Stadt Zürich im Abbruchfieber
Red. Der Autor ist pensionierter Architekt. Er engagiert sich auch in einer Entwicklungshilfeorganisation, dem Friedensrat und der GSOA.
Die Schweiz soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Über die geplanten Massnahmen, die dazu notwendig sind, wird am 18. Juni abgestimmt. Doch nach dieser Abstimmung darf nicht vergessen werden: Der Erhalt von bestehenden Bauten ist ebenfalls ein wichtiger Punkt, Netto-Null CO2-Emissionen im Bausektor zu erreichen. Der Architekt Horst Eisterer und der Ingenieur Norbert C. Novotny, haben sich eingehend mit Fragen der Nachhaltigkeit im Sektor Bauen auseinandergesetzt. Rund die Hälfte der CO2-Emissionen eines Gebäudes über die ganze Lebensdauer wird verbraucht für die Produktion der Rohstoffe und der Bauteile, für den Bau, den Transport der Materialien und die Entsorgung. Trotzdem werden noch immer viele gut erhaltene und auch architektonisch wertvolle Bauten abgebrochen. Insbesondere in Zürich, wo gleich mehrere Gebäude auf der «Abriss-Liste» stehen.
1. Bernhard-Theater neben dem Opernhaus Zürich, Baujahr 1984
Das Bernhard-Theater in Zürich wurde 1984 nach Plänen des Architekten Claude Paillard gebaut. Paillard hat das Bernhard-Theater mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis ins Detail gestaltet. Der niedrige, zurückhaltende Baukörper passt gut zum dominanten Opernhaus. Seine auffällige rötliche Farbe trug dem Gebäude den etwas abschätzigen Spitznamen «Fleischkäse» ein. Darin befinden sich das Bernhard-Theater, Gastronomie, Probebühnen und andere Räumlichkeiten des Opernhauses.
Weil das Zürcher Opernhaus mehr Raum braucht, plant es einen grossen Umbau. Wie die Bauprofile zeigen, könnte der Erweiterungsbau mit dem Bernhard-Theater im hinteren Teil aufgestockt werden. Doch auch ein Abriss mit Neubau stehen zur Diskussion. Der Zürcher Architekt Walter Wäschle fordert schon seit Jahren, der «Fleischkäse» müsse weg – zumal der Bau nicht unter Schutz stehe. Das flache Gebäude neben dem Opernhaus sei ein störender Fremdkörper an prominenter Lage, sagte er dem «Tages-Anzeiger». Wäschles Vorschlag: Als Ersatz soll neben dem Opernhaus ein viergeschossiger Neubau entstehen, damit der Sechseläutenplatz eine «homogene Front und einen klaren Abschluss» erhält.
Gegen diese Idee ist einzuwenden: Durch ein vierstöckiges Gebäude am Utoquai würde das Opernhaus seine beherrschende Stellung am Sechseläuteplatz verlieren, vom Bellevue und auch vom See aus gesehen.
2. Hallenbad Zürich-Oerlikon, Baujahr 1978
Das Hallenbad Zürich-Oerlikon soll abgebrochen und auf der anderen Seite der Wallisellenstrasse neu gebaut werden. Besser wäre jedoch, das heutige Hallenbad in Zürich-Oerlikon zu sanieren, wie man das schon mehrere Male mit dem Hallenbad in der City Zürichs gemacht hat, das 1941 gebaut wurde. Interessant beim Hallenbad City: Man baute schon damals eine Wärmepumpe ein, gespiesen mit Wasser aus dem Schanzengraben.
3. Mensa Uni Irchel, Baujahr 1979
Der Mensa der Uni Irchel in Zürich droht ebenfalls der Abbruch. An Stelle der Mensa soll ein 60 Meter hohes Hochhaus errichtet werden.
4. Brunaupark in Zürich, Baujahr 1977-1982 und später
Die Pensionskasse der Credit-Suisse plant, im Brunaupark in Zürich ihre Siedlung mit 400 Wohnungen abzubrechen. Ein Teil der Überbauung ist erst 27 respektive 30 Jahre alt. Die Pensionskasse will ihre Rendite durch einen Neubau optimieren.
5. Gartenstadt Schwamendingen in Zürich
Die Gartenstadt Schwamendingen in Zürich, die der Architekt A. H. Steiner nach dem Zweiten Weltkrieg konzipiert hat, soll Schritt für Schritt erneuert und verdichtet bebaut werden. Familienfreundliche Siedlungen werden dabei zerstört. Mit dem Bau von grossen Wohnkasernen sinkt die Lebensqualität – vor allem für Kinder.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Danke für diesen Bericht, Herr Frei. Ich beobachte das Neubauen auch mit kritischem Auge. Einerseits aus den im Text bereits genannten Gründen, andererseits auch weil heute nicht mehr nachhaltig gebaut wird. Wenn die Neubauten wenigstens wieder für Lebensdauern von mehreren hundert Jahren konzipiert würden, so wie das früher gemacht wurde (man denke an alle alten Gebäude unserer Altstädte), anstatt nur für 50-100 Jahre.
Zudem geht mit jedem Abriss – ob ein Gebäude einem nun gefällt oder nicht – ein Stück Geschichte verloren. Es gab ja immer Gründe, weshalb zu einer Zeit so gebaut wurde, wie wir’s heute sehen. So werden auch unsere «Schnellbauten» der heutigen Zeit in die Geschichte eingehen. Schneller, höher und mehr, und das möglichst günstig. Es ist Zeit für einen Bau-Wandel.
Zu den von Herrn Frei aufgeführten Beispielen sind 8 städtische Wohnsiedlungen zum Abbruch vorgesehen. Architekten, die bei Wettbewerben Bausubstanz erhalten und transformatorische Vorschläge machen, werden ausgeschlossen (Beispiel Siedlung Salzweg). Der Gemeinderat schaut schweigend zu und müsste schon lange eine Um-Bauordnung fordern.