SRF-News: «Greenwashing» mit Strom aus Schweizer Steckdosen
«Nur gerade zwei Prozent des Stroms aus Schweizer Steckdosen stammten im letzten Jahr aus fossilen Energieträgern.»
SRF News vom 19.12.2023
So lautete am 19. Dezember die frohe Botschaft von SRF News – im Fernsehen und auch online. SRF stützte sich dabei auf eine Medienmitteilung des Bundesamts für Energie vom 7. September 2023. Danach stammten 80 Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms aus erneuerbaren Energien und «knapp 20 Prozent aus Kernenergie und knapp 2 Prozent aus fossilen Energieträgern».
Schummelei beim importierten Strom
Die Schweiz exportiert viel ihres fossilfrei produzierten Stroms ins Ausland. Noch etwas mehr Strom, der allerdings teilweise mit Eröl oder Erdgas hergestellt wird, importiert die Schweiz aus dem Ausland. Es handelt sich um sinnvolle und lukrative Handelsgeschäfte und hat wenig mit Stromengpässen zu tun. Wenn man den Transitstrom (etwa von Deutschland via die Schweiz nach Italien) von den Importen und Exporten abzieht, stammen 18 Prozent des Stroms, der in der Schweiz aus den Steckdosen fliesst, aus dem Ausland*. Von diesem ausländischen Strom wird ein Teil mit den fossilen Brennstoffen Kohle oder Gas produziert.
Das BFE behauptet, fast sämtlicher aus dem Ausland importierte Strom werde ohne Kohle und Erdgas, also fossilfrei hergestellt. Deshalb fliesse aus Schweizer Steckdosen nur knapp 2 Prozent Strom aus fossilen Energieträgern.
Das ist Augenwischerei. Das BFE und die Schweizer Energiekonzerne argumentieren mit «Zertifikaten» oder «Herkunftsnachweisen». Was solche wert sind, weiss man aus anderen Branchen. Aufgrund solcher Zertifikate behauptet die Stromwirtschaft, die Schweiz würde den grössten Teil des Stroms aus Norwegen, Frankreich und Island importieren. Frankreich produziert viel Atomstrom und in Norwegen und Island dominiert die Wasserkraft.
Nur muss Stirnrunzeln verursachen, dass die Schweiz Strom aus Island importieren soll. Von einer Stromleitung von Island auf das europäische Festland hat man noch nie gehört.
So kam die «NZZ» in einer Datenanalyse Anfang 2022 zum Schluss: «Sauberer Importstrom ist ein Etikettenschwindel». Zu den «Herkunftsnachweisen» schrieb die «NZZ»: «Nachgewiesen wird damit nur die Herkunft des Zertifikats, nicht jene des effektiv importierten Stroms.» Woher der physische Strom wirklich stammt, lasse sich mit diesen Daten der Stromversorger nicht sagen.
Das Bundesamt für Energie BFE müsste nicht einfach die Angaben der Stromlobby übernehmen und diesen vertrauen. Denn präzisere Daten zur Stromproduktion und -Herkunft sind verfügbar. Swissgrid hat wohl Herkunftsangaben. Und die Plattform Electricitymap.org veröffentlicht sogar stündlich, von welchem Land Strom importiert und in welches Strom exportiert wird. Die «NZZ» wertete die Daten aus: «Gemäss diesen Daten importiert die Schweiz lediglich von ihren Nachbarländern Strom, mehr als die Hälfte davon aus Deutschland.» Also nicht etwa von Island oder Norwegen.
In Deutschland, Österreich und Italien ist der Strommix wesentlich weniger grün. Diese drei Nachbarländer stiessen im Jahr 2021 188 bis 331 Gramm CO₂ pro Kilowattstunde aus.
Fazit der «NZZ»:
«Die Daten von Electricitymap.org zeigen: Der tatsächliche Strommix, der in die Schweiz fliesst, ist viel weniger sauber, als die ‹Herkunftsnachweise› es ausweisen. Der Strom von unserem grössten Stromlieferanten Deutschland stammte noch immer zu 40 Prozent aus fossiler Energie wie Kohle und Gas. Während die Schweizer Stromproduktion 2021 durchschnittlich 58 Gramm CO2 pro Kilowattstunde ausgestossen hat, sind es beim Importstrom mit 193 Gramm mehr als dreimal so viel.»
Die Stromproduktion der Schweiz möge blitzsauber sein, meinte die «NZZ», ihre Importe seien es nicht. Das System der Herkunftsnachweise solle den ökologischen Mehrwert von grünem Strom handelbar machen, so dass sich Investitionen in erneuerbare Energie schneller rentieren. Doch im Moment helfe das Prinzip vor allem, Strom aus Ländern mit CO2-intensiver Stromproduktion als grün zu deklarieren.
Das BFE schreibt selber: «Die Herkunftsnachweise werden unabhängig von den physikalischen Kilowattstundem gehandelt beziehungsweise buchhalterisch übermittelt.»
