Demonstaration in Berlin gegen Antisemitismus

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier spricht am 22. Oktober vor dem Brandenburger Tor gegen den Antisemitismus. © rbb

Manifest in 50 Punkten soll Intoleranten den Tarif durchgeben

Red. /  Unter dem Titel «Deutschland, wir haben ein Problem!» veröffentlichte die BILD-Zeitung ein Manifest, wie man in Würde zusammenlebt.

upg. Deutschland müsse jetzt NEIN sagen zu Judenhass, zu ­Menschenfeindlichkeit und zu all denen, die ‹Nein› zu uns sagen: «Egal, welche Haarfarbe er hat, welche Sprache sie spricht, woran man glaubt. Das gilt es zu verteidigen! Wenn wir jetzt stolpern, dann fallen wir.»

Das Manifest soll ein Leitidee für das sein, was unsere freie Gesellschaft zusammenhält. Der Text richtet sich an alle Menschen, die in Deutschland leben. Aber auch in der Schweiz und in anderen Ländern kann das Manifest eine Diskussion anstossen. Im Folgenden das Manifest im Wortlaut (Auszeichnungen durch die BILD-Zeitung).



Das Manifest in 50 Punkten


1. Für jeden, der in ­Deutschland lebt, gilt Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“!

2. Für uns gibt es keine Ungläubigen! Jeder kann glauben, an was er will – gern auch an den Weihnachtsmann.

3. Wer unsere Verfassung und unsere Rechtsordnung für eine Ansammlung unverbindlicher Ratschläge hält, sollte Deutschland möglichst schnell verlassen.

4. Wer bei uns dauerhaft leben möchte, muss Deutsch lernen. Nur wenn wir dieselbe Sprache sprechen, ­werden wir uns verstehen.

5. Jeder kann in Deutschland friedlich für seine Über­zeugung demonstrieren. Zur ­freien Meinungsäußerung gehört nicht, Menschen zu bedrohen oder zusammenzuschlagen, Steine zu werfen, Autos anzuzünden, Mörder zu feiern.

6. Wir vermummen oder ­verhüllen uns nicht, wir schauen uns ins Gesicht (es sei denn, es ist Karneval oder Corona).

7. Respekt und Nächstenliebe tragen unsere freie Gesellschaft.

8. Vor dem Hintergrund des dunkelsten Kapitels unserer Geschichte ist die Sicherheit Israels deutsche Staatsräson! Das heißt: Das Eintreten für die Sicherheit des jüdischen Volkes ist nicht verhandelbar. Kritik an der Politik Israels ist selbst­verständlich erlaubt.

9. Bitte recht freundlich: Wir sagen Bitte und Danke.

10. Wir geben uns zur ­Begrüßung oder zum Abschied gern die Hand.

11. Wir verstehen die Polizei als „Freund und Helfer“, nicht als Repressionsapparat oder als Feind, als Gegner.

12. Viele Deutsche essen Schweinefleisch. Es gibt bei uns übrigens fast 10 Millionen Vegetarier oder ­Veganer. Freiheit geht auch durch den Magen.

13. Es gilt das Gewaltmonopol des Staates. Außer den staatlich beauftragten Organen hat niemand das Recht, Gewalt gegen Menschen oder Sachen auszuüben.

14. Wir akzeptieren, dass ­unser frei gewähltes Parlament die Regeln für unser Zusammenleben festlegt, die von unabhängigen Gerichten überprüft werden können.

15. Männer dürfen Männer ­lieben und Frauen Frauen. Wer damit ein Problem hat, ist selbst das Problem. Lieben und lieben lassen!

16. Auch wenn sich jemand ­weder als Frau noch als Mann fühlt, wird er oder sie nicht verfolgt oder bestraft. Bei uns dürfen Bürger quer denken und queer ­leben.

17. Wir verstehen die Sozial­behörden nicht als Arbeit­geber, sondern als Institution, die Menschen in finanzieller Not hilft, Menschen, die nicht ­arbeiten können. Nicht Menschen, die nicht arbeiten wollen.

