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Es braucht keinen Kavalierstart – Mikroplastik und Feinstaub entsteht auch beim normalen Autofahren. © SWR

Woher am meisten Mikroplastik stammt? Von den Autos!

Marco Diener /  Nicht Plastikabfälle sind die grösste Mikroplastikquelle. Es ist der Pneuabrieb aus dem Strassenverkehr.

Wenn von Mikroplastik die Rede ist, dann denken die meisten Leute sogleich an weggeworfene Plastikabfälle, die sich mit der Zeit zersetzen. An Granulat von Kunstrasen-Fussballplätzen, das ausgeschwemmt wird. Oder an Inhaltsstoffe in Kosmetika. Doch die grösste Mikroplastik-Quelle ist der Strassenverkehr. Zu diesem Schluss kommt der Bundesrat in einem Bericht, mit dem er ein Postulat der ehemaligen SP-Nationalrätin Ursula Schneider Schüttel erfüllt.

93 Prozent

Der Bundesrat geht davon aus, dass durch Pneuabrieb in der Schweiz jährlich 21’200 Tonnen Mikroplastik freigesetzt werden. Das sind 3,3 Kilo pro Motorfahrzeug. Oder 93 Prozent des gesamten Mikroplastiks, das in der Schweiz anfällt.

Fünf bis sechs Kilo Abrieb

Ein Satz Pneus erreicht normalerweise eine Laufleistung von gut 40’000 Kilometern. Pro 1000 Kilometer werden rund 120 Gramm Gummi «abgerieben». Über die ganze Lebensdauer macht das für vier Pneus einen Gewichtsverlust – oder eben Mikroplastik und Feinstaub – von fünf bis sechs Kilo aus.

Beschleunigen und Bremsen

Pneuabrieb entsteht wegen der Reibung zwischen Pneu und Strasse – besonders beim Beschleunigen, beim Bremsen und beim Lenken. Das führt zum Pneu- und zum Strassenabrieb. Einfluss auf die Menge des Pneuabriebs haben laut dem Bericht «das Fahrzeuggewicht, die Reifenbreite sowie die Brems-, die Beschleunigungs- und die Lenkkräfte». Eine Rolle spielen auch die Materialzusammensetzung der Pneus sowie deren Rollwiederstand.

Immer grösser, immer stärker

Damit ist klar: Der gegenwärtige Trend bei den Neuwagen-Verkäufen wird das Problem verschärfen. Denn wir Schweizer und Schweizerinnen kaufen immer grössere und immer stärkere Autos – vorzugsweise mit Allradantrieb auch fürs Flachland. Und der Trend hin zu Elektroautos hilft auch nicht. Denn Elektroautos sind wegen der Batterien schwerer. Zudem beschleunigen sie viel stärker als vergleichbare Autos mit Verbrennungsmotoren. Beides führt zu starkem Pneuabrieb.

In die Böden

Doch was passiert mit dem ganzen natürlichen und synthetischen Kautschuk, mit dem Russ, den Weichmachern, dem Schwefel und Zinkoxid, das im Mikroplastik steckt? Rund die Hälfte bleibt zunächst am Strassenrand liegen und gelangt dann in die Böden. Ein Viertel landet in unseren Gewässern. Und ein Viertel kann laut Bundesrat «durch Strassenreinigung und Abwasserbehandlung zurückgehhalten und der Entsorgung zugeführt werden kann». Früher gelangte auch dieses Material – als Klärschlamm – in die Böden. Doch seit 2006 darf Klärschlamm nicht mehr auf Agrarflächen ausgetragen werden.

Jahrzehnte oder Jahrhunderte

Die Partikel bleiben – je nach Material – während Jahrzehnten oder Jahrhunderten in den Böden. Mit ziemlich ungewissen Auswirkungen. Klar ist, dass wir die Stoffe über die Nahrungsmittel aufnehmen. Das österreichische Umweltbundesamt und die Medizinische Universität Wien wiesen 2018 Mikroplastik im menschlichen Stuhl nach. Das ist nicht weiter erstaunlich, den Mikroplastik steckt auch in Fischen, Meerfrüchten und Salz (siehe auch Kasten «Im Salat nachgewiesen» ganz unten). Der Bundesrat hält aber auch fest: «Über die toxische Wirkung von Reifenabrieb bestehen noch wenige Erkenntnisse.»

