Hände weg von «Easy-Ride»!
«Möchten Sie sich bei Ihren Fahrten mit Bus, Tram, Zug oder Schiff nicht mehr um Billette kümmern, sondern einfach einsteigen und losfahren?», fragen die SBB auf ihrer Website. Und weiter: «Sogar ohne vorher festlegen zu müssen, wohin die Reise gehen soll?»
Die Lösung laut SBB: «Easy-Ride» auf dem Smartphone. «Sie checken vor der Reise mit einem Wisch ein und nach der Fahrt mit einem Wisch aus. Und am Ende des Tages berechnet ‹Easy-Ride› den besten Preis für Sie.»
Unterschiedliche Ortungsdaten
So weit die Theorie. Die Praxis sieht anders aus. Das zeigte der «Kassensturz». Die Fernsehsendung präsentierte zwei Fälle. Im einen reiste ein Ehepaar gemeinsam von Tirano (I) nach Winterthur ZH. Beide nutzten «Easy-Ride». Die SBB stellten der Frau nach der Reise 52.30 Franken in Rechnung, dem Mann für die gleiche Fahrt 75 Franken.
Immerhin: Auf seine Reklamation hin bekam er die Differenz zurück. Die SBB schrieben zunächst lapidar, der Grund für die Differenz sei «ein technisches Problem» gewesen. Erst auf Nachfrage erklärten sie, die Ortungsdaten der beiden Smartphones seien unterschiedlich gewesen.
Kein QR-Code
Im anderen Fall checkte eine Passagierin korrekt ein, doch das Smartphone zeigte keinen QR-Code. Deshalb büsste sie der Kondukteur mit 100 Franken. Die Frau reklamierte mehrmals. Zunächst hielten die SBB an der Busse fest. Dann reduzierten sie diese auf 40 Franken. Und am Schluss erliessen sie die Busse ganz.
«Langsam hinuntergehen und den Zug nehmen»
Im anschliessenden Interview ging Moderatorin Bettina Ramseier nicht mit der nötigen Härte vor. Aber mit seinen Antworten machte Sayanthan Jeyakumar, Leiter von SBB-Mobile, gleich selber klar, wie unausgereift «Easy-Ride» ist:
- Ramseier fragt: «Muss ich jedes Mal kontrollieren, ob der Preis stimmt?» Jeyakumar antwortet ausweichend: «Wir wissen, dass unsere Kunden sehr genau auf die Abrechnungen schauen und es uns melden, wenn etwas nicht ganz korrekt lief.» Infosperber fragt: Woher weiss er das? «Easy-Ride» ist für Leute gedacht, die sich nicht um Billette und Preise kümmern wollen. Die meisten werden den Preis nicht kontrollieren. Die SBB werben ja: «Einfach einchecken, losfahren und unbesorgt reisen.»
- Ramseier fragt: «Sie versprechen, mit ‹Easy-Ride› erhalte man das günstigste Billett. Versprechen Sie nicht zu viel?» Jeyakumar weicht wieder aus: «‹Easy-Ride› ist sehr erfolgreich. Pro Monat werden 2,5 Millionen Fahrten mit ‹Easy-Ride› gemacht. Und wir haben rund 0,5 Prozent Rückerstattungen.» Infosperber rechnet: Das sind 150’000 Rückerstattungen pro Jahr oder 410 pro Tag. Wie wollen die SBB die Reklamationen seriös bearbeiten? Und wie hoch ist wohl die Zahl derjenigen, die zu viel zahlen, es aber nicht merken und deshalb gar nicht reklamieren?
- Jeyakumar sagt: «Die Meldungen, die bei uns eintreffen, dienen zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Systems.» Infosperber findet: Hoffentlich auch! Richtig wäre, wenn die SBB die Nutzer dafür belohnen würden, dass sie sich als Versuchskaninchen für ein unausgereiftes System hergeben — statt sie mit zu hohen Rechungen und mit Bussen zu bestrafen.
- Ramseier hört nur noch zu. Jeyakumar wirbt: «‹Easy-Ride› ist sehr, sehr neu. Wir sind damit Ende 2019 gestartet. Es ist eine sehr technische und innovative Lösung.» Er sagt, die SBB seien froh, wenn sich die Kunden melden würden, wenn etwas nicht funktioniert. Denn: «Wir sind sehr darauf bedacht, zu verstehen, wie das Ganze funktioniert.» Infosperber meint: Es wäre gut, wenn die SBB das System schon vor der Lancierung verstanden hätten.
