Manganknollen Tiefseeschürfen Greenpeace

Greenpeace-Protest gegen das Tiefsee-Schürfen © Marten van Dijl / Greenpeace

Niemand stoppt Tiefsee-Bergbau in internationalen Gewässern

Susanne Aigner /  Greenpeace warnt vor Schlick und Giftstoffen und veröffentlicht verdeckte Video-Aufnahmen der jüngsten Tests am Meeresboden.

Bereits von Mitte September bis Mitte November 2022 hatte das kanadische Bergbauunternehmen The Metals Company (TMC) mit dem Tiefseebergbauschiff «Hidden Gem» Tests durchgeführt, welche die Internationale Meeresbodenbehehörde ISA kurzfristig genehmigte. Auch die Schweizer Allseas beteiligte sich daran. Sie besitzt mehrere Spezialschiffe. Die Unternehmen TMC und Allseas würden über einen Lizenzzeitraum von dreissig Jahren einzigartige vielfältige Ökosysteme direkt am Meeresboden zerstören, befürchtet Greenpeace.

Das Testgebiet lag im Pazifik in der Clarion-Clipperton-Zone zwischen Mexiko und Hawaii. Wie irreversibel die Tiefsee zerstört wird, das zeigen vor allem verdeckte Aufnahmen: Zunächst saugen Planierraupen die obersten vier bis zehn Zentimeter des Meeresbodens auf. Dann filtern Maschinen die Manganknollen heraus, um sie anschliessend durch ein Steigrohrsystem an die Wasseroberfläche zu pumpen und an Land weiter zu verarbeiten. Insgesamt wurden auf einer Länge von achtzig Kilometern mehr als 3000 Tonnen metallhaltige Knollen eingesammelt.

16’000 Quadratkilometer Lebensraum sollen zerstört werden

Ende Juli will die ISA (International Seabed Authority) die ersten Extraktionslizenzen vergeben. Demnach dürfen grosse Bergbauunternehmen innerhalb eines Zeitraumes von dreissig Jahren rund 16’000 Quadratkilometer Meeresbodens zerstören, eine Fläche etwa so gross wie die Kantone Aargau, Bern, Luzern und Graubünden zusammen.

Mit der Entfernung der Manganknollen werden am Meeresboden vor allem die oberen Sedimentschichten zerstört. In diesem Bereich finden nicht nur wichtige biochemische Prozesse statt, er ist auch Lebensraum für die meisten Lebewesen und Mikroorganismen. Neben den vom Meeresboden abgesaugten Sedimenten werden die Produktionsabwässer mit Gesteinstrümmern direkt wieder ins Meer geleitet. Damit werde praktisch das gesamte Ökosystem im zerstört, warnen Greenpeace-Experten. Herab sinkender Schlick und Giftstoffe in den Abwässern kann die Lebewesen auch über das Abbaugebiet hinaus schädigen und ersticken.

Steigende Nachfrage macht den Abbau unter Wasser attraktiv

Die grössten Vorkommen von Manganknollen liegen in einer Tiefe zwischen 4000 und 6000 Metern. Im Rahmen des Programms MiningImpact hat ein Forschungsschiff auf der Expedition SO295 in den Explorationslizenzgebieten in der Clarion-Clipperton Zone im Nordpazifik Ende des vergangenen Jahres Versuche auf dem Meeresboden durchgeführt.

Dabei wurden die oberen vier bis zehn Zentimeter – die mit den Knollen bedeckte Zone des Meeresbodens – komplett entfernt. Aufgrund des abgestorbenen Planktons werde sich diese Schicht erst im Laufe von rund zehntausenden Jahren wieder aufbauen, erklärt Matthias Haeckel, Biogeochemiker am GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Zwar wurden die Vorkommen von Manganknollen bereits in den 1960er und 1970er Jahren von einigen Industrienationen als mögliche Rohstoffquellen erkannt, doch erst in den letzten Jahren liessen steigende Rohstoffpreise und eine wachsende Nachfrage nach seltenen Metallen die Pläne zum Abbau der Manganknollen am Tiefseeboden reifen.

Manganknollen strahlen hundert Mal stärker als erlaubt

Auch das gesundheitliche Risiko durch radioaktive Strahlung beim Abbau und der Verarbeitung der Manganknollen wurde bisher offenbar stark unterschätzt.

Wie eine neue Studie zur Radioaktivität von Manganknollen zeigt, ergeben sich potenzielle Gesundheitsgefahren für Menschen im Zusammenhang mit der Förderung und Verarbeitung von Manganknollen sowie der Nutzung der daraus gewonnenen Produkte, erklärt Professorin Sabine Kasten, Projektleiterin der MiningImpact-Vorhaben am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). Diese müssten bei weiteren Planungen dringend berücksichtigt werden.

So massen Wissenschaftler des AWI 2015 und 2019 die Radioaktivität in den Manganknollen in der Clarion-Clipperton-Zone. Die Ergebnisse veröffentlichten sie im Mai 2023 im Fachmagazin «Scientific Reports».

