Die Geheimdienstfirma Alp Services heuert Islamverfolger an
Red. DieVereinigten Arabischen Emirate VAE beauftragten die Genfer Firma Alp Services, belastendes Material gegen Katar und die Muslimbruderschaft zu beschaffen. Dabei zerstörte ein Rufmord das weltweite Unternehmen von Hazim Nada (siehe erster, zweiter und dritter Teil). Der folgende letzte Teil zeigt weitere bedenkliche Methoden von Alp Services und warum gerade autoritäre Staaten die Dienste privater Geheimdienstfirmen in Anspruch nehmen.
Alp Services heuert einen neuen Spürhund an
Mario Brero, Besitzer der privaten Geheimdienstfirma Alp Services, hat die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) als Kunden gewonnen. Um für die VAE belastende Informationen zu beschaffen, wendet sich Brero an Lorenzo Vidino. Vidino ist Direktor des Program on Extremism an der George Washington University und Berater mehrerer europäischer Regierungen.
Vidino vertritt die Ansicht, dass selbst gemässigte islamistische Organisationen im Westen Muslime zu Separatismus und Gewalt verleiten können. Die Bridge-Initiative der Georgetown University, die sich mit Islamophobie befasst, beschreibt Vidino als jemanden, der «Verschwörungstheorien über die Muslimbruderschaft fördert» und «mit zahlreichen antimuslimischen Think Tanks in Verbindung steht».
Im Jahr 2020 führt das österreichische Innenministerium auf der Grundlage eines Berichts von Vidino Razzien bei Dutzenden von Bürgern und Organisationen durch, die angeblich Verbindungen zur Muslimbruderschaft hätten. Niemand wurde verhaftet, geschweige denn wegen eines Vergehens verurteilt. Ein österreichisches Berufungsgericht erklärte die Razzien für unrechtmässig.
Der österreichische Islamophobieforscher Farid Hafez, der bei diesen Razzien aufgegriffen wurde und jetzt Professor am Williams College und Fellow an der Georgetown University ist, sagte, dass Vidino fast alle der prominentesten muslimischen zivilgesellschaftlichen Organisationen als Anhänger der Bruderschaft darstellt. «Vidino ist wie ein Fuchs», meinte Hafez. «Er sagt: ‹Sie haben irgendeine Art von Beziehung zu Leuten, die mit der Muslimbruderschaft verbunden sind›, so dass Sie ihn nicht wegen Verleumdung verklagen können, weil er nicht wirklich sagt, dass Sie ein Mitglied der Muslimbruderschaft sind!»1
Aus den geleakten Aufzeichnungen der Alp Services geht hervor, dass Brero am 12. Januar 2018 Lorenzo Vidino zu einem 1’000 Dollar teuren Abendessen im Beau Rivage Hotel in Genf eingeladen hat. Zwei Wochen nach dem Abendessen unterzeichnet Vidino einen ersten Vertrag, der ihm 3’000 Euro garantiert. Erster Auftrag: «Interessante Hinweise/Gerüchte» über die Muslimbruderschaft. Zweiter Auftrag: Eine «Liste von Mitgliedern» der Führungsriege der Muslimbrüder in Europa.
Infosperber publiziert im deutschsprachigen Raum exklusiv eine Recherche von David D. Kirkpatrick, die «The New Yorker» im April 2023 unter dem Titel «The Dirty Secrets of a Smear Campaign» veröffentlichte.
Tatorte gibt es auch in Deutschland und in der Schweiz, etwa in Genf oder dem Tessin.
Wenn Geld keine Rolle mehr spielt
Vidino veröffentlicht eine Reihe von Klatschberichten über die Reichweite der Bruderschaft und liefert Alp Services eine Liste mit 50 mutmasslichen Islamisten. Damit überzeugt Brero die Emiratis, für die er diese Informationen sammelt.
Geld spielt längst keine Rolle mehr: Die geleakte interne Buchhaltung der Alp Services zeigt, dass die Emirate ihm zwischen August 2017 und Juni 2020 mindestens 5,7 Millionen Euro überwiesen. Mit dem Geld kann sich Alp Services immer skrupelloser auf die Suche nach vermeintlichen Informationen machen.
Hazim Nada fühlt sich verfolgt und bedroht
Der Unternehmer Hazim Nada, den die Alp Services mit Rufmord fertig gemacht haben (siehe zweiter Teil), schaut eines Abends im Mai 2021 in Como nach eigenen Angaben von seinem Laptop auf und sieht einen Eindringling vor seinem Fenster. Sein Haus liegt mehr als eine halbe Meile von der Strasse entfernt hinter einem hohen Tor. Niemand verirrt sich zufällig dorthin. Nada greift nach seiner Armbrust. Der Eindringling verschwindet in den Bäumen. Hatte ein privater Agent sein Haus ausspioniert?
Der Verdacht ist nicht unbegründet. Denn in den geleakten Akten von Alp Services finden sich mehr als ein Dutzend Fotos der Pariser Vorstadtwohnung von Sihem Souid, einer tunesischen Beraterin für Öffentlichkeitsarbeit für Katar. Sie hatte auch für die französische Grenzpolizei und für den sozialistischen Justizminister gearbeitet. Die Bilder sind mit «reco» für «reconnaissance» beschriftet.
