«Nicht Kinder aus Gaza töten, um Kinder Israels zu schützen»
upg. Angesichts der 1400 Ermordeten und über 200 Verschleppten verlangt Israel Verständnis und Unterstützung dafür, die Terrororganisation Hamas ein für alle Mal zu eliminieren – ohne Rücksicht auf Opfer. Israelische Regierungsvertreter und israelische Botschafter werfen denen, die zur Zurückhaltung mahnen, vor, sie wollten die Hamas schonen oder seien israelfeindlich und antisemitisch.
Damit verweigert das offizielle Israel eine Diskussion sowohl über ethische wie völkerrechtliche Normen. Auch einer Diskussion über die geplante Zukunft des Gazastreifens – nachdem die Hamas wie gewünscht vernichtet und das Land zerstört ist – weichen Offizielle aus (Anne Will, 33:18).
In der «New York Times» ging Kolumnist Nicholas Kristof auf die ethische Dimension ein. Wir fassen seinen Artikel zusammen.
Die Krise im Nahen Osten sei ein kniffliger Test für unsere Menschlichkeit, meint Kristof. Es gehe um die Frage, wie wir auf eine fürchterliche Provokation reagieren sollen.
Die Akzeptanz der gross angelegten Bombardierung des Gazastreifens und der wahrscheinlich bald beginnenden Bodeninvasion lege nahe, dass palästinensische Kinder geringere Opfer sind, weil sie im Land der Hamas und des Terrorismus leben. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen wurden bereits mehr als 1500 Kinder getötet und in nur zwei Wochen etwa ein Drittel der Häuser im Gazastreifen zerstört oder beschädigt – und nur als Vorbereitung einer voraussichtlich viel blutigeren Bodeninvasion. [Red. Laut palästinensischen Gesundheitsbehörden wurden in Gaza seit dem 7. Oktober mehr als 5000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene getötet.]
«Was sollen wir dem Arzt Iyad Abu Karsh sagen, der seine Frau und seinen Sohn bei einem Bombenangriff in Gaza verloren hat und dann seine verletzte 2-jährige Tochter behandeln musste?», fragt Kristof. «Ich habe jetzt keine Zeit zum Reden», habe er einem Kollegen der NYT gesagt, während seine Stimme am Telefon zitterte. «Ich will sie begraben.»
Die Brutalität der Hamas-Angriffe und die Geschichte der Pogrome und des Holocaust habe in Israel zur Entschlossenheit geführt, die Hamas ein für alle Mal auszulöschen, auch wenn dies einen extrem hohen Blutzoll bedeutet. «Der Gazastreifen wird zu einem Ort werden, an dem kein Mensch mehr leben kann», erklärte Giora Eiland, ehemaliger Leiter des israelischen Nationalen Sicherheitsrats. Es gebe «keine andere Option, um die Sicherheit des Staates Israel zu gewährleisten».
Nicholas Kristof hält dies für eine praktische und moralische Fehleinschätzung. Auch er würde zwar gerne das Ende der Hamas sehen, aber es sei nicht möglich, den Radikalismus im Gazastreifen zu beseitigen. Eine Bodeninvasion werde dem Extremismus eher Vorschub leisten, als ihn zu unterdrücken – zu einem untragbaren Preis an Menschenleben.
Eher implizit als explizit werde gesagt, dass das Leben der Menschen im Gazastreifen weniger zähle, weil viele Palästinenser mit der Hamas sympathisieren. Doch Menschen verlieren nicht ihr Recht auf Leben, weil sie abscheuliche Ansichten haben. Und auf jeden Fall seien fast die Hälfte der Gazaner Kinder: «Diese Jugendlichen, Kinder und Kleinkinder gehören zu den mehr als zwei Millionen Menschen, die unter einer Belagerung und kollektiven Bestrafung leiden.»
Nach dem schrecklichen Terroranschlag verdiene Israel das Mitgefühl und die Unterstützung der Welt, aber es sollte keinen Blankoscheck erhalten, um Zivilisten abzuschlachten oder ihnen Nahrung, Wasser und Medizin vorzuenthalten.
Eine langwierige Bodeninvasion scheint Kristof besonders riskant zu sein, weil dabei wahrscheinlich viele israelische Soldaten, Geiseln und vor allem Zivilisten aus dem Gazastreifen getötet werden: «Wir sind doch besser als das. Und Israel ist besser als das. Städte dem Erdboden gleichzumachen ist das, was die syrische Regierung in Aleppo oder Russland in Grosny getan hat. Ein solches Unterfangen Israels in Gaza sollte von den Amerikanern nicht unterstützt werden», meint Kristof.
Die beste Antwort auf diese Prüfung bestehe darin zu versuchen, selbst angesichts der grossen Provokation an unseren Werten festzuhalten: «Das bedeutet, dass wir trotz unserer Vorurteile versuchen, alle Leben als gleichwertig zu betrachten. Wenn unsere Ethik einige Kinder als unbezahlbar und andere als entbehrlich ansieht, ist das keine moralische Klarheit, sondern moralische Kurzsichtigkeit. Wir dürfen keine Kinder aus dem Gazastreifen töten, um israelische Kinder zu schützen.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Warum um den heißen Brei herumreden: normalerweise geht bei einer Militäroperation darum, feindliche Kämpfer zu töten bzw. kampfunfähig zu machen. Dabei sterben meistens auch einige Zivilisten. Meistens wird sich darum bemüht, diese Opferzahl so gering wie möglich zu halten. Im Gazastreifen ist es genau anders herum: da werden zum Großteil Zivilisten getötet, in der Hoffnung dadurch einige Hamas-Kämpfer zu töten und deren Strukturen auszuschalten. Die getöteten Zivilisten in Gaza sind kein Kollateralschaden, sondern Ziel. Israelische Drohnen überwachen das Gebiet 24/7. Die IDF weiß ganz genau was sie dort angreift und mit wievielen toten Zivilisten gerechnet werden muss. Jenseits moralischer Betroffenheit müssen die Verbündeten Israels jetzt nüchtern und sachlich dafür sorgen, dass die IDF mit diesen Angriffen aufhört. Aug› um Aug› und Zahn um Zahn ist dort längst erreicht.
Ich bin mit dem Artikel recht einverstanden, aber sicher nicht mit seiner Headline. Es geht hier nicht um Moral. Die Kinder in Gaza halten sich in einem Kriegsgebiet auf, aus dem heraus militärische bzw. terroristische Aktionen stattfinden. Das taten die Kinder, die das Musikfestival besuchten, nicht.
Ich kann diese Argumentation nicht verstehen. Die Kinder in Gaza können für den Krieg genauso wenig, wie die Kinder in Israel. Nur haben die Kinder im Gaza-Streifen praktische keine Zukunftaussichten. Sie werden kaum je einen Beruf erlernen können oder eine Ausbildung machen, was mit grosser Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass sie in 10 oder 20 Jahren als Terroristen zurückschlagen.
Die Kinder in Gaza würden wohl lieber heute als morgen woanders hinziehen. Aber wie bitte sollen sie das tun? Als Flüchtlinge auf einem Gummiboot, um dann zu den Tausenden zu zählen, die wir Rassisten, – und um Rassismus geht es hier, das ist der Elefant im Raum -, ersaufen lassen?
Die «Kinder» am Hippiefestival waren auch nur Zivilisten und darum der Mord an ihnen ein übles Verbrechen. Sie waren aber wahrscheinlich alle volljährig und mit allen Möglichkeiten ausgestattet: Ausbildung, Jobaussichten, Reisefreiheit, finanzielle Mittel. Gaza und Israel sind zwei Planeten. Hier ein Gefängnis, da seine Bewacher. Haben Sie die «Hunger Games» gelesen? Das ist nicht so weit von der Realität.
Ich verstehe nicht, wie man Ursache und Wirkung derart verwechseln kann, wenn man das beschriebene Missverhältnis der Opferzahlen kennt.
Nur wenn man vollständig ausblendet, dass Israel in den vergangenen Jahren tausende Palästinenser, auch Frauen und Kinder, die wenigsten davon mit Waffe versehen, getötet oder verstümmelt hat, lässt sich begründen von einer palästinensischen Provokation zu reden. Der bewaffnete palästinensische Widerstand und sein terroristisches Vorgehen sind nicht die Ursache, sondern das Resultat der mörderischen Besatzungspolitik Israels.
Die Aussage «Wir dürfen keine Kinder aus dem Gazastreifen töten, um israelische Kinder zu schützen» wird in Israel keinen Eindruck hinterlassen.
Für unsere christliche und muslimische Moral, sind die mörderischen Geschehnisse in Gaza entsetzlich und unverständlich. Aber Israel verfolgt die Moral seiner Religion, der halachischen Gesetze, die verachtende und gehässige Haltungen gegenüber Nicht-Juden einprägen. Nicht-Juden dürfen umgebracht werden, weil sie weniger Wert sind als Juden. Dazu das Buch von Israel Shahak, «Jüdische Geschichte, Jüdische Religion, Der Einfluss von 3000 Jahren», ed. Lühe Verlag 1998.
Als ich in Israel war, bestätigten mir Soldatinnen in der RS, dass sie jeden Tag lernen, vor dem Schiessen auf eine Zielscheibe, die einen Palästinenser darstellt, Hassgefühle zu entwickeln. Die jungen Frauen waren selber empört darüber.