18. Wir achten die Justiz, weil sie ohne Ansehen der Person urteilt.

19. Im Schwimmbad tragen Frauen Bikini oder Badeanzug. Und wer gern nackt in der Ostsee baden möchte – auch okay!

20. Frauen und Männer sind gleichberechtigt, in jeder Hinsicht.

21. Gleichberechtigung auch bei der Bezahlung von Arbeit (da müssen wir noch aufholen!)

22. Wir diskutieren kontrovers und leidenschaftlich, aber wir beleidigen Andersdenkende nicht.

23. Wir sind tolerant mit Toleranten.

24. Und haben keinerlei Toleranz bei Intoleranz!

25. Wir verwenden Böller nur zu Silvester, also wenn es erlaubt ist.

26. Wir verbrennen keine Flaggen von Staaten, die wir nicht leiden können. Das ist ein Straftatbestand!

27. Wir achten jede Religion, aber wir trennen klar ­Religion von Staat.

28. Frauen, die fremdgehen, werden nicht verstoßen und schon gar nicht verprügelt oder gar gesteinigt! Bei einer Scheidung gilt für die Kinder das gemeinsame Sorgerecht. Es ist egal, wer das Scheitern der Ehe verursacht hat.

29. Man muss keine Jungfrau sein, um zu heiraten!

30. Wer bei uns Schutz vor politischer Verfolgung oder Krieg sucht, bekommt ihn. Und selbst wer darauf keinen Anspruch hat, darf häufig ­bleiben. Dafür erwarten wir ­keine Dankbarkeit, auch wenn sie angebracht wäre. Was wir aber verlangen, ist die unbedingte Einhaltung unserer Gesetze und dass unsere Werte und ­unsere Art zu leben respektiert werden.

31. Wir verheiraten keine ­Kinder. Und auch Männer nicht mit mehr als einer Frau.

32. Frauen entscheiden – wie Männer – selbst darüber, wie sie sich anziehen, mit wem sie befreundet sind, wen sie ­lieben, ob sie lieber in die Disco oder in die Kirche gehen, wen sie wählen und welchen ­Beruf sie ergreifen.

33. Deutschland ist ein Land der Griller. Nach ­einem Picknick im Park nehmen wir unseren Müll ­wieder mit.

34. Messer gehören bei uns in die Küche und nicht in die Hosentasche.

35. Wir zahlen Steuern, weil wir wissen, dass sie das Fundament des Staates sind.

36. Wenn eine Frau Nein zu ­einem Mann sagt, gilt das ohne Wenn und Aber. Alles andere erfüllt den Straftatbestand der sexuellen Belästigung oder der ­Vergewaltigung.

37. Wir erwarten von jedem, der kann und darf, dass er sich um Arbeit bemüht und für seinen Lebensunterhalt selbst aufkommt – selbst dann, wenn Sozialhilfe oder Bürgergeld – zunächst höher sein sollten als der Lohn.

38. In Deutschland gibt es Schulpflicht. Wir glauben an die Bedeutung von Bildung und Lernen.

39. Wir machen in Bussen und Bahnen den Platz frei für Ältere und Menschen mit Behinderung.

40. Prost, Deutschland! ­Hierzulande gehören Bier und Wein zur Kultur. Das sollte man respektieren, und wer nicht trinken will, der lässt es.

41. Wie lang oder kurz der Rock ist, entscheidet allein die Frau, die ihn trägt.

42. Wer es nicht erträgt, dass Politiker, Show-Stars, Götter oder Propheten karikiert werden, ist in Deutschland nicht richtig.

43. Die Medien hinterfragen die Politiker, aber wir ­vertrauen grundsätzlich darauf, dass die Gewählten wahrheits­gemäß und zum Wohle des ­Volkes entscheiden.

44. Ehre bedeutet nicht das Recht des Stärkeren.

45. In den sozialen Netz­werken sind Respekt und Wertschätzung genauso selbstverständlich wie im ­Supermarkt oder auf dem Amt.