- Ramseier fragt: «In unterirdischen Bahnhöfen funktioniert ‹Easy-Ride› unter Umständen nicht?» Jeyakumar antwortet: «In unterirdischen Bahnhöfen ist es so – stellen sie sich vor, sie seien mit dem Navigationsgerät im Auto unterwegs. Sie fahren in einen Tunnel. Dann kann es vorkommen, dass sie kurz das Signal verlieren.» Infosperber findet: Beim Navigationssystem ist das kein Problem. Im Tunnel hat es ja keine Abzweigungen. Und das Navigationsgerät errechnet keinen falschen Preis. «Easy-Ride» schon.
- Jeyakumar fährt fort: «Hier in Zürich sind im zweiten Untergeschoss die Signalstärken sehr schlecht und damit auch die Empfangsdaten. Da empfiehlt es sich, an der Oberfläche einzuchecken, dann langsam hinunterzugehen und den Zug zu nehmen.» Infosperber dankt: Gut zu wissen. Fragt sich aber: Ist es das, was die SBB unter «einfach einchecken» verstehen?
- Jeyakumar verspricht: «Dann funktioniert es meistens auch.» Ramseier lacht: «Meistens.» Jeyakumar lacht auch. Er muss ja die Bussen, die das Personal den Passagieren aufbrummt, nicht bezahlen.
- Ramseier fragt: «Gewisse Spezialtickets erkennt ‹Easy-Ride› noch nicht. Können Sie sagen, welches die wichtigsten Ausnahmen sind, wo es nicht funktioniert?» Jeyakumar antwortet: «24-Stunden-Tageskarten, Abonnemente und Sparbillette, die man im Voraus kaufen muss, kommen bei ‹Easy-Ride› nicht zur Anwendung.»
Infosperber folgert: Das Versprechen der SBB – «Und am Ende des Tages berechnet ‹Easy-Ride› den besten Preis für Sie» – ist eine glatte Lüge.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Mal abgesehen davon, dass für Easy-Ride permanent detaillierte Bewegungsdaten des Kunden erfasst werden müssen (Datenschutz dieser gesammelten Daten?) , lassen moderne Smartphones mir die persönliche Wahl, ob und wann eine App (also auch Easy Ride) auf meinen aktuellen Standort zugreifen kann.
Ich nehme an, dass die beiden (gleichen) Smartphones des Paars im ersten Beispiel unterschiedlich eingestellt waren, womöglich ohne Kenntnis der Eigner. Somit erhielt die SBB von den beiden unterschiedliche Angaben zur Reise. Und schon ist das Malheur perfekt!
Danke für den Bericht. Das Ganze ist auch in der Mediathek von SRF nachzusehen. Und bitte spart emotional aufgeladene Wörter wie «erschütternd».
Ärgerlich und kritikwürdig sind die Pannen der SBB aber erschüttern tun mich die Ereignisse in den Kriegs- und Katastrophengebieten.
Peinlich, was für ein unausgegorenes System da die SBB auf ihre Kunden loslassen!
Die Grundidee wäre ja sehr gut: Man bezahlt genau die Strecke, die man gefahren ist. Aber leider ist es im IT-Bereich üblich, unfertige und fehlerhafte Produkte auf den Markt zu werfen und dann mithilfe der Kunden die gröbsten Schnitzer zu beheben. Leider kommt dann meist schon die nächste Version mit ein paar neuen, meist überflüssigen Funktionen, bevor die alte ein ordentliches Qualitätsniveau erreicht hat.
Wir fahren stets mit EasyRide und kontrollieren die verrechneten Preise über den Daumen. Wir schätzen diesen Dienst und finden die Schlagzeile reisserisch und übertrieben. Muss denn immer auf Teufel komm raus etwas skandalisiert werden? Ein sachlich trockener Bericht wäre angemessen.
Wenn die SBB täglich allein wegen Easy-Ride über 400 Rückerstattungen vornehmen müssen, weil das System Fehler macht — dann muss man nichts skandaliseren. Dann ist das ein Skandal für einen Staatsbetrieb.
Ich nutze für Reisen in der Schweiz FAIRTIQ.com und bin sehr zufrieden damit.
hallo herr studer.
«fairtig» ist die gleiche technologie, welche von der sbb als easyride eingesetzt wird.
die firma … fairtiq … lässt normalerweise auch keine gelegenheit aus, um dies im eigen-marketing hervorzuheben. wahrscheinlich mögen sie keine negativen schlagzeilen, wenn einmal etwas nicht funktioniert. dann soll die sbb alleine «an die front» um solche vorfälle die mehr als berechtigt kritisiert werden, zu kaschieren. warum eigentlich?
anzumerken ist auch dass fairtig auf ihrer website stolz behauptet, dass ihre lösung ausschliesslich GPS signale benötigt um absolut und dauerhaft korrekte abrechnungen durchzuführen. andere signale ( BLE. Bluetooth etc.) werden von fairtiq als unnötige infrastruktur angesehen und abgelehnt.
dass diese falsche & merkwürdige einstