Replik und Duplik

Andreas Zumach hatte dargelegt, weshalb die Abspaltung des Kosovo nicht mit der Abspaltung des Donbas und der Krim verglichen werden kann. © tanjug

Ein Leser zu Andreas Zumach: «Zur Ukraine liegen Sie falsch»

Urs P. Gasche /  Die NATO habe gegen Serbien einen Angriffskrieg geführt, Russland aber habe auf einen Hilferuf im Donbas reagiert. Zumach kontert.

In einem Krieg sind viele verbreitete «Fakten» schwer nachzuprüfen und von beidseitiger Propaganda beeinflusst. Infosperber bemüht sich, Behauptungen und Halbwahrheiten von Fakten zu unterscheiden und die Quellen möglichst offenzulegen.

Beispielsweise legte der langjährige UNO-Korrespondent Andreas Zumach auf Infosperber dar, was den Krieg in der Ukraine vom Krieg gegen Serbien unterscheidet. Sein Artikel «Der westliche Doppelstandard rechtfertigt Russlands Krieg nicht» fand ein grosses Echo. Doch noch immer zitieren einzelne Kommentarschreibende die Abspaltung des Kosovo von Serbien, um die Abspaltung der Krim und des Donbas von der Ukraine zu rechtfertigen.

Infosperber-Leser Thomas R. Meyer aus Zürich, der sich bei Infosperber mit falscher Adresse registrierte, warf Andreas Zumach schlicht  «falsche» Tatsachen-Darstellungen vor. Als sein Kommentar nicht online ging, weil die Redaktion eine Stellungnahme des kritisierten Autors einholen wollte, schrieb Meyer einen Tag später verärgert:

«Mein absolut sachlicher und höflicher Kommentar zum Artikel von Herrn Zumach wurde offenbar gelöscht, weil die sorgfältige Argumentation Ihnen oder Herrn Zumach nicht passte. Niemand wurde beleidigt oder herabgesetzt. Ich finde das sehr bedenklich. Infosperber sollte klar darauf hinweisen, dass man keine Gegenargumente und keinen Widerspruch hören möchte. 

Die OSZE hat klar aufgezeigt, wie Kiev Anfang 2022 die achtjährige Bombardierung des Donbas eskalierte, siehe Grafik unten. Der Kosovo wurde von führenden westlichen Staaten anerkannt und der IGH (Internationaler Gerichtshof in Den Haag) hat das bestätigt, obwohl der Kosovo-Krieg auf bekannten Lügen beruhte und es dort keine Volksabstimmung gab. Auch Herr Zumach muss deshalb die wirkliche Abfolge verschweigen: Kiev bricht Minsk und bombardiert Donbas, Donbas erklärt sich unabhängig, Russland anerkennt Donbas und bittet Kiev aufzuhören, Kiev eskaliert Angriffe, Donbas bittet Russland schriftlich um Hilfe, Russland interveniert nach acht Jahren auf Basis von UNO-Charta Artikel 51. Der Fall ist völlig klar.»

Hier Meyers erster «absolut sachlicher» Kommentar:

«Herr Zumach liegt falsch:

1. Der Donbas-Krieg seit 2014/15 und die Verletzung der Minsk-Abkommen waren keineswegs zweiseitig. Das Minsk-Abkommen hätte den Donbas-Republiken Autonomie gegeben und wurde durch Kiev sabotiert. Die Bombardierungen fanden seit 2015 überwältigend durch Kiev statt.

2. Natürlich hat der IGH nicht die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, das ist Aufgabe der Staaten. Er hat bestätigt, dass die Anerkennung der Unabhängigkeit völkerrechtskonform war.

3. Der NATO-Krieg gegen Serbien war ein reiner Angriffskrieg, der auf lauter Lügen basierte (Racak-Massaker usw.). 

4. Ganz anders die russische Intervention im Donbas: Der Donbas wurde seit acht Jahren bombardiert. Die Republiken erklärten sich per Volksabstimmung unabhängig. Russland anerkannte diese Unabhängkeit 2022 und bat Kiev, die illegalen Angriffe einzustellen. Die Ukraine eskalierte weiter. Russland reagierte schliesslich auf einen schriftlichen Hilferuf der Republiken (UNO-Charta Art. 51).

Explosionen im Donbas
Dokumentierte Explosionen im Donbas

Stellungnahme des kritisierten Autors Andreas Zumach

Andreas Zumach 400
Andreas Zumach

Für Widerspruch und Gegenargumente bin ich – wenn sie serös sind – sehr empfänglich und setze mich gerne damit auseinander. Doch Herr Meyer übernimmt mit seinen angeblich «absolut sachlichen» Ausführungen in seinem Kommentar zu meinem Artikel sowie in seiner Mail an die Redaktion die Propaganda der Regierung Putin zur Rechtfertigung ihres völkerrechtswidrigen Angriffskrieges gegen die Ukraine. 

Meyers Behauptungen zur «wirklichen Abfolge der Ereignisse» (deren «Verschweigen» er mir vorhält) sind sachlich falsch und unbelegt, und er zieht aus seinen Behauptungen falsche Schlussfolgerungen. Fakten, die nicht in das Propagandabild passen, verschweigt er. Zudem erwecken einige von Meyers Ausführungen den Eindruck, dass er Teile meines von ihm kommentierten Artikels und den darin verlinkten Belegtext offensichtlich gar nicht gelesen hat. Wie «absolut höflich» das gegenüber einem Autor ist, lasse ich einmal dahingestellt.

1) Meyer: «Donbas erklärt sich unabhängig […] UNO-Charta-Artikel 51»

Falsch. Nicht der gesamte, aus den beiden Oblasten Luhans und Donezk bestehende Donbas hat sich für «unabhängig erklärt». Die Ausrufung «unabhängiger Teilrepubliken» erfolgte lediglich in denjenigen Regionen des Donbas, die russisch-stämmige Sezessionisten seit April 2014 mit Hilfe militärischer Unterstützung aus Russland unter ihre Kontrolle gebracht hatten. Grundlage für die «Unabhängigkeitserklärung» war das Referendum über eine künftige staatliche Autonomie, das am 11. Mai 2014 in diesen Regionen der beiden Oblaste stattfand. 

Dieses Referendum wurde allerdings nicht von der UNO und/oder der OSZE angesetzt, vorbereitet, durchgeführt, überwacht und ausgezählt, sondern von den russisch-stämmigen Sezessionisten. Schon allein aus diesem Grund war dieses Referendum ein Verstoss gegen die ukrainische Verfassung und völkerrechtlich illegal. Das hat die OSZE damals festgestellt. Sowohl Vorbereitung als auch Durchführung entsprachen laut OSZE noch weniger den internationalen Standards als schon das von Russland organisierte Referendum auf der Krim vom März 2014, das der Regierung Putin zur Rechtfertigung ihrer völkerrechtswidrigen Annexion der ukrainischen Schwarzmeerhalbinsel diente.

Zudem wurde nach Feststellung der OSZE durch Gewalttaten der russisch-stämmigen Sezessionisten in den Wochen vor dem Referendum vom 11. Mai 2014 ein Klima der Bedrohung, Einschüchterung und Angst geschaffen, unter dem eine freie, unabhängige Stimmabgabe nicht mehr möglich war.

Schliesslich war das von den Sezessionisten verkündete Ergebnis eine noch stärkere Fälschung als das von der Regierung Putin verkündete Ergebnis des Referendums auf der Krim.  

Ende April 2014 veröffentlichte der Russische Menschenrechtsrat – der im Präsidialbüro von Putin angesiedelt ist! – einen Bericht über «Probleme der Krimbevölkerung». Laut dem Bericht haben beim Referendum über den Status der Krim nur 50 bis 60 Prozent der Wähler für den Beitritt zu Russland gestimmt, bei einer Wahlbeteiligung von 30 bis 50 Prozent, während dem offiziellen, von der Regierung Putin verkündeten Ergebnis zufolge 95,5 Prozent der abgegebenen Stimmen für den Beitritt waren – bei einer Wahlbeteiligung von 82 Prozent.

Aus all diesen Gründen gab und gibt es die von Meyer behauptete völkerrechtlich anerkannte Staatlichkeit der beiden «unabhängigen Teilrepubliken» nicht. Die «Anerkennung» dieser «unabhängigen Teilrepubliken» durch die Regierung Putin ändert an dieser Sachlage nichts. 

Daher gibt es auch nicht die von Meyer behauptete völkerrechtliche Grundlage für Russlands am 24. Februar 2022 begonnen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Meyer verschweigt, dass das militärische Eingreifen Russlands bereits im Mai 2014 in vielfältiger Weise begonnen hatte mit der Unterstützung der russisch-stämmigen Sezessionisten durch Waffen, reguläre russische Soldaten, irregulären Milizen, militärischer Aufklärung etc. 

Meyers Berufung auf Artikel 51 der UNO-Charta ist falsch. Dieser Artikel regelt ausschliesslich das Recht völkerrechtlich anerkannter Staaten auf militärische Selbstverteidigung gegen einen Angriff von aussen.   

