Kommentar
Auch Russlands Getreide verhindert Hunger und Hungertote
Man soll Russland auf keinen Fall erlauben, mehr Getreide und Düngemittel zu exportieren. Lieber in Kauf nehmen, dass sich die Lebensmittelengpässe in Ländern Afrikas und Asiens noch verschärfen und dass Nahrungsmittel für unzählige Menschen in diesen Ländern unerschwinglich teuer werden. Das war die Botschaft des Frontseiten-Kommentars der Tamedia-Zeitung «Der Bund» vom 17. Juli.
Der Titel lautete: «Der Erpressung auf keinen Fall nachgeben». Verfasst hat den Kommentar Nicolas Freund, Redaktor bei der «Süddeutschen Zeitung». Freund kritisierte «die regelmässigen Drohungen aus Moskau, das Abkommen aufzukündigen, wenn nicht mindestens Teile der westlichen Sanktionen aufgehoben werden», und rief den Westen und die UNO dazu auf, «solchen Erpressungsversuchen auf keinen Fall nachzugeben».
Einige Fakten
- Richtig ist, dass Russland für die Verschärfung der globalen Ernährungskrise die Hauptverantwortung trägt, weil Russland zu Beginn des Krieges ukrainische Exportwege über das Schwarze Meer blockierte. Die von der Türkei und der UNO vermittelten Abkommen haben die Krise nur etwas entschärft.
- Die westlichen Sanktionsstaaten trugen zur Nahrungsmittelkrise unnötig bei, weil die Sanktionen keine humanitären Ausnahmen für Nahrungs- und Düngemittel und andere überlebenswichtige Produkte vorsahen.
- Dank türkischer Vermittlung wurden im Juli 2022 in Istanbul zwei Abkommen unterzeichnet. Beide Abkommen dieser «Schwarzmeer-Getreideinitiative» hatten zum Ziel, Hungersnöte in einigen Regionen der Welt zu verhindern. Länder in Afrika, dem Nahen Osten und Asien sollten genügend Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und andere Lebensmittel importieren können.
- Das eine Abkommen, das die Ukraine, die UNO und die Türkei unterzeichneten, garantiert den sicheren Export von Getreide, Dünger und anderen Nahrungsmitteln aus der Ukraine über das Schwarze Meer. Im Gegenzug soll das zweite Abkommen, das Russland, die UNO und die Türkei unterzeichneten, Russland ermöglichen, Getreide und Düngemittel zu exportieren.
Ein Haken
Die Exporte Russlands werden durch die westlichen Sanktionen behindert. Die Lieferung und das Bezahlen dieser Produkte sowie das Versichern von Transportmitteln bedeuten ein unkalkulierbares Verlustrisiko für Unternehmen und Versicherungen. Russische Banken –vom Swift-System ausgeschlossen – können Exportgeschäfte nicht finanzieren. Auch das Anlaufen von Häfen ist teils mit Risiken behaftet. Deshalb verlangt Russland seit Inkrafttreten der Abkommen, dass der Westen die entsprechenden Sanktionen lockert. Weil dies nicht geschieht, will Russland die Getreideinitiative nicht verlängern und das Schwarze Meer für ukrainische Ausfuhren wieder sperren.
«Wir verlängern das Abkommen sofort, sobald die uns gemachten Versprechen erfüllt werden», sagte Präsident Putin in der vergangenen Woche.
Über den Vertrag Russlands mit der UNO und der Türkei informierten die SRF- und ARD-Tagesschau und grosse Medien nur spärlich. Der «Tages-Anzeiger» und «Der Bund» berichteten am 17. Juli, das Getreideabkommen mit der Ukraine, welches «Hungersnöte in anderen Regionen der Welt verhindern soll», laufe aus: «Moskau droht erneut damit, es nicht zu verlängern.»
Es entsteht der Eindruck, Russland trage die alleinige Schuld, wenn Hungersnöte ausbrechen.
Russland gehört zu den wichtigen globalen Lieferanten von Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und anderen Lebens-und Düngemitteln für Länder in Afrika, dem Nahen Osten und Asien. Falls es tatsächlich das oberste Ziel der «Schwarzmeer-Getreide-Initiative» ist, Hungersnöte zu vermeiden, dann sind nicht nur die ukrainischen, sondern auch die russischen Exporte von Düngemitteln und Getreide überlebenswichtig.
Das Ziel, dem russischen Aggressor möglichst wenig Deviseneinnahmen zu ermöglichen, steht dem Ziel entgegen, Unterernährung und Hunger in vielen Ländern möglichst zu verringern und zu vermeiden. Der Kommentar von Nicolas Freund geht auf diesen Zielkonflikt nicht ein. Für den Redaktor der «Süddeutschen Zeitung» bedeutet ein Aufweichen der Sanktionen für die russischen Nahrungsmittelexporte ein gefährliches Nachgeben auf einen Erpressungsversuch: «Weitere dürften folgen.» Welche dies sein könnten, sagt er nicht.
