Blutabnahme am Finger

Bei den alten Blutverdünnern muss regelmässig geprüft werden, ob die Blutgerinnung richtig eingestellt ist. Das bedingt eine Blutabnahme. © smuayc / Depositphotos

Neue Blutverdünner führen bei Hochbetagten zu mehr Blutungen

Martina Frei /  Neue Blutverdünner wurden an gebrechlichen alten Menschen kaum geprüft. Beim Wechsel gibt es mehr Nebenwirkungen als gedacht.

Früher erhielten Menschen mit Vorhofflimmern «Marcoumar» oder «Sintrom» zum Blutverdünnen. Dann kamen ab 2011 auch neue Blutverdünner wie «Xarelto», «Eliquis» und «Pradaxa» zum Einsatz. Sie sind teurer als die alten, ersparen den Patientinnen und Patienten aber regelmässige Besuche in der Arztpraxis, um ihre Blutgerinnung zu testen und gegebenenfalls die Medikamentendosis anzupassen. Die neuen Blutverdünner verdrängten die alten zunehmend.

Wie schnell dies vonstatten ging, zeigte «Der Arzneimittelbrief» am Beispiel von Salzburg auf: Im Jahr 2012 verordneten Ärzte dort pro Quartal rund 1000-mal einen neuen Blutverdünner. Im zweiten Quartal 2014 waren es bereits 6000 solche Verordnungen, während die Verordnungen der alten Blutverdünner im gleichen Zeitraum praktisch stagnierte. Der Anteil der neuen Blutverdünner betrug in Salzburg 2014 bereits rund 60 Prozent, die Kosten für Blutverdünner zum Einnehmen hätten sich dadurch mehr als verfünffacht, berichtete das Fachblatt.

«Beispiellose Werbekampagne»

Die neuen Blutverdünner «haben längst die Rezeptblöcke und somit den Markt erobert», stellte «Der Arzneimittelbrief» 2014 fest. «Die Werbekampagne der Hersteller ist beispiellos. Es ist ihnen gelungen, ihre Produkte weit sicherer und überlegener darzustellen als dies der Realität entspricht. Besonders negativ fallen bei dieser Kampagne die medizinischen Experten auf, die eine zentrale Rolle bei der Vermarktung spielen.» Wie so oft bei der Einführung neuer Medikamente, gab es Interessenskonflikte. «Hier verschwimmt, leider wie so oft, die Grenze zwischen Wissenschaft und Lobbyismus.»

In den wichtigsten Studien zur Wirksamkeit und zur Sicherheit der neuen Blutverdünner waren gebrechliche, alte Menschen über die Jahre hinweg untervertreten – dabei werden gerade sie häufig mit Blutverdünnern behandelt. Etwa ein Viertel der Menschen mit Vorhofflimmern zählt zu dieser Gruppe, Tendenz steigend. Obwohl über den Nutzen bei den hochbetagten Senioren viel weniger bekannt war als bei nicht-gebrechlichen Altersgruppen, wurde die Behandlung bei vielen alten Patienten auf neue Blutverdünner umgestellt.

Erst sieben Jahre nach Markteinführung begann eine aussagekräftige Studie

Mittlerweile geben die Schweizer Krankenversicherer laut einer Hochrechnung der Helsana von 2022 über 341 Millionen Franken pro Jahr für Blutverdünner aus. Den zweitstärksten Zuwachs unter den 20 «kostenintensivsten Wirkstoffen», verglichen mit dem Vorjahr, verzeichnete 2021 mit rund 21 Prozent der Blutverdünner «Eliquis».

Der darin enthaltene Wirkstoff habe in früheren Beobachtungsstudien mit neuen Blutverdünnern bei älteren Menschen das beste Sicherheitsprofil gehabt, schreiben niederländische Wissenschaftler in einer Studie, die sie letzte Woche am Kongress der Europäischen Kardiologischen Gesellschaft in Amsterdam vorstellten. Doch bei Beobachtungsstudien können viele bekannte und unbekannte Faktoren hineinspielen und zu Ergebnissen führen, die möglicherweise nicht die Wirklichkeit abbilden (Infosperber berichtete).

Dem niederländischen Forschungsteam liess die «Datenlücke» bei den hochbetagten, gebrechlichen Menschen keine Ruhe. Es wollte sicher gehen, dass ältere, gebrechliche Menschen, die bisher mit einem der alten Blutverdünner gut zurechtkamen, vom Wechsel auf einen neuen profitieren.

Böse Überraschung

Doch das Gegenteil war der Fall: Es kam zu mehr Zwischenfällen bei den Patienten, die auf einen der neuen Blutverdünner wechselten. Der Unterschied trat bei einer geplanten Zwischenauswertung so deutlich zutage, dass die Studie vorzeitig beendet wurde, berichten die Studienautorinnen und -autoren im Fachblatt «Circulation».

An dem Experiment nahmen 1330 Personen im mittleren Alter von 83 Jahren teil. Alle erfüllten mindestens drei Kriterien für «Gebrechlichkeit»: Sie waren zum Beispiel durch eine Hör- oder Sehbehinderung beeinträchtigt, fühlten sich gelegentlich einsam, konnten ihre Kommissionen nicht mehr alleine machen oder anderes. Bis zu dem Versuch hatten alle einen der alten Blutverdünner erhalten und waren damit gut eingestellt.

Per Los wurden dann 662 Personen bestimmt, die neu anstelle des alten einen neuen Blutverdünner erhielten. Die andere Hälfte der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer blieb bei ihrem alten Blutverdünner. Ein Jahr lang erkundigten sich die Studienorganisatoren alle drei Monate nach dem Befinden. Dabei interessierte sie insbesondere, wie oft es zu schweren, inneren Blutungen kam, einer möglichen Nebenwirkung aller Blutverdünner.

In der Gruppe derer, die auf einen neuen Blutverdünner umgestellt wurden, gab es 101 solcher unerwünschter Vorfälle. In der Gruppe derjenigen, die bei ihrem alten Blutverdünner geblieben waren, passierte dies nur 62-mal. Das Risiko für eine grössere innere Blutung war bei Umstellung auf einen neuen Blutverdünner etwa 69 Prozent höher als bei den alten – ein deutlicher Unterschied, der die Verantwortlichen zum Studienabbruch bewog.

«Sorgfältig abwägen»

Das Blutungsrisiko – vor allem in Magen, Darm und Harnwegen – stieg mit zunehmender Einnahmedauer. Vom 200. bis zum 365. Tag nach der Medikationsumstellung war es fast doppelt so hoch wie in den ersten 100 Tagen. Das Umstellen vom alten auf einen neuen Blutverdünner schadete in dieser Hinsicht also mehr, als es nützte.

Die Anzahl der Schlaganfälle, der Thromboembolien und der Todesfälle insgesamt unterschied sich in beiden Gruppen nicht. Allerdings war diese Anzahl klein, so dass sich daraus keine sichere Aussage ableiten lässt. Finanziert wurde die Studie von der niederländischen Regierung und mehreren Herstellern von neuen Blutverdünnern.

Die Studienautorinnen und -autoren raten, «sorgfältig abzuwägen», ob gebrechliche, betagte Patienten, die bisher mit einem alten Blutverdünner gut gefahren sind, auf einen neuen umgestellt werden sollten. In vielen Fällen dürfte dieser Rat jedoch zu spät kommen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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