Auf einem Bild markiert ein eingeblendeter roter Kreis die Zugangstür zur Wohnung. Auf zwei weiteren Bildern markiert ein roter Kasten einen Balkon im zweiten Stockwerk. Ein anderes Bild trägt die Bildunterschrift: «Von unserem Agenten im Inneren ihres Briefkastens aufgenommen.»
Der Fremde in Deiner Wohnung
Souid sagt, sie habe noch nie etwas von Alp Services oder von Mario Brero gehört. Aber Ende 2017 hatte sie das Gefühl, dass jemand sie verfolgt: Ein Auto taucht wiederholt vor ihrer Wohnung auf. 2018 stiehlt dann ein Einbrecher einen Teil ihres Schmucks, aber auch ihr altes Mobiltelefon, ihren Computer und einige Notizbücher. Ein Jahr später gibt es einen zweiten Einbruch, bei dem ein Einbrecher nur den Laptop und das Handy mitnimmt. Souid sagt: «Es ist schockierend, dass ein fremdes Land ausserhalb seiner eigenen Grenzen solche brutalen Methoden anwendet.» Gemeint sind die VAE.
Breros Kampagne im Auftrag der VAE beinhaltet manchmal sogar geheime Vergeltungsmassnahmen. In einem Bericht von 2018 kommt ein UN-Gremium von Menschenrechtsexperten zu dem Schluss, dass die Vereinigten Arabischen Emirate bei ihrer Militärintervention im Jemen Kriegsverbrechen begangen haben.
Die Emiratis beauftragen Brero, die Mitglieder des Gremiums zu durchleuchten, insbesondere den Vorsitzenden Kamel Jendoubi, einen weithin bewunderten tunesisch-französischen Menschenrechtsverteidiger. Jendoubi verbrachte 17 Jahre im französischen Exil, weil er sich gegen die frühere Diktatur in Tunesien gewehrt hatte. Nach seiner Haftentlassung im Jahr 2011 hilft er, die ersten freien Wahlen in Tunesien zu überwachen.
Wikipedia für Rufmord missbraucht
«Heute ist der Ruf von Kamel Jendoubi sowohl bei Google auf Französisch wie auch auf Englisch hervorragend», so Brero in einem Schreiben an die Emiratis vom November 2018. «Auf den beiden ersten Landingpages gibt es nicht einen einzigen kritischen Artikel.» Innerhalb von sechs Monaten, verspricht Brero, könne Jendoubis positives Image mit «negativen Assoziationen» umgestaltet werden. Die Kosten: 150’000 Euro.
Alp Services erstellt und verändert Wikipedia-Einträge über Jendoubi in verschiedenen Sprachen. In arabischen Nachrichten und europäischen Web-Publikationen verbreiten sich Gerüchte: Jendoubi ist ein Werkzeug Katars, ein gescheiterter Geschäftsmann und hat Verbindungen zu Extremisten. In einem französischsprachigen Artikel auf Medium ist zu lesen, dass er «ein Opportunist sein kann, der sich als Held der Menschenrechte tarnt». Ein englischsprachiger Artikel fragt: «Steht der UN-Experte Kamel Jendoubi Katar zu nahe?»
Die Verleumdungswelle, die darauf folgte, habe ihn bestürzt gemacht, sagte Jendoubi mir gegenüber: «Wikipedia ist ein Monster!» Es sei ihm nun gelungen, den französischen Eintrag wieder zu bereinigen, aber die englischsprachige Seite mache ihm immer noch zu schaffen: «Sie sprechen Englisch – können Sie mir helfen?»
Hazim Nada kontaktierte mich erstmals im Mai 2021, kurz nachdem er die geleakten Dokumente den Schweizer Behörden gemeldet hatte. Er fühlt sich hin- und hergerissen. Er will Rache und Entschädigung. Aber auch Brero und seine Alp Services sowie die Emiratis entlarven.
Nada ist empört darüber, dass einer der engsten arabischen Verbündeten Washingtons muslimische Bürger und zivilgesellschaftliche Vereinigungen in westlichen Demokratien ausspionieren und diffamieren kann: «Was sind wir? Bürger zweiter Klasse, die von einem verrückten Muppet am Golf so missbraucht werden können?»
Denn: Keine der geleakten Dokumente an die Emiratis zeigen irgendeinen Finanztransfer oder eine sonstige Unterstützung für eine extremistische Gruppe oder eine Organisation der Muslimbruderschaft.
Immerhin hat der Rufmord Hazim Nada nicht ruiniert. Nach dem Aus seines Unternehmens Lord Energy gründet er das Elektroautounternehmen, von dem er immer träumte. Im November 2022 stellt er sein neues Unternehmen Aehra vor, das einen eleganten Elektro-SUV entwickelt hat. Freilich hat der Rufmord tiefe private Spuren hinterlassen, etwa die Scheidung mit seiner Frau. Beinahe trotzig sagt er: «Ich lebe weiter.»
