Keine Patente auf Saatgut.Falk Heller:Argum

2021 sammelten GegnerInnen von Patenten auf Saatgut, Pflanzen und Tieren fast 200’000 Unterschriften. © Falk Heller/Argum

Fragwürdige Patente gefährden Existenz kleiner Zuchtunternehmen

Susanne Aigner /  Grosse Agrarkonzerne liessen tausende Pflanzensorten patentieren. Für die Nutzung von Saatgut braucht es eindeutige Regelungen.

Die europäische NGO «No Patents on Seeds!» fordert ein striktes Verbot für Patente auf Züchtungsprozesse, einschliesslich Kreuzung oder Selektion sowie auf die Nutzung natürlich vorkommender oder zufällig erzeugter genetischer Variationen. Der Zugang zur biologischen Vielfalt dürfe nicht blockiert, die globale Ernährungssouveränität nicht mittels exklusiver Eigentumsansprüche über Patente kontrolliert und behindert werden. Die Organisation appelliert an das Europäische Patentamt sowie an Regierungen, hier endlich wirksame Massnahmen zu treffen. 

Dem Bündnis gehören Umwelt-, Saatgut- und landwirtschaftliche Verbände aus Deutschland, Österreich, Dänemark, den Niederlanden, Belgien, UK und Portugal an. Die Schweiz ist durch ProSpecieRara, Swissaid, Public Eye und Biorespect vertreten:

Organisationen Patente

Hintergrund ist: Immer mehr Pflanzensorten, die neu auf den Markt kommen, sind von Patenten betroffen – viele konventionell gezüchtete Sorten sogar von mehreren Patenten. Um zu verhindern, dass sich die grossen Konzerne die biologische Vielfalt aneignen, müsse die Politik eingreifen, erklärt Johanna Eckhardt von «No Patents on Seeds!» 

Laut europäischer Gesetzgebung ist die Patentierung von Pflanzensorten zwar verboten. Doch im Zusammenhang mit technischen Erfindungen wie transgenen Pflanzen erlaubt eine Richtlinie der EU (98/44) die Vergabe von Patenten.

Eine natürlich vorkommende Sequenz oder Teilsequenz eines Gens sei als solche zwar nicht patentierbar, heisst es im Schweizer Bundesgesetz über die Erfindungspatente (Stand: 1. Juli 2023). Doch seien «Sequenzen, die sich von einer natürlich vorkommenden Sequenz oder Teilsequenz eines Gens ableiten, als Erfindung patentierbar, wenn sie technisch bereitgestellt werden und ihre Funktion konkret angegeben wird (….)».

«Seit Jahren umgehen diese Unternehmen mit Kniffen und Schlupflöchern dieses Übereinkommen und unser Gesetz», erklärte François Meienberg, Projektleiter Saatgutpolitik bei ProSpecieRara. Das etwas schwammig formulierte Gesetz biete Interpretationsspielraum, den diese Konzerne clever nutzten: «So ist es nicht möglich, ein Patent für eine einzige Sorte zu erhalten – ein Patent für eine neu entdeckte Eigenschaft, die verschiedenen Sorten angezüchtet werden kann, zu erhalten, ist aber möglich», erläutert er. Die bittere Ironie dabei: So kann ein Patent nicht nur eine Sorte, sondern unter Umständen tausende Sorten umfassen, welche diese Eigenschaft aufweisen.

«Noch abstruser ist ausserdem die Tatsache, dass die Entdeckung beispielsweise einer Mehltauresistenz bei einer wilden Spinatsorte ja nicht per se eine Erfindung, sondern eine Entdeckung ist – die Resistenz kommt natürlich vor und muss im Erbgut der Pflanze nur gefunden und markiert werden.». So habe Syngenta vor Kurzem ein Patent auf alle kommerzialisierbaren Peperoni erhalten, die resistent gegen die Weisse Fliege sind. Für den Erhalt des Patents gab den Ausschlag, dass der Neuigkeitscharakter insofern gegeben war, dass die Resistenz im vorliegenden Fall nicht mehr nur in der wilden Sorte zu finden war, sondern neu eben auch in kommerziellen und hybriden Sorten.

Bisher wurde das Gesetz nicht korrigiert.

Verbote von Patenten werden systematisch umgangen

Darüber hinaus gibt es verschiedene Strategien, um das bestehende Patentverbot zu umgehen.

Diese werden vor allem von Agrochemie-Konzernen wie Bayer, BASF, Syngenta und Corteva, aber auch von traditionellen Züchtungshäusern wie Rijk Zwaan und KWS mit Hilfe ihrer Patentanwälte und des Europäischen Patentamts (EPA) zur Genüge genutzt. So werden zum Beispiel in die Patentanmeldungen spezifische Formulierungen eingefügt, die den Einsatz gentechnischer Verfahren suggerieren, obwohl diese Verfahren in den meisten Fällen gar nicht angewandt wurden und für die Entwicklung der gewünschten Pflanzen auch nicht notwendig sind. In anderen Fällen beinhalten die Patentanmeldungen einen Anspruch auf ein Pflanzenmerkmal sowie einen bestimmten natürlich vorkommenden Genotyp.