46. Wir versuchen, die ­Umwelt zu schützen, Ressourcen zu schonen. ­Nachhaltigkeit ist Zukunft.

47. Deutschland hat ein Herz für Kinder. Sie werden nicht geschlagen, ­sondern gefördert.

48. Cat Calling, also Frauen hinterherzupfeifen oder -rufen, ist Belästigung.

49. Bei uns dürfen Jungen und Mädchen gemeinsam auf Klassenfahrt, in den Sport- und Schwimmunterricht.

50. Wir lieben das Leben und nicht den Tod.

_______________
Zum Manifest in der BILD-Zeitung vom 29. Oktober 2023.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

Bildschirmfoto20120928um11_07_44

Meinungsfreiheit

Wo hört sie auf? Wie weit soll sie gehen? Privatsphäre? Religiöse Gefühle? Markenschutz? Geheimhaltung?

Bildschirmfoto20120807um11_24_46

Menschenrechte

Genügend zu essen. Gut schlafen. Gesundheit. Grundschule. Keine Diskriminierung. Bewegungsfreiheit. Bürgerrechte

War dieser Artikel nützlich?
Ja:
Nein:


Infosperber gibt es nur dank unbezahlter Arbeit und Spenden.
Spenden kann man bei den Steuern in Abzug bringen.

Direkt mit Twint oder Bank-App



Spenden


Die Redaktion schliesst den Meinungsaustausch automatisch nach drei Tagen oder hat ihn für diesen Artikel gar nicht ermöglicht.

10 Meinungen

  • am 30.10.2023 um 11:45 Uhr
    Permalink

    Bei diesem Befehlston läuft es einem kalt den Rücken runter. Muss ich zwingend zu diesem «Wir» gehören und denken und gutheissen, was dieses «Wir» denkt und gutheisst? Besonders gruselig Punkt 43: «Die Medien hinterfragen die Politiker, aber wir ­vertrauen grundsätzlich darauf, dass die Gewählten wahrheits­gemäß und zum Wohle des ­Volkes entscheiden.» Die deutsche Zeitenwende führt wohl zurück in deutsche Vergangenheit.

  • am 30.10.2023 um 13:27 Uhr
    Permalink

    Dieses Manifest hat die BILD veröffentlicht !!! CHAPEAU !!! Kann ich in allen Punkten unterschreiben.

  • am 30.10.2023 um 16:06 Uhr
    Permalink

    Die Moralweltmeister haben wieder zugeschlagen. 50 Postulate in den Wind (was unter Berücksichtigung unserer aus deutscher Sicht «hinterwäldnerischen» Kultur natürlich auch für die Schweiz gälte). Wenn eine AfD über 20 und eine SVP fast 30 Prozent Wähleranteile haben, muss jedoch irgendetwas jenseits des Moralischen falsch laufen. Dann hat das damit zu tun, dass sich eine hauchdünne Schicht die Hälfte des Kuchens sichert, während der unteren Hälfte Brosamen bleiben. In D ist es Hartz 4 und ein daneben rasant wachsendes Prekariat und in der Schweiz sind es – mittlerweile – wohl gegen eine Million Menschen die Anspruch auf Ergänzungsleistungen hätten, es aber zur Hälfte nicht einfordern, weil sie sich schämen. So läuft das mit dem Anstand in dieser Gesellschaft. Kämen BILD/BLICK daher und forderten ein sofortiges Einglätten der Ungleichheit (diesmal von oben nach unten) in diesen zu den reichsten Gesellschaften gehörenden Ländern, liesse sich über die 50 Anstandsregelen diskutieren.

    • am 1.11.2023 um 15:52 Uhr
      Permalink

      Warum denn so intolerant? Auch ein Eintreten für AfD oder SVP darf sein, dies gehört zur Meinungsvielfalt. Themen, bei denen ich anderer Meinung bin, möchte ich diskutieren können. Friedlich.