Noch im Jahr 2022 lieferten in Deutschland fossile Energieträger wie Kohle und Erdgas noch immer 35 Prozent des Stroms, der in Deutschland produziert wurde.
Vom Schweizer Fernsehen dürfen die Zuschauenden erwarten, dass es nicht unkritisch Zahlen des Bundesamts für Energie verbreitet, besonders wenn sich das BFE einfach auf Daten der Stromkonzerne stützt. Wo bleibt sonst die Rolle der Vierten Gewalt, welche gerade SRF wahrnehmen sollte?
Vom Bundesamt für Energie dürfte die Öffentlichkeit erwarten, dass es den Etikettenschwindel der Strombranche nicht einfach übernimmt, selbst wenn die EU-Länder dies auch tun.
«Nur zwei Prozent des in der Schweiz verbrauchten Stroms wird aus fossilien Energieträgern hergestellt.» Schön wär’s!
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*KORREKTUR vom 22.12.23, 09.15
Anfänglich hiess es hier, 55 Prozent des Stroms aus Schweizer Steckdosen stamme aus dem Ausland. Der Fehler bestand darin, dass der Transitstrom nicht abgezogen wurde. In der schweizerischen Elektrizitätsstatistik 2022 sind folgende Zahlen ersichtlich (GWh):
CH Stromproduktion netto | 56’956 |
davon exportiert (ohne Transitstrom) | -5’450 |
In der Schweiz verbrauchter Schweizer Strom | 51’506 |
In der Schweiz verbrauchte Importe (ohne Transitstrom, inklusive Verluste) | 11’004 |
Total Verbauch in der Schweiz (inkl. Verluste) | 62’510 |
Anteil Auslandstrom aus der Steckdose (inkl. Verluste) | 18 % |
Quelle Elektrizitätsstatistik hier (namentlich Seiten 8, 10 und 37). |
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Toll, dass der IS immer mal wieder solche Fakten zusammenträgt, welche die PR der Firmen im Hintergrund grundlegend infrage stellt. Danke.
Danke, einfach gut, wenn der Infosperber auf Wahrheitssuche geht. Wo ist die Schweiz angekommen? Lügen, Lügen, Lügen… Halbwahrheiten, Korruption, fahrlässige Gesundheitsschädigungen durch die Gier der Pharmaindustrie, Politiker welche davon finanziell Profitieren, usw. Leichen Pflastern den Weg welcher die Schweiz in den letzten Jahren gehen musste, die Kriminalisierung nimmt zu, die Gewaltdelikte nehmen zu, das Gehabe der EU und Nato sowie der Eliten erstickt die letzten guten Stimmen in der Politik. Der Weltethos von Hans Küng erschaffen, die verschiedenen Lobenswerten Organisationen welche Gegenimpulse setzen und alternative Qualitäts Informationsplattformen wie z.B. der Infosperber halten mit viel Engagement eine Fahne der Tugendhaftigkeit hoch, welche Lobens und Beachtenswert ist. Danke dafür und ein erfolgreiches 2024.
Dass wir nicht mal in der Lage sind, wenigstens soviel Strom zu produzieren, wie wir verbrauchen, ist – mit unseren Möglichkeiten – peinlich. Netto müssten wir Strom ex- und nicht importieren! Das zu erreichen, wäre mit ein wenig Einschränkung schon machbar. Will man sich nicht einschränken, müssen wir grosszügig Autobahnen mit Solarwänden / -dächern ausstatten, Wasser- und Windkraftwerke bauen und den entsprechenden Schaden an der Landschaft in Lauf nehmen. Zu bezahlen ist das mit der Stromrechnung, deren Ertrag dan nicht in ein nicht kooprrierendes EU-Ausland fliesst, sondern die hiesige Wertschöpfung verbessert. Davon träume ich!
Dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen seine Aufgabe als vierte Staatsgewalt unzureichend wahrnimmt, ist spätestens seit Corona für jedermann offensichtlich. Trotzdem teile ich die Kritik an der Festlegung der CO2-Emissionen des Stromverbrauchs in dieser Form nicht.
Die Idee, die physikalischen Stromflüsse zu berücksichtigen, ist praktisch weder machbar noch sinnvoll. Oder soll einem Haushalt in Neurath 900 g CO2/kWh angelastet werden, während dem der vergleichbare Haushalt im deutschen Laufenburg für 20 g CO2/kWh verantwortlich sein soll? Neurath liegt nämlich neben einem Braunkohlekraftwerk, Laufenburg neben einem Wasserkraftwerk. Diese Betrachtungsweise wäre absurd.
Mit den Zertifikaten wurde eine pragmatische Vorgehensweise definiert, die zwar nicht perfekt ist, es jedoch im Grossen und Ganzen ermöglicht, die ökologische Qualität von Elektrizität handelbar zu machen.
