80 Prozent der ausländischen Rentner verlassen die Schweiz
Red. – Josef Hunkeler, der Autor dieses Beitrags, arbeitete bis zu seiner Pensionierung jahrelang für den Eidgenössischen Preisüberwacher. Er ist einer der wenigen unabhängigen Pensionskassen-Spezialisten. Für Infosperber analysierte er die Zahlen des Bundesamts für Statistik zu den Pensionskassen für das Jahr 2021.
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In der Diskussion um die AHV und die «2. Säule» gibt immer wieder die «Alterung» der Gesellschaft zu reden. Gemeint ist dabei das Verhältnis von «aktiven» Beitragszahlern zu berenteten Personen. Ein immer kleinerer Anteil Beitragszahler müsse immer mehr Rentnerinnen und Rentner finanzieren, heisst es. Deshalb müssten die Renten auf Dauer gekürzt oder der Umwandlungssatz gesenkt werden. Doch diese Unkenrufe sind wohl eher politisch motiviert als sachlich begründet, wie die folgende Auswertung zeigt.
Das Argument der Überalterung hat im Zusammenhang mit der im Umlageverfahren finanzierten AHV eine gewisse Berechtigung. Im Bereich der kapitalisierten «2. Säule» dagegen stimmt es nicht, denn das Verhältnis zwischen aktiven Versicherten und Rentnern (der sogenannte Altersquotient) hat sich dort seit 2004 nur unwesentlich verändert. Der Grund: Viele bereits berentete Personen haben bei der Pensionierung die Möglichkeit des «opt-out» gewählt und sich ihr angespartes Alterskapital auszahlen lassen. Damit übernahmen sie auch das «Altersrisiko» selbst. Sie müssen selbst sehen, wie sie mit ihrem ausbezahlten Pensionskassengeld über die Runden kommen. Für die Renten dieser Menschen gibt es keine «Nachschusspflicht» zu Lasten der jüngeren Generationen.
Der Altersquotient in der AHV
Bei der AHV werden die laufenden Renten durch die laufenden Beiträge der «aktiven» Versicherten finanziert. Dadurch ist das System von der Entwicklung der Bevölkerungsstruktur abhängig. Wenn die «Baby-Boomer» das Rentenalter erreichen, erhöht sich die Anzahl der Renten, welche durch die jüngere Generation finanziert werden muss.
Das Schweizer System enthält aber eine Besonderheit: Die Beiträge zur AHV werden auf der Basis der ganzen Lohnsumme berechnet, die Leistungen hingegen auf eine Limite von etwas über 88’000 Franken gedeckelt. Dieser Mechanismus bewirkt, dass Personen mit hohem Einkommen grössere Solidaritätsbeiträge bezahlen als Personen mit tiefem Einkommen. Dies reduziert das Finanzierungsproblem des ganzen Konstruktes. Auch die Deckelung der Ehepaarrente auf 150 Prozent der Maximalrente trägt zu dieser Solidarfinanzierung bei.
Das Verhältnis von aktiven AHV-Versicherten zu AHV-Berenteten beträgt in der ständigen Schweizer Bevölkerung durchschnittlich 32 Prozent. Das heisst: Auf etwa 3,1 «aktiv» Versicherte kommt ein Rentner oder eine Rentnerin. Für die Schweizerinnen und Schweizer liegt der Altersquotient mit 40,4 Prozent gut dreimal höher als für die in der Schweiz ansässige ausländische Bevölkerung mit 12 Prozent. Bei der Schweizer Bevölkerung sind es demnach 2,5 «Aktive» pro Rentner oder Rentnerin, bei den «Gastarbeitern» hingegen kommen auf eine (in der Schweiz) berentete Person 8,5 «Aktive». Die folgende Grafik zeigt die historische Entwicklung des Altersquotienten.
Insgesamt leben circa 30 Prozent der AHV-Rentner im Ausland. Von den Schweizerinnen und Schweizern betrifft dies etwa eine von 13 Personen. Vor allem Ausländer kehren der Schweiz den Rücken, wenn sie berentet sind: Vier von fünf ausländischen AHV-Bezügern leben im Ausland. Die Kosten dieser Renten im Ausland machen aber nur etwas über 13 Prozent der effektiven Rentenkosten aus. Die folgende Grafik zeigt das Altersverhältnis der aktuell in der Schweiz lebenden Ausländer.