      Ich sehe keinen Zusammenhang mit der behaupteten Ungleichheit. Wir haben (in der Schweiz) im weltweiten Vergleich ein hohes Einkommen und wenig Ungleichheit, dies misst der Gini-Koeffizient. Es ist durchaus Aufgabe der Politik, dies im Auge zu behalten und die Ungleichheit nicht übermässig anwachsen zu lassen. Dies geschieht ja auch, z.B. in den Massnahmen gegen übertriebene Managerlöhne / Verwaltungsratsentschädigungen. Aber der Wohlstand ist grundsätzlich hoch bei uns.

  • am 30.10.2023 um 16:09 Uhr
    Permalink

    27. Wir achten jede Religion, aber wir trennen klar ­Religion von Staat.
    Da kann sich mal ganz Europa an der Nase nehmen, ganz speziell Deutschland! Nur ganz wenige Länder haben Staat und Religion richtig getrennt. Über die Beschneidung von Kindern spricht man schon gar nicht. Gewalt scheint rein männlich zu sein. Da bleibt noch sehr viel zu tun.

  • am 30.10.2023 um 17:26 Uhr
    Permalink

    In der Tat. Regt zum Austausch an. Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben: Bild ist das größte Schundblatt der Republik. Wenn Springer JournalistInnen Derartiges produzieren, sollte man auf Zwischentöne und Motivation achten.

  • am 30.10.2023 um 18:21 Uhr
    Permalink

    Wir – also die meisten der hier Mitlesenden – anerkennen die Verfassung und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Oft, aber nicht immer, sagen wir bei passender oder unpassender Gelegenheit bitte oder danke. Vielleicht möchten einige auch dem Bild-Chefredaktor die Hand reichen – ich jetzt nicht unbedingt.

  • am 30.10.2023 um 23:57 Uhr
    Permalink

    Eigentlich eine gute Intention.
    Doch von Regel 1 -7, ohne Nummer 4, welche lustigerweise auch alle fett geschrieben wurden, konnten Covid impffreie Menschen und Maßnahmen Kritische nur träumen. Deshalb tönen solche Aufzählungen in unseren Ohren halt jetzt auch irgendwie unglaubwürdig. Da wurde viel Geschirr zerschlagen und immer noch null Einsicht oder Aufarbeitungswillen.

  • am 31.10.2023 um 13:38 Uhr
    Permalink

    Zu diesen 50 Punkten ließe sich vieles sagen. So z.B. zu Punkt 8:

    es ist bezeichnend: Jene, die mit Blick auf Israel die «deutsche Staatsräson» wie eine Monstranz vor sich hertragen, verweigern den Blick auf die deutsche Verantwortung auch gegenüber dem palästinensischen Volk. Denn ohne die durch den Holocaust an den europäischen Juden beförderte Staatsgründung Israels würden die Palästinenser nach wie vor in ihren eigenen Staatsgrenzen leben.
    Die Staatsgründung Isreals im Jahre 1948 ging mit massiven Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen einher: Vertreibung von 750.000 Palästinensern aus ihrer Heimat, Entvölkerung von 11 Stadtteilen einst palästinensischer Städte, mancherorts Tötung aller männlichen Palästinenser ab 14 Jahren. Die darauf folgenden Jahrzehnte waren bis zum heutigen Tag geprägt von völkerrechtswidrigen Annexionen (so z.B. Ost-Jerusalems), Vertreibungen, permanenten Demütigungen und Schikanen sowie einer «Apartheidspolitik» (so AI sowie Human Rights Watch).

  • am 1.11.2023 um 09:04 Uhr
    Permalink

    Ist das für Erwachsene, die in Europa aufgewachsen sind, gedacht? Wenn ja, finde ich es ziemlich übergriffig. Man kommt sich dumm und gegängelt vor. Es kann ja sein, dass Menschen, die aus anderen Kulturen stammen und noch nicht lange in Europa leben, keine genaue Vorstellungen von den hiesigen Sitten haben, aber ob sie dieses Kompendium ernst nehmen und befolgen würden, steht auf einem anderen Blatt.

Comments are closed.

Ihre Meinung

Lade Eingabefeld...