Bereits aus früheren Studien war bekannt, dass die äussere Schicht der Manganknollen natürliche radioaktive Stoffe wie Thorium-230 und Radium-226 enthält, die sie über lange Zeiträume aus dem Meerwasser anreichern, weiss die Biogeochemikerin Jessica Volz.

Neu ist die Erkenntnis, dass die äussere Schicht der extrem langsam wachsenden Knollen für bestimmte Alphastrahler Werte des Hundert- bis Tausendfachen einiger Grenzwerte erreichen, die im Rahmen von Strahlenschutzregelungen gelten. Für Radium-226 etwa konnte das AWI-Team Aktivitäten von über fünf Becquerel pro Gramm auf der Aussenseite der Manganknollen nachweisen. Zum Vergleich: Die deutsche Strahlenschutzverordnung sieht für eine uneingeschränkte Freigabe Höchstwerte von lediglich 0,01 Becquerel pro Gramm vor. Zudem war auch die Strahlungsintensität bei der Bildung des radioaktiven Edelgases Radon überraschend hoch. Wenn die Manganknollen verarbeitet werden, können beim Lagern in schlecht belüfteten Räumen gesundheitsschädigende Stäube entstehen. Das Einatmen von Staub kann menschliche Atmungsorgane schädigen oder Krebserkrankungen auslösen. Radioaktive Stoffe reichern sich auch in den verarbeiteten Produkten an. Ob alle Manganknollen in der Tiefsee solche Werte erreichen, ist unklar.

Mariner Bergbau gefährdet Muscheln, Wale, Tintenfische

Bis vor Kurzem glaubte man, dass die grossen Tiefsee-Ebenen im zentralen Pazifik nur dünn besiedelt seien. Doch Wissenschaftler des europäischen Projektes MiningImpact fanden heraus, dass die ökologische Vielfalt gerade dort gross ist, wo viele Manganknollen auf dem Meeresboden liegen. In den unwirtlichen, kalten Bedingungen entwickelten sich hunderttausende Arten – oft mit bizarrem Aussehen. Vom Tiefseebergbau akut gefährdet wären zum Beispiel Vampirtintenfische, Seefledermäuse, Seegurken und Tiefseekraken.

Auch Wale sind vom Tiefseebergbau bedroht. Das zeigt eine aktuelle Studie. So tauchen Pottwale in bis zu tausend Meter Tiefe, um Riesenkalmare zu jagen. Rund 30 Walarten und andere zahlreiche Arten wären vom Aussterben bedroht. Auch Kleinstlebewesen wie Mikroorganismen, Muscheln, Borstenwürmer leben am Meeresboden. Wenn die panzerähnlichen Maschinen beim Abbau der Knollen in der Tiefe lärmen, stört das zudem die Kommunikation zwischen erwachsenen Walen und ihren Kälbern erheblich und könnte deren Gesundheit gefährden. Zusätzlich würden Lärm, Vibrationen, Licht und Schiffe auch andere Tiefseearten verscheuchen. Bei Unfällen könnten Öle und andere giftige Stoffe in die Umwelt gelangen und sie verpesten.

Auf dem weichen schlammigen Tiefseeboden in mehr als 4000 Metern Tiefe sind die Manganknollen ein wichtiger Lebensraum für viele festsitzende Tiere wie etwa Muscheln oder Anemonen, oder davon abhängige Tierarten, die einen festen Untergrund zum Leben benötigen.

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Tiefseekrake «Casper» in über 4.000 Metern Tiefe.

«Wir dürfen nicht zerstören, was wir nicht verstehen!»

Bis sich diese Ökosysteme in der Clarion-Clipperton-Zone erholt haben, könnte es mehrere hundert Jahre dauern, erklärt Till Seidensticker von Greenpeace. Hier müsse das Vorsorgeprinzip gelten. Es dürfe keinen neuen Industriezweig geben, in dem Arbeitskräfte im Nordostpazifik für den Überkonsum einiger weniger reicher Staaten leiden müssen, so der Meeresexperte.

Werden die Abbaupläne in den Tiefen des Meeres umgesetzt, könnte dies den Lebensraum der dort lebenden Tiere zerstören, warnen auch 530 führende Wissenschaftler.

In einer aktuellen Petition appelliert Greenpeace an Robert Habeck, die Ausbeutung der Tiefsee zu stoppen. Bereits im Frühjahr 2021 protestierten Greenpeace-Aktivisten mit dem Schiff Rainbow Warrior bei Tests der Firma Global Seas Mineral Resources (GSR) gegen den Tiefseebergbau. Nachdem die deutsche Bundesregierung fünfzig Millionen Euro in den Tiefseebergbau investiert hatte, sprach sie sich zwar im November für eine «vorsorgende Pause» aus, blieb aber seither weitgehend untätig.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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