2) Meyer: «Trotzdem haben führende westliche Staaten die Unabhängigkeit des Kosovo anerkannt, und der IGH hat das bestätigt/gutgeheissen.»

Falsch. Der IGH hat das weder «bestätigt» noch «gutgeheissen». In meinem Artikel hatte ich geschrieben (und durch einen Link zur Stellungnahme eines Völkerrechtlers zusätzlich erläutert), dass sich der IGH überhaupt nicht zum völkerrechtlichen Status des Kosovo geäussert hat. Er hat sich auch nicht zu diesbezüglichen Positionen westlicher Staaten geäussert. Sondern der IGH hat lediglich auf Bitten der UNO-Generalversammlung in einem Rechtsgutachten, das völkerrechtlich nicht verbindlich ist, festgestellt, dass «die einseitige Unabhängigkeitserklärung durch die Provisorischen Institutionen der Selbstverwaltung des Kosovo» nicht gegen das Völkerrecht und gegen die Resolution 1244 des UNO-Sicherheitsrates verstosse. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Hat Herr Meyer diesen Unterschied nicht verstanden? Oder hat er diese Passage meines Artikel und die verlinkte Erläuterung gar nicht gelesen?

3) Meyer: «Kiev bricht Minsk – Acht Jahre Bombardierung des Donbas mit tausenden Toten.»

«Kiev bricht Minsk» – das stimmt. Das hatte ich auch in meinem Artikel geschrieben. Doch indem Meyer die andere Hälfte der Fakten verschweigt, nutzt er diesen Satz als Versuch zur Rechtfertigung von Russlands Krieg gegen die Ukraine. Ich wiederhole, was ich in meinem Artikel geschrieben hatte auf Basis der Beobachterberichte der Sonderbeobachtungsmission (Spezial Monitoring Mission, SMM) der OSZE, die vom Herbst 2014 bis zum russischen Überfall im Februar 2022 auf beiden Seiten der Frontlinien im Donbas stationiert war:

 «Die Beobachterberichte der OSZE belegen, dass bis zur russischen Invasion beide Seiten etwa gleich stark beteiligt waren an kriegerischer Gewalt, Verstössen gegen das humanitäre Völkerrecht sowie am Nichteinhalten beziehungsweise Nichtumsetzen der Abkommen Minsk 1+2. Auch die Zahl der Opfer war laut OSZE auf beiden Seiten etwa gleich hoch.»

Daher beschreibt auch Meyers Satz «Acht Jahre Bombardierung des Donbas mit tausenden Toten.» nur einen Teil der Wahrheit und gerät zur einseitigen Propaganda.

4) Meyer: «Die OSZE hat klar aufgezeigt, wie Kiev Anfang 2022 die achtjährige Bombardierung des Donbas eskalierte, siehe Grafik unten.»

In den Tagesberichten der OSZE-Mission von Anfang 2022 (1. Januar bis 23. Februar) findet sich keinerlei Beleg für diese Behauptung Meyers. Die von ihm übermittelte Grafik hat keine Quelle. Sie beweist überhaupt nichts. Die Kurven der Graphik zeigten lediglich die Zahlen der von der OSZE registrierten «Explosionen» in den Oblasten Luhansk und Donetsk im Zeitraum Januar 2019 bis Januar 2022. Aus der Grafik ist nicht ersichtlich

  • um was für «Explosionen» es sich handelte (ob durch Bomben, Raketen, Artilleriegeschosse, Minen etc.);
  • auf welcher Seite der Frontlinien diese Explosionen stattfanden;
  • ob ukrainische Regierungsstreitkräfte oder russischstämmige Sezessionisten bzw. ihre militärischen Unterstützer aus Russland für diese Explosionen verantwortlich waren.

Und selbst  wenn  Meyers Behauptung («Kiev eskalierte Anfang 2022 die  achtjährige Bombardierung des Donbas») zutreffen sollte, ergäbe sich daraus keinerlei Rechtfertigung für Russlands Überfall auf die Ukraine (siehe oben).

Der Fall und die Fakten sind völlig klar. Russland hat(te) weder eine Schutzverantwortung für die russisch-stämmigen Menschen im Donbas noch die völkerrechtliche Befugnis für sein militärisches Eingreifen – genauso wenig wie die NATO 1999 im Kosovo-Konflikt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Ukraine zwischen Ost und West: Jetzt von Russland angegriffen

Die Ukraine wird Opfer geopolitischer Interessen. Die Nato wollte näher an Russland. Seit dem 24.2.2022 führt Russland einen Angriffskrieg.

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KRIM Annexion oder Selbstbestimmung

Der Volkswille auf der Krim zählt nicht, weil die Ukraine an die Volksabstimmung nicht gebunden ist.

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