Nordafrika/Nahost: Hydrokultur bekämpft Hunger und Klimakrise
Das Gemüse wachse schneller und schmecke besser als jenes, welches mit traditionellen Methoden angebaut werde, schwärmt Khalifa Muhammad. Der Gemüsebauer testet seit Kurzem eine Methode, bei der die Pflanzen nicht direkt in der Erde, sondern im Wasser und in Temperatur geregelten Zelten zieht. Nach jahrelangen Missernten hält er die Hydrokultur für ein Geschenk des Himmels. In seinem Heimatort Ubari, einer Oasenstadt tausend Kilometer südlich von Tripolis, herrschten in den letzten Jahren Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius.
Auch Khaled Ibrahim, der auf Grund der anhaltenden Trockenheit die Hälfte seiner Ernten verlor, kann mit Hilfe der Hydrokultur wieder schmackhaftes Gemüse wie Tomaten, Gurken und Zucchetti anbauen, die er dank ihrer gleichmässigen Grösse und Form auf dem lokalen Markt gut verkaufen kann.
In Libyen bestehen 95 Prozent der Fläche aus Wüste. Auf weniger als zwei Prozent fällt genügend Regen, um traditionelle Landwirtschaft zu betreiben. Weil es keine natürlichen Flüsse gibt, werden die Felder aus dem Grundwasser bewässert. Doch der Grundwasserspiegel senkt sich immer tiefer ab. Zunehmend ist das nordafrikanische Land von längeren Dürreperioden, Sandstürmen, höherer Verdunstungsrate und Wüstenbildung betroffen. Die extremen Bedingungen führen zu massiven Ernteausfällen. Das wiederum gefährdet die Ernährungssicherheit. 2021 warnte UNICEF vor einem Wassermangel für mehr als vier Millionen Libyern – mehr als die Hälfte der insgesamt rund sieben Millionen Einwohner.
Damit Landwirte unter den extremen Bedingungen Gemüse anbauen können, gründeten Seraj Bisheya und Mounier Banot im Jahr 2020 «Green Paradise». Die Nichtregierungsorganisation schult Landwirte im Umgang mit Hydrokulturtechniken und stattet sie mit wassersparenden Systemen aus. Sie half bereits mehr als 120 Landwirten in Sabha, Ghat, Owainat, Wadi Ataba und Ubari – den trockensten und wärmsten Städten in Libyen – klimaresistente Betriebe aufzubauen.
Pestizidarme Salate und Gemüse ernten
Namentlich in Holland sind Hydrokulturen schon lange verbreitet. Dortige Landwirte sind Pioniere der nachhaltigen Hydroponik. Sie haben ihre Abhängigkeit von Wasser um bis zu 90 Prozent reduziert, berichtet National Geographic. Allerdings sammeln sie Regenwasser vom Dach und von der Schneeschmelze, was in Libyen und Jordanien kaum möglich ist. Der Wissenschaftler Wil Hemker von der US-Universität in Akron stellte fest, dass im Durchschnitt 30 bis 40 Prozent weniger Wasser benötigt werden, um ein Kilo Salat anzubauen.
Die Pflanzen werden in speziellen Substraten gezüchtet, wobei sie die Nährstoffe in flüssiger Form erhalten, erklärt Abdallah Tawfic, Mitbegründer von Urban Greens Egypt in Kairo. Weil die Pflanzen in einer sterilen Umgebung ohne Schädlinge oder Unkraut heranwachsen, werden nur wenig Pestizide oder sogar keine benötigt. Ein Problem sind die hohen Anfangskosten: So kostet der Bau eines einzigen Plastikzeltes von Green Paradise rund 7’000 libysche Dinar (umgerechnet etwa 1310 Franken). Wegen der hohen Kosten sind die Systeme weitgehend von Subventionen abhängig – etwa vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen und dem Welternährungsprogramm. Ein anderes Problem ist, dass viele Komponenten importiert werden müssen. Zudem werden Kühlmittel benötigt, um die Temperaturen für Pflanzen und Wasser in den Zelten herunter zu kühlen. Im Nahen Osten und Nordafrika werde die Technik durch mangelnde Aufklärung und fehlende Gesetze behindert, Landwirte geraten so häufig an unprofessionelle Dienstleister, kritisiert Tawfic.
Flüchtlinge verdienen Geld mit Hydrokultur
Rund 3000 Kilometer weiter östlich, in der jordanischen Hauptstadt Amman, baut Najwa al-Qadi Tomaten und Salat auf dem Dach ihres Hauses an. «Die Pflanzen im Hydrokultur-Zelt helfen mir, die Kosten für die Schulausbildung meiner Kinder zu decken», erklärt die fünffache Mutter. Seit sie Gemüse anbaut, verdient sie umgerechnet rund 130 Franken im Monat. Weil sie sich kein Kühlmittel leisten kann, griff die 48-jährige Gemüsebäuerin zwecks Temperaturregulierung auf einen Ventilator zurück. Dessen Wirkung ist allerdings begrenzt.