Russ und Zink

Im Bericht hält der Bundesrat fest: «Bei den Hauptbestandteilen des Reifens gilt vor allem der als Füllstoff verwendete Russ als problematisch. Er ist möglicherweise krebserregend. Zusätzlich gelten einige Metalle im Reifen als gefährlich, insbesondere die relativ hohe Konzentration von Zink.»

Was tun?

Heute gibt die Energieetikette für Pneus nur Auskunft über den Rollwiderstand, die Haftung bei Nässe und das Rollgeräusch. Der Bundesrat möchte, dass künftig auch der Reifenabrieb deklariert werden müsste – zum Beispiel umgerechnet auf eine Fahrleistung von 10’000 Kilometern. Allerdings: Pneus mit geringem Abrieb haften möglicherweise schlechter und könnten lärmiger sein.

Der Bundesrat möchte die Hersteller auch verpflichten, bei der Produktion von Pneus möglichst Stoffe zu verwenden, die in der Umwelt wenig Schaden anrichten. Die EU arbeitet bereits an entsprechenden Grenzwerten. Getüftelt wird auch an Mikroplastik-Rückhaltesystemen am Auto sowie an Strassenbelägen, die den Pneuabrieb vermindern oder das Mikroplastik zurückhalten.

Leichtere Autos

Und dann könnten natürlich auch Autofahrer und Autofahrerinnen einiges tun:

  • Die wirksamste Massnahme: Weniger fahren.
  • Und wenn doch: Vorausschauend fahren, sanft beschleunigen, früh vom Gas gehen, statt stark zu bremsen.
  • Pneus mit geringem Abrieb kaufen. Das spart auch Geld. Tests von TCS und ADAC geben Auskunft über die Laufleistung.
  • Luftdruck regelmässig kontrollieren.
  • Leichtere Autos kaufen.
  • Schwächere Autos kaufen.

Im Salat nachgewiesen

Rückstände von Autopneus finden sich mittlerweile in Salaten. Das fand die Konsumentenzeitschrift K-Tipp (Bezahlschranke) kürzlich heraus. Sie schickte 15 Salate ins Labor. Das Labor suchte nach 17 chemischen Stoffen, die für die Pneuproduktion zum Einsatz kommen.

12 von 15 Salaten enthielten solche chemischen Stoffe. Die Salate nehmen die Chemikalien über die Wurzeln auf und transportieren sie in die Blätter. Dort verbleiben sie.

Die gefunden Stoffe können Allergien auslösen. Sie stehen zudem im Verdacht, Organe zu schädigen, die Fruchtbarkeit zu beeinträchtigen und krebserregend zu sein. Wie sich die Stoffe im menschlichen Organismus langfristig auswirken, ist noch wenig erforscht.

Feinstaub oder Mikroplastik?

Als Mikroplastik gelten Teile mit einem Durchmesser von höchstens fünf Millimetern.

Feinstaub ist wesentlich kleiner. Dabei wird unterschieden zwischen zwei Grössen:

  • PM 10 sind Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 10 Tausendstel-Millimetern. Der Mensch atmet sie ein.
  • PM 2,5 sind Partikel mit einem Durchmesser von weniger als 2,5 Tausendstel-Millimetern. Sie können sogar in die Lunge und von da in die Lymph- und Blutbahnen gelangen. Zudem können sich weitere giftige Substanzen anlagern.

Um den Feinstaub aus dem Pneuabrieb geht es in einem nächsten Infosperber-Artikel.


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Eine Meinung zu

  • am 14.12.2023 um 15:36 Uhr
    Permalink

    vielen dank für den erhellenden artikel! einmal mehr: das wissen über sachverhalte und probleme ist vorhanden, wie auch beim klima, bei den pestiziden, beim biodiversitäts-verlust, etc. an studien, fakten und zahlen fehlt es nicht.
    eine kollektiv vorhandene kognitive dissonanz verhindert jedoch die problemlösungen, fatal gepaart mit interessenkonflikten, abhängigkeiten, wirtschaftlichen und politischen mächten, persönlichen bequemlichkeiten, letztlich in abhängigkeit eines uns zerstörenden wirtschaftssystemes. «den kapiltalismus» als anonyme, verantwortliche macht dafür verantwortlich zu machen genügt jedoch nicht. wir sind das system und nur wir als gesellschaft sind dafür verantwortlich und haben es in der hand, die weichen zu stellen.

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