Es ist halt wie immer: kritisieren ist einfach, solange man es nicht selbst besser machen muss!
Wie tief will/muss das journalistische Personal, die Politik und die Behörden noch sinken? Ich danke dem infosperber für die journalistische Leistung – obwohl noch eine kritischere Arbeit möglich wäre. Der Hofnarr muss endlich wieder an die Arbeit.
Herzlichen Dank für den gut recherchierten Artikel!
Ja, mit den Herkunftsnachweisen kann man fast alles nachweisen oder nichts.
Interessant ist auch der Stromhandel, denn dieser ist eine weitere Ebene zu den Herkunftsnachweisen und dem physikalischen Stromfluss. So wird es z.B. den alpinen Solaranlagen erlaubt sein, ihren Strom ins Ausland zu verkaufen – und zwar auch mit Langfristverträgen, was bedeutet, dass uns diese Kraftwerke dann bei einer Strommangellage nichts nutzen würden.
Zum Stromhandel wird es im neuen Jahr einen VESE Online-Treff geben, bei dem diese Zusammenhänge aufgezeigt werden werden.
Walter Sachs
Präsident Schweizerische Vereinigung für Sonnenenergie SSES
KeinE StromkonsumentIn kann wissen, wo der Strom produziert wird, der beim Einschalten eines Geräts ins Haus fliesst. Das gilt auch dann, wenn nur Oekostrom gekauft wird, denn kein Oekokraftwerk kann seine Leistung im Sekundentakt variieren. Kaufen wir Oekostrom, heisst das «nur», dass diese Menge irgendwo/irgendwann ökologisch produziert wird. Die Physik verhindert, dass wir wissen, woher der Strom jeweils kommt. Was wir wissen ist nur, wofür wir bezahlen.
Wenn das BFE behaupten würde, fast sämtlicher im Ausland eingekaufter Strom werde ohne Kohle und Erdgas, also fossilfrei hergestellt, dann stimmt die Aussage.
«Kein E-StromkonsumentIn kann wissen, wo der Strom produziert wird, der beim Einschalten eines Geräts ins Haus fliesst». Wenn ich eine Photovoltaikanlage auf dem Haus habe, weiss ich ganz genau, wieviel Ökostrom von der Anlage in meinem Haus verbraucht wird (Eigenverbrauch messbar ohne Wenn und Aber). Mit anderen Worten heisst das, dass es von der Netztopologie abhängig ist, was für Strom physikalisch bei mir ankommt (Distanz zur Quelle und Menge der Energie). So kann es auch sein, dass ein Kunde, welcher Atomstrom bezahlt, nur Ökostrom bezieht. Interessanterweise bezahlt er dann immer noch weniger als für Ökostrom (Quelle z.B. BKW «Energy Grey»), obschon bekannt ist, das Wind- und Solarenergie billiger sind als z.B. Atom-, Kohle- oder Fossiler Strom. Zu Ihren anderen Aussagen habe ich die gleiche Meinung wie Sie.
Ich stimme Ihnen, Herr Wydler, zu. Herkunftsnachweise sind ein Tracking-Instrument, das Stromkonsumenten die Herkunft ihres Stromverbrauchs bilanziell dokumentiert. Schon Stromverträge sind rein bilanzieller Natur, da Elektrizität unabhängig von seiner Herkunft immer identisch ist und aufgrund seiner physikalischen Eigenschaften nicht von der Quelle zur Senke nachverfolgt werden kann. Entscheidend ist, dass in Summe jederzeit gleich viel Elektrizität produziert wie verbraucht wird. Dafür sind die einzelnen Bilanzgruppen zuständig (der Name sagt es schon: es ist eine Bilanzierung!). Nur wenn eine separate und direkte Stromleitung vom Ort der Produktion zum Ort des Verbrauchs vorhanden wäre, hätte man diese Handhabe.
(Teil 2) Solange der europäische Umbau weg von fossiler (und nuklearer) Produktion hin zu erneuerbaren Energien noch nicht abgeschlossen ist, helfen Herkunftsnachweise, (HKN) den (umweltbewussten) Kunden die klimaschonende Stromproduktion (bilanziell) zuzuweisen. Damit wird der Residualmix für die verbleibenden (indifferenten) Verbraucher schlechter. Der Herkunftsnachweis ist aber ein technologieneutrales Instrument. Die Schweiz setzt vollständig auf dieses Instrument (Vollerfassung/Volldeklaration), so dass die Bilanzierung konsistent ist. In den meisten europäischen Ländern muss nur die erneuerbare (und meist ungeförderte) Stromproduktion als Herkunftsnachweis für die Stromkennzeichnung ausgestellt werden. Das führt dazu, dass für den Anteil, der nicht mit HKN gedeckt ist, auf Basis der nationalen Stromproduktionen mit den Import-/Exportsaldi der Residualmix annähernd berechnet wird. Der HKN ist in der Energietransition ein praktikables Hilfsmittel.