Laut dem von «No Patents on Seeds!» veröffentlichten Bericht «Zukunft der europäischen Pflanzenzucht in Gefahr» betrifft die wachsende Zahl erteilter Patente und Patentanmeldungen mit Ansprüchen zur konventionellen Pflanzenzüchtung in Europa unter anderem Brokkoli, Tomaten, Melonen, Spinat, Salat, Mais, Weizen und Gerste. Erst im Mai dieses Jahres erhob «No Patents on Seeds» Einspruch gegen ein Patent der deutschen Firma KWS beim EPA. Das Patent beansprucht Mais, der zum Anbau in kälteren Regionen besonders geeignet ist. Allerdings wurde der Mais mit Hilfe von Pflanzen gezüchtet, die bereits tolerant gegenüber kälteren Anbaubedingungen waren.

50 Jahre nach der Gründung des Europäischen Patentamtes (EPA) stimmen die Entscheidungen, die vom Amt getroffen werden, nicht mehr mit seiner rechtlichen Basis, dem Europäischen Patentübereinkommen (EPÜ) überein, lautet die Kritik. Für alle Pflanzenzüchter, Gärtner und Landwirte in Europa, die sich mit konventioneller Züchtung, Anbau und Vermehrung von Nahrungspflanzen und -tieren beschäftigen, müsse Handlungsfreiheit garantiert bleiben, fordert das Saatgut-Bündnis.

Die EPA könnte das eigene Jubiläum zum Anlass nehmen und ein klares Signal setzen, dass die Patentierung von Saatgut stoppt. Über einen einfachen Mehrheitsbeschluss im Verwaltungsrat des EPA könnte die Regelungen des EPÜ wieder korrigiert werden. Ohne eine solche Korrektur werde nicht nur die traditionelle Pflanzenzucht blockiert, sondern auch die Zukunft der Ernährungssicherheit gefährdet. Darüber hinaus sollen die nationalen Rechtsvorschriften der Vertragsstaaten des EPA mit der korrekten Auslegung der Patentgesetze verabschiedet werden. 

Österreich bietet Steilvorlage für neues Gesetz 

Ein entsprechendes Gesetz in Österreich wurde kürzlich bei Artikel 2, Absatz 2.3, wie folgt geändert: «Ein Verfahren zur Züchtung von Pflanzen oder Tieren ist im Wesentlichen biologisch, wenn es ausschliesslich auf natürlichen Phänomenen wie Kreuzung, Selektion, nicht zielgerichtete Mutagenese oder auf in der Natur stattfindenden, zufälligen Genveränderungen beruht.» Pflanzen und Tiere durften in Österreich schon vorher nicht patentiert werden. Es darf ausdrücklich keine Form der konventionellen Pflanzenzüchtung patentiert werden. Die Sortenvielfalt ist somit für alle zugänglich.

Mit der Patentrechtsnovelle sollen die bestehenden Lücken bei Patenten auf Leben geschlossen werden. Das betrifft auch das sonst übliche Verfahren der nicht zielgerichteten Mutagenese: Dabei wird eine Pflanze einem bestimmten Stress ausgesetzt, etwa mit intensiver UV-Bestrahlung. Dadurch entstehen zufällige Mutationen und somit vielfältige Eigenschaften, die mittels Kreuzung und Selektion weiter gezüchtet werden können. 

«No Patents on Seeds!» sieht im neuen Gesetz eine Vorlage für andere nationale Patentgesetze und für die erwarteten Entscheidungen des Verwaltungsrats. Auch das niederländische Parlament richtete sich jüngst mit der Forderung an die EU, Patente auf Saatgut auf der Ebene des EU-Agrarministerrates zu diskutieren. 

Patente auf Leben mit Ansprüchen auf Pflanzen und Tiere als «Erfindungen» wurden in Europa erstmals in den 1980er Jahren eingefordert, als Unternehmen wie Monsanto mit der Züchtung gentechnisch veränderter Pflanzen begannen. Nach offiziellen Angaben wurden inzwischen mehr als 4000 Patente auf Pflanzen und 2000 Patente auf Tiere in Europa erteilt, meist für gentechnische Verfahren. Dahinter stecken die Interessen von agrochemischen Konzernen, von Patentanwälten, aber auch des EPA, denn sie alle profitieren vom Geschäft mit den Patenten. Verlierer sind die kleineren und mittleren Züchtungsunternehmen, deren Zugang zum Ausgangsmaterial für die Zucht zunehmend erschwert wird. 


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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