Der Altersquotient in der «2. Säule»
Im kapitalbasierten System der «2. Säule» wird grundsätzlich nichts umverteilt, da die Renten oder Kapitalleistungen im Wesentlichen aus den (zwangsweise) angesparten Beiträgen bezahlt werden.
Eine solidarische Finanzierung der «2. Säule» erfolgt nur, wenn die Renten mit dem angesparten Kapital oder den Anlageerträgen nicht voll finanziert werden können. Dies wäre der Fall, wenn die Alterung ungenügend vorausgesehen wird, wenn das Kapital entwertet wird oder wenn das Anlagemanagement schlecht ist. Dann ist es denkbar, dass das Altersrisiko solidarisch durch die Folgegeneration – quasi im impliziten Umlageverfahren – mit Nachschüssen mitfinanziert werden müsste.
Im Bereich der «2. Säule» können die Versicherten das Altersrisiko selbst übernehmen, indem sie beim Eintritt ins Pensionsalter eine Kapitalauszahlung anstelle der Rentenzahlung wählen. Seit 2004 haben rund 1,6 Millionen Menschen diese Option gewählt, das sind über 30 Prozent mehr als diejenigen, die sich die «2. Säule» als Rente auszahlen lassen.
Diese Rentnerinnen und Rentner haben das Altersrisiko damit selbst übernommen. Die «2. Säule» gewinnt dadurch eine weitgehende finanzielle Unabhängigkeit. Die Gefahr, dass die aktiven Versicherten etwas werden «nachschiessen» müssen, ist folglich eher klein. Der effektive Altersquotient im Bereich der 2. Säule stieg von 26,4 auf 27,5 Prozent, ist also wesentlich tiefer als die demographischen Daten dies vermuten lassen. Entsprechend kam 2004 auf insgesamt 3,8 «Aktive» ein Rentner, 2021 lag dieser Wert bei 3,6.
Von einer Überalterung der Versicherten und einem Finanzierungsproblem – wie es aktuell in Frankreich diskutiert wird – kann im Zusammenhang mit der kapitalfinanzierten «2. Säule» in der Schweiz also kaum die Rede sein. Die Schweizer Pensionskassen stehen deutlich besser da, als es die – demographisch begründeten – Unkenrufe vermuten lassen.
Signifikante Unterschiede gibt es allerdings je nach der Rechtsform der einzelnen Vorsorgeeinrichtungen. Bei öffentlich-rechtlichen Pensionskassen ist der durchschnittliche Altersquotient deutlich höher als bei privatrechtlichen Institutionen. Das widerspiegelt möglicherweise den höheren Anteil an ausländischen Fachkräften in privat-rechtlichen Pensionskassen, die nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses aus der Schweiz ausreisen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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«Signifikante Unterschiede gibt es allerdings je nach der Rechtsform der einzelnen Vorsorgeeinrichtungen. Bei öffentlich-rechtlichen Pensionskassen ist der durchschnittliche Altersquotient deutlich höher als bei privatrechtlichen Institutionen. Das widerspiegelt möglicherweise den höheren Anteil an ausländischen Fachkräften in privat-rechtlichen Pensionskassen, die nach Ende ihres Arbeitsverhältnisses aus der Schweiz ausreisen.»
Ich vermute eher, dass es sich hier um einen «moral hazard» handelt. Da der Staat nicht Konkurs geht und auch nicht fusioniert, wird davon ausgegangen, dass auch die Pensionskasse auf immer und ewig bestehen bleibt. Deshalb ist die Versuchung hoch, eine Unterdeckung zu akzeptieren oder zu grosszügige Leistungen auszurichten. Im Notfall ist ja der Steuerzahler da, der der Kasse aus der Patsche hilft. Die Bernische Lehrerpensionskasse ist hier nur eines von vielen Beispielen.
Der «Altersquotient» zeigt nur die zahlenmässige Relation zw. «aktiven» und Rentnern, hat also nichts mit den Finanzen zu tun. Eine relativ grosse Zahl Rentner bedeutet also bloss, dass die betroffenen Unternehmen schon sehr lange bestehen, oder dass nur wenige der Versicherten bei der Pensionierung die Kapitalauszahlung gewählt haben.
Die Frage der «Unterdeckung», das Sie ansprechen, ist davon nicht betroffen.