Sprachlupe: Auf Stein, Holz und Glas verewigte Schreibfehler

Daniel Goldstein /  Zum Kehraus leert der Lupengänger seine Botanisierbüchse, die er an seinem Wohnort mit Missgeschicken aus Inschriften gefüllt hat.

Lastet ein Fluch auf meinem Wohnort? Seit dem Umzug nach Ittigen bei Bern bin ich mehreren Inschriften begegnet, die auf grosse Dauer angelegt und mit der entsprechenden Sorgfalt gestaltet sind, aber allesamt einen Schreibfehler enthalten. Der älteste ist gar in Stein gemeisselt, freilich schon auf Stadtboden im Schermenwald: DIEISEN DENKSTEIN … SETZTEN SEINE FREUNDE 1809. Zwar gab es damals noch keinen Duden, aber «dieisen» lautete das Wort gewiss schon anno dazumal nicht. Zudem ist noch sichtbar, dass anstelle des ersten E ursprünglich ein S stand. Das liess sich noch halbwegs flicken, aber beim überflüssigen zweiten I konnte man nur hoffen, es werde übersehen. Heute geschieht das leicht, Verwitterung sei Dank.

Vielleicht war der Bildhauer erschüttert ob des Schicksals, das er zu vermelden hatte, denn an dieser Stelle hinter der Psychiatrischen Klinik Waldau, damals ein «Tollhaus», EREILTE DER TOD DEN WELTMÜDEN WANDERER DAVID ALBRECHT RIS. Der war IN BESSEREN ZEITEN Berner Ratsherr und ARCHIVARIUS gewesen. Noch bevor der Steinmetz zum Wort DIEISEN kam, war ihm in der Zeile vor dem Namen der Platz ausgegangen, weshalb er bei WANDERER die letzten Buchstaben stauchen musste.

Ein Buchstabe zu viel und einer zu wenig

An einer anderen historischen Stätte, der Hammerschmiede zu Worblaufen, ist eine Gedenktafel zwar nicht in Stein gemeisselt, aber immerhin in Holz gebrannt, fein säuberlich in kunstvoller Frakturschrift, und gewiss noch nicht computergesteuert, wie man das heute haben kann. Der «Gesammtsanierung im Jahre 1994 +1995» gedachte damals die beteiligte Zimmerei, gewiss unter dem Einfluss ihres eigenen Doppel-m und der vielen Hämmer, die seit einem halben Jahrtausend alldort herniederprasselten und es bis heute gelegentlich tun.

Wo die Geschichte so schwer lastet, mag die Gegenwart nicht zurückstehen, auch wenn sie ihre «Druckfehler» weder in Stein meisselt noch in Holz brennt. Vor den «hölzernen» Bundesbauten links der Worble standen bis zum Beginn der laufenden Sanierung drei schön gestaltete Stelen aus glasartigem Material, beschriftet mit den Namen der hier untergebrachten Ämter. Und da hiess das BAV französisch «Office fédéral des transport». Am Schluss fehlte also ein s – aber es war nicht etwa vergessen worden, denn eine Pressefoto von 2012 beweist, dass es damals vorhanden war (danke, lieber Kollege vom «Bund»). 2015 aber war es weg, die Beschriftung also viel weniger dauerhaft, als es den Anschein machte. War’s ein Vorzeichen für die maroden Gebäude? Man darf gespannt sein, ob und in welchem Zustand die Tafel nach der Renovation wieder aufgestellt wird.

Drum prüfe, wer mit Strichlein bindet

In der Machart ganz ähnlich, steht seit August bei der Bahnstation Ittigen eine Stele, auf der von Anfang an etwas fehlt: «Fabian Cancellara-Kreisel» ist da zu lesen. Für solche Fälle, etwa bei Strassennamen, fordern der Duden und andere Regelwerke schon lange einen zweiten Bindestrich, also «Fabian-Cancellara-Kreisel». Das leuchtet ein, denn schliesslich gehört der Vorname mindestens so innig zum Nachnamen wie dieser zum Verkehrsweg. In Zürich drehte man das Argument einst um: Damit man nicht meine, die Strasse ehre jemanden mit ehelichem Doppelnamen «Ulrich-Siegfried», müsse auf den Tafeln eben «Ulrich Siegfriedstraße» stehen.

So konnte man meinen, Ulrich sei der Vorname der Strasse. Erst im Jahr 2000 bequemte sich Zürich, die inzwischen amtlich gewordene Regel mit zwei Bindestrichen zu befolgen. In Ittigen ist man noch nicht so weit, da könnte Fabian glatt der Vorname des Cancellara-Kreisels sein. Vielleicht hat man den ersten Strich auch einfach der Werbemode geopfert, separat zu schreiben wie im Englischen. Das tat in der Nähe ein Hofladen ohne Hof: «Kürbis Zeit» – wenigstens nur mit Kreide geschrieben. Dauerhafter ist am Ladencontainer die Anweisung «selbsständig an der Kasse wägen» angebracht – immerhin nicht der von Duden empfohlene Zungenbrecher «selbstständig». Hat man sich hier schweizerisch (und ebenfalls regelkonform) selbständig gestärkt, erreicht man nach kurzem Spaziergang wieder DIEISEN DENKSTEIN.

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Daniel Goldstein zeigt, wie Worte provozieren, irreführen, verharmlosen – oder unbedacht verwendet werden.

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4 Meinungen

  • am 30.12.2023 um 10:13 Uhr
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    Als ich vor geraumer Zeit an der Uni Bern studierte, – es war auch grad die Zeit der «Grossen Verwirrung», der Rechtschreibreform -, wurden im Zuge des Umbaus der alten Toblergebäude zum «Unitobler» auch neumodische Toiletten eingebaut, solche mit automatischer Spülung. Um die Toiletten zu reinigen, musste diese Spülung mit einem an der Wand angebrachten Schlüsselschalter deaktiviert werden. Der Schalter war sauber graviert angeschrieben: Spühlung. Ob die Toilette und der Schalter noch existieren, weiss ich nicht. Ich war seit Jahrzehnten nicht mehr dort. Wer selber nachforschen will: die Toilette befand sich beim Institut für Sprachwissenschaft.

  • am 31.12.2023 um 13:18 Uhr
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    Bevor die Städtischen Verkehrbetriebe Bern «Bernmobil» hiessen, war auf ihren Billetautomaten in Stahlblech eingraviert: «Ganzer Geldbetrag einwerfen».

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