Ein Boom privater Schnüffelorganisationen im Dienste autoritärer Regime
Es bleiben zwei wichtige Fragen: Wie viele andere Privatpersonen waren von solchen Firmen ins Visier genommen worden? Und: Wie viele hatten es nicht einmal gemerkt?
Gelegentlich erfuhr und erfährt die Presse von dem einem oder anderen Fall, in dem nicht-westliche Regierungen oder Milliardäre private Geheimdienstagenten eingesetzten. Im letzten Herbst berichtete etwa die New York Times, dass sowohl der Iran als auch China verdeckte Ermittler einsetzen, um gegen Dissidenten in New York und New Jersey zu ermitteln.
Die Entscheidung eines Landes, nachrichtendienstliche Tätigkeiten an ein privates westliches Unternehmen auszulagern, bietet verschiedene Vorteile. Ein Land wie beispielsweise Kasachstan, das um die Gunst des Westens wirbt, möchte vielleicht vermeiden, bei konventioneller Spionage erwischt zu werden. Andere, wie die Monarchien am Persischen Golf, verfügen über keine effektiven eigenen Geheimdienste.
Westliche Firmen wie die Alp Services haben Verbindungen zu lokalen Quellen, die sie zu idealen Vermittlern für «verdeckte PR» machen. Pierre Gastineau, Herausgeber von Intelligence Online, sagt, dass nur wenige Privatdetektive mit einer Strafe rechnen müssten, weil sie für einen ausländischen Plutokraten oder eine Regierung arbeiten.
Ronald Deibert, Politikwissenschaftler an der Universität von Toronto, meint, dass der zunehmende Einsatz privater Nachrichtendienste den autoritären Herrschern «ein goldenes Zeitalter» einläute. «Noch vor einigen Jahrzehnten waren die wenigsten autoritären Regime in der Lage, ausländische Einflussnahme, Spionage und Subversionsoperationen durchzuführen, wie sie heute üblich sind», schreibt Deibert im Journal of Democracy.
Die heutige digitale Spionage erfordert keine Mitarbeiter vor Ort in einem fremden Land. Die wachsende Zahl privater Firmen – häufig mit bezahlten erfahrenen ehemaligen westlichen Geheimdienstmitarbeitern macht es Regierungen oder Oligarchen leicht, eine Spionage- oder Desinformationskampagne à la carte zu bestellen.
«Jeder, der genug Geld hat, kann einen privaten Auslandsgeheimdienst, seinen eigenen Mossad, engagieren», sagt Deibert. Subversion, also der Umsturz der bestehenden staatlichen Ordnung, sei heute ein grosses Geschäft. «In dem Masse, wie private Schnüffelfirmen sich ausbreiten, nehmen auch die autoritären Praktiken und die Kultur der Straffreiheit zu.»
Zum Desinformations-Krieg bereit: «Koste es, was es wolle.»
Zurück zu Hazim Nada. Er sagt mir: «So etwas darf nicht passieren, dass ein Diktator oder seine Berater aus eigenem Antrieb beschliessen, Bürger einer Demokratie ins Visier zu nehmen und ihr Leben zu ruinieren, ohne dass es irgendeine Folge hat.» Viele Zielpersonen der Alp Services «haben nie etwas Falsches getan, ausser dass sie möglicherweise Ansichten vertreten, die die Emiratis als Bedrohung ansehen. Ich hatte nie politischen Ansichten!»
Im letzten Frühjahr haben die Hacker Nadas Zugang zu den geleakten Alp Services-Dateien gesperrt. Nada habe die unbekannten Hacker davon überzeugen können, nicht länger auf den grossen Zahltag aus Katar zu warten. Stattdessen schlägt er ihnen vor, die gestohlenen Informationen zu veröffentlichen, um andere Kunden zu gewinnen. Die Hacker schicken daraufhin die Dateien per E-Mail an den Schweizer Staatsanwalt Yves Bertossa in Genf und an den ehemaligen Schweizer Staatsanwalt Dick Marty. Nada seinerseits hat die Akten an zwei Anwälte weitergeleitet, einem in Genf und einem in London.
Das Sammeln von politischen oder geschäftlichen Informationen für einen ausländischen Staat verstösst gegen das Schweizer Recht und kann mit drei Jahren Gefängnis bestraft werden. Das britische Recht erlaubt weitreichende Schadenersatzforderungen wegen Verleumdung.
Nada erzählt mir, dass er mit Anwälten in den USA darüber spricht, andere Geschädigte der Alp Services in eine Sammelklage einzubeziehen. Selbstsicher sagt er: «Diesmal haben sie sich mit dem Falschen angelegt.»
Nach dem, was er erlebt hat, sollte Nada meines Erachtens dennoch vorsichtig sein. Denn, wie meinte es ein Informant so schön: Die Vereinigten Arabischen Emirate seien zum Krieg bereit: «Koste es, was es wolle.»
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Übersetzung und Bearbeitung von Georg R. Rettenbacher
1Diesen Abschnitt aus dem Originalartikel haben wir noch nachträglich hinzugefügt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.