Ich meine: Die westlichen Staaten sollten Russlands Forderungen nachgeben, auch wenn sie erpresserisch sind. Denn eine noch weiter verschärfte globale Ernährungskrise ist das grössere Übel als mehr Geld in Russlands staatliche Kassen. Viel Geld in Russlands Kassen fliesst auch aus Ungarn, das man weiterhin viel Gas aus Russland importieren lässt, damit seine Bevölkerung genügend warm hat und zu günstiger Energie kommt. Und viel Geld in Russlands Kassen fliesst auch, weil man westliche Energiekonzerne weiterhin Uran-Brennelemente für AKWs vom russischen Staatskonzern Rosatom importieren lässt, damit man in reichen Ländern den Strom nicht rationieren muss.
Der Kommentar in der Tamedia-Zeitung wäre wahrscheinlich anders ausgefallen, wenn ihn ein Schweizer und nicht ein Deutscher geschrieben hätte. Der Schweiz liegt das humanitäre Völkerrecht näher, und die Schweiz beherbergt das IKRK, das sich täglich mit Nothilfe in Hungerländern beschäftigt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Russlands Exporte sind weit grösser als die der Ukraine. Weizen (2020). RU: 37 Mio Tonnen, UA: 18 Mio Tonnen, Dünger Export (2022): RU 20 Milliarden Dollar (15% Marktanteil), UA nicht unter den Top 30 der Exporteure.
Seit Tamedia 2017 mit der Süddeutschen das Korrespondentennetz zusammengelegt hat und auch in anderen Ressorts intensiver auf die Ressourcen der Süddeutschen zurückgreift, wurden die Tamedia-Zeitungen vor allem im Bereich der internationalen Politik zum Kopfblatt der Süddeutschen. Schade. Aber man muss die entsprechenden Artikel ja nicht lesen.
Dieser Beurteilung ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Ich teile Ihre Argumentation Herr Gasche und kann nichts mehr hinzufügen, als Danke für die klaren Erläuterungen.
Es geht darum, dass beide Länder (Russland und Ukraine) Getreide exportieren können. Wegen den SWIFT-Sanktionen kann Russland sein Getreide nicht exportieren. Diese SWIFT-Sanktionen wurden nicht aufgehoben.
Entgegen anders lautenden Behauptungen geht das Ukrainische Getreide nicht hauptsächlich nach Afrika, sondern nach Europa, wo in Polen und Rumänien die Preise in den Keller fielen.
Siehe dazu:
* Wohin die Ukraine ihr Getreide exportiert
https://de.statista.com/infografik/27192/ziellaender-ukrainischer-getreideexporte/
* Getreideexporte aus der Ukraine: Ukrainisches Tierfutter
https://taz.de/Getreideexporte-aus-der-Ukraine/!5898475/
* Ukrainische Exporte senken Getreidepreis
https://www.sueddeutsche.de/politik/getreidetransporte-ukraine-preise-1.5723847
Nicolas Freunds Forderung «Der Erpressung auf keinen Fall nachgeben» ist vorbehaltlos zuzustimmen. Jedem Erfolg zeitigenden Erpressungsmanöver wird früher oder später unweigerlich ein weiteres folgen. Putin hat seine Skrupellosigkeit bereits zur Genüge bewiesen. Nachgiebigkeit und Kompromissbereitschaft wird vom Kreml stets gnadenlos ausgenützt. Das folgenlose Hinnehmen der Annexion der Krim und der völkerrechtswidrige Anschluss der sogenannten «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk ans «grossrussische Mutterland» hat sich, wie man nun weiss, als fataler Fehler erwiesen. Erinnerungen ans «Münchner Abkommen» 1938 werden wach, als Chamberlain, Daladier und Mussolini die Tschechoslowakei Hitler zum Frass vorgeworfen haben. Das Ergebnis dieser rückgratlosen Beschwichtigungspolitik ist bekannt. Anstatt «Peace for our time», wie von Chamberlain versprochen, resultierte ein Weltenbrand ohne Beispiel. Das freie Europa wäre gut beraten, aus der Geschichte die entsprechenden Lehren zu ziehen.
Würden Sie diese unnachgiebige Haltung auch einnehmen, wenn die Konsequenz Hunger in Europa wäre (statt anderswo) ?
Lernen Sie die Vorgeschichte kennen, und Sie werden dann nicht mehr diesen nur schwarz-weissen Standpunkt einnehmen.
Herr Mathys. Keine Antwort ist auch eine Antwort, oder ähnlich ..
