschaft.

Wer will den Schwarzen Peter?

Sollten sie künftig dazu übergehen, die Preise für Rohstoffe, Produkte und Dienstleistungen in Dollars zu verhandeln, die Geschäfte aber in Drittwährungen wie der indischen Rupie, dem malaysischen Ringgit oder dem Kenya-Shilling abzuwickeln und in diesem Rahmen Forderungen und Verbindlichkeiten aus dem Handelsgeschäft vorher gegeneinander aufzurechnen, dann würden sie praktisch zum primitiven Tauschhandel zurückkehren. Also zu einem rudimentären Welthandelssystem, das man einst wegen seiner Ineffizienz aufgegeben habe, so der Stratege Michael Every von der Rabobank. Er zweifelt daran, dass die Rechnung, sich gegenseitig mit den nötigen Waren und Dienstleistungen zu versorgen, in diesem Szenario aufgeht.

So ist die Welt möglicherweise nicht an den Dollar gebunden, weil er der amerikanischen Wirtschaft ein exorbitantes Privileg verschaffte, sondern weil sonst niemand die enormen Defizite auf sich nehmen wollte, für die die Amerikaner inzwischen berüchtigt sind. Spätestens dann, wenn sie diese nicht mehr in Kauf nehmen wollen oder sie sich wegen hoher Zinsen nicht mehr leisten können, braucht es vielleicht eine neue Weltreservewährung.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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4 Meinungen

  • am 13.01.2024 um 13:24 Uhr
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    Der stete Tropfen höhlt den Stein. Der USD hat seine einstige Stärke im Handel und als Währungsreserve bereits eingebüsst. Dass der USD schnell als Leitwährung verschwindet ist nicht die Frage. Wichtig ist, dass er die Funktion als Leitwährung stetig verliert und eine weltweit anerkannte Rechengrösse diese Funktion übernimmt.Der USD wird als nationale Währung bestehen bleiben. Das heisst die Volkswirtschaft USA muss sich den makroökonomischen Gesetzmässigkeiten anpassen wie jede andere Voklswirtschaft und kann den Rest der Welt nicht mehr gängeln wie sie wollen. Bis es soweit ist, werden wir eine kriegsbereite USA erleben die nicht bereit ist ihre Hegemonie einfach so aufzugeben. Nicht umsonst hat der Weltpolizist ca. 800 Militärbasen weltweit oder mindestens den Schuh in der Türe. Übrigens, 1976 prognostizierte unser Dozent in Nationalökomie, dass der USD in absehbarer Zeit den Wert eines Schweizerfranken haben wird. Nun, heute kriegen wir ihn für 85 Rappen. Also dran bleiben!!

  • am 13.01.2024 um 15:32 Uhr
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    Die Welt, insbesondere die «wohlhabenden» Länder dieses Planeten habern den Schwarzen Peter längst erhalten, so auch das darbende
    Südamerika, sie sind vom US Dollar als Weltleitwährung abhängig und hörig und die USA lachen sich ins Fäustchen, denn Westeuropa, Japan und auch China zahlen das ganze Schuldendebakel der USAl. Westeuropa zahlt den Grossteil des Ukraine-Krieges und muss erst noch die Flüchtlings-bewegung bewältigen, die fast nicht verkraftbar ist.
    Die ganze Welt ist «hostage» des US Dollars und finanziert den Welthegemonen USA. Wie lange noch?
    Die USA können es sich gar nicht mehr leisten, Kriege zu führen!

  • am 13.01.2024 um 21:15 Uhr
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    Danke für die Darstellung der tieferen Zusammenhänge der Dollardominanz, die den USA gewaltige Schulden für ihr Militärimperium ermöglicht. In der Tat müssen die Bemühungen, diese Dominanz zu beenden, langfristig und durchdringend sein und mit viel Geduld durchgeführt werden. Bilateral und in einer kleineren Gruppe von Ländern können andere Lösungen gefunden werden. Für die «Dritte Welt» – ich unterstütze diese Bezeichnung nicht – können zusätzlich Bartergeschäfte wie zu Zeiten des Kalten Kriegs wirtschaftliche Zusammenarbeit jenseits von Dollar-Verschuldung ermöglichen. Auch Übernahme von Infrastrukturprojekten, Ausbildung, und militärische Zusammenarbeit gegen Rohstoffe bzw. Einfluss können den Dollar bzw. die Verschuldung umgehen. Dies waren bewährte Rezepte der devisenarmen Ostblock-Staaten, die in Afrika, S-Amerika und Asien damit gegen die übermächtige USA bestehen konnten (Angola, Moçambique, Nikaragua, VR Vietnam, Nordkorea).

  • am 14.01.2024 um 14:47 Uhr
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    Wieso wird Russland hier einfach als kriegerisch bezeichnet, die USA aber nicht? Die USA sind in diversen Konflikten weltweit als Aggressor involviert.

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