Wie Libyen gehört auch Jordanien zu den Ländern, die unter dem grössten Wassermangel zu leiden haben. Ähnlich wie in Libyen haben jordanische Landwirte mit zunehmendem Wassermangel und schrumpfenden Anbauflächen zu kämpfen. Nach Angaben der Weltbank stehen pro Kopf und Jahr nur 97 Kubikmeter Wasser zur Verfügung. Das liegt deutlich unter dem Schwellenwert für absolute Wasserknappheit von 500 Kubikmeter pro Kopf und Jahr. In den Wüstengebieten sei Hydrokultur sinnvoll, sagt Alaa Obeidat, Landwirtschaftsberater aus Amman. Denn weil das Wasser aufgefangen und wiederverwendet werde, verbrauche die gezielte Bewässerung zwischen 30 bis 60 Prozent weniger Wasser als bei der traditionellen Landwirtschaft.
Während der letzten zehn Jahre wurde die Wasserversorgung überstrapaziert: einerseits wegen des Bevölkerungswachstums, andererseits wegen des Zustroms von Flüchtlingen. Etwa ein Drittel der rund elf Millionen Einwohner Jordaniens sind Flüchtlinge. Für viele ist die Landwirtschaft die einzige Chance, ein Einkommen zu erzielen.
Zum Beispiel der Palästinenser Mohammad Syam, der in einem der ärmsten und am stärksten überfüllten Flüchtlingslager Jordaniens lebt und aufgrund seines Visastatus mit seinem Krankenpflegediplom keine Arbeit fand. Von einem anderen Lagerbewohner erfuhr er von der Hydrokultur, bildete sich über YouTube-Videos weiter und gründete 2020 Senara, ein Unternehmen, das Flüchtlinge im Hydrokulturanbau schult. Senara schulte mehr als dreissig Flüchtlinge im Bau der Anlagen und half bei der Installation von 164 Dachanlagen, von denen sich die meisten in überfüllten Flüchtlingslagern befinden, wo traditionelle Anbaumethoden unmöglich gewesen wären.
Oder der 45-jährige Subhi Shehab, syrischer Vater von sechs Kindern, der wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen keine Arbeit fand. Nachdem er von einer internationalen Organisation im Umgang mit Hydrokultur geschult wurde, begann er im eigenen Zelt Paprika und Tomaten zu ziehen. Damit verdiente er in den letzten vier Monaten umgerechnet knapp 900 Franken.
Algerien: Salat und Gemüse gedeiht auf Sand
Das deutsche Fraunhofer Institut entwickelte ein Hydrokultur-System, mit welchem Flüchtlinge in der algerischen Wüste unter Extrembedingungen Gerste anbauen können. Diese wird an Ziegen und Kamele gefüttert, deren nahrhafte Milch die Menschen nutzen. Der Ingenieur Taleb Brahim erweiterte das System für den Anbau von Gemüse und Salat. Über Tröpfchenbewässerung werden die Pflanzen, die im Sand wachsen, mit einer Nährstofflösung und Wasser versorgt. Das Wasser wird wieder aufgefangen und zurück ins Wasserreservoir geleitet und von da aus in die Sandkultur geleitet. Als Düngung dient ausschliesslich organisches Material wie Eierschalen, Teeblätter etc.. Das System ist ein Meilenstein für die Versorgung zehntausender Flüchtlinge, die aus der Westsahara vertrieben wurden. Bei den extremen klimatischen Bedingungen sind frische Lebensmittel vor Ort kaum verfügbar, Unter- und Mangelernährung sind die Folge.
Urbane Hydrokultur: keine Treibhausgase, kurze Transportwege
Menschen züchten und ernten pestizidfreien Salat und Gemüse, das sie vor Ort konsumieren – ohne lange Transportwege, ohne zusätzlich Emissionen von Treibhausgasen – das hat vor allem in den Städten Vorteile.
In Ägypten, das unter chronischem Wassermangel leidet, errichtete ein Unternehmen in einem Lebensmittelgeschäft eine hydroponische Salatfarm. Hier können Kunden frischen Salat kaufen, der vor Ort produziert wurde und länger frisch hält. Dem Unternehmensleiter zu Folge benötigt das System sogar 90 Prozent weniger Wasser als eine herkömmliche Farm.
Auch in Israel erfreut sich das System grösster Beliebtheit. So installiert das Unternehmen LivinGreen seit fünfzehn Jahren Hydroponik-Systeme auf Dächern von Einkaufszentren – etwa auf dem Dach eines Einkaufstempels mitten Tel Aviv – in urbanen Fussgängerzonen, in Schulen und sozialen Einrichtungen. Salat und Gemüse in Hydrokultur gedeihen auch auf der Zionist Youth Farm in Jerusalem.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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