«Schon im März 2023 hat der russische Präsident Putin in seiner Rede auf der parlamentarischen Konferenz Russland-Afrika betont, dass Moskau auf dem „Paketcharakter“ des Abkommens bestehe, „vor allem im Interesse der afrikanischen und anderer Entwicklungsländer“. Das bedeutet, dass Russland es nicht mehr akzeptieren will, dass nur der Teil des Getreideabkommens umgesetzt wird, der die Ukraine betrifft, während der Teil des Abkommens, der Russland betrifft, vom Westen nicht umgesetzt wird.
Putin versicherte in seiner Rede jedoch auch, dass Moskau für den Fall, dass es sich entschließen sollte, das Getreideabkommen nicht zu verlängern, bereit sei, „die gesamte Menge, die in der Vergangenheit in die besonders bedürftigen Länder Afrikas geliefert wurde, von Russland aus kostenlos an diese Länder zu liefern.“
Im Klartext: Wenn es sein muss, wird Russland sein Getreide an diese Länder verschenken, damit sie genug Lebensmittel haben.»
https://www.anti-spiegel.ru/2023/das-
Die Berner Zeitung (Tamedia) verweigert Veröffentlichung meines folgenden Kommentars 12.7.2022:
Ist BERNER ZEITUNG nicht eine Schweizer Zeitung? Über den Autor Stefan Kornelius, Süddeutsche Zeitung, schreibt Wikipedia: «Kornelius’ Vernetzung mit Thinktanks und politischen Eliten wurde am 29. April 2014 von der Satiresendung Die Anstalt kritisch dargestellt. Der Satirebeitrag stützte sich auch auf Uwe Krüger. Dieser hatte in seiner im Oktober 2011 angenommenen Dissertation über den Einfluss von Eliten auf Leitmedien im Zeitraum 2002 bis 2009. Kornelius zu den am stärksten vernetzten Journalisten gezählt, der bei den Themen Sicherheit, Verteidigung und Auslandseinsätze der Bundeswehr den Diskurs der Eliten abgebildet, ihre Argumente verbreitet und für mehr militärisches Engagement geworben habe.»
Ich bin nicht nur mit Herrn Gasche einverstanden, sondern auch mit Ute Plass. Tatsächlich hat Putin gesagt, er werde Afrika gratis beliefern. Ausserdem kritisierte er , dass die ukrainischen Lieferungen nur teilweise in die Länder geliefert wurden, die den Weizen brauchen, der grösste Teil blieb im wohlhabenden Europa. (Sputniknews.africa, 17.07.2023).
Ich lese, seit einiger Zeit und wiederholt, ca. 80% der u a. Getreide-Exporte werden NICHT in bedürftige Länder, Regionen verkauft. (?)
Das ist richtig, wobei die Enddestinationen nicht immer klar sind. Die «Schwarzmeer-Getreideinitiative» hatte jedenfalls zum Ziel, Hungersnöte in einigen Regionen der Welt zu verhindern. Länder in Afrika, dem Nahen Osten und Asien sollten genügend Weizen, Gerste, Sonnenblumenöl und andere Lebensmittel importieren können. Schlagzeilen im Fernsehen und in grossen Medien erwähnten jedoch häufig gleichzeitig, dass die ukrainischen Exporte Hunger in Afrika und Asien lindern sollen und Russland deshalb besonders verabscheuungswürdig handle. Nahrungsmittelexporte der Ukraine und Russlands sollten nicht behindert werden. Dann wäre allerdings auch sicherzustellen, dass Länder mit Hunger und Unterernährung davon profitieren.
Russland hat das im Juli 2022 unter Vermittlung der UN und der Türkei mit der Ukraine abgeschlossene Getreideabkommen auslaufen lassen. Das kann man kritisieren. Wer jedoch bei seiner Kritik die ärmsten Länder der Welt für sich vereinnahmt, ist ein Heuchler. Nach den Daten der UN gingen nur drei Prozent der unter diesem Abkommen verschifften ukrainischen Getreidelieferungen in die Staaten, die von der Weltbank als arm eingestuft werden. 81 Prozent der Lieferungen gingen nach China und die reichen Staaten des Westens, wo das Getreide meist als Tierfutter genutzt wird. Die USA und die EU müssten nur mit dem Finger schnippen und die Ernährungssicherung der ärmsten Länder wäre gewährleistet. Doch darum geht es ja nicht. Es geht darum, der Ukraine Exporteinnahmen zu sichern, mit denen sie den Krieg weiterführen kann.
https://www.arte.tv/de/videos/103960-026-A/mit-offenen-karten/
Vielleicht müsste der TX-Journi zuerst einmal diese Doku auf ARTE ansehen, damit er auch weiss worüber er schreibt. Die Welt braucht vor allem Dünger aus RUS. Also Sanktionen beenden die sowieso doppelbödig sind, sonst dürfte nicht Rosatom weiter die Welt mit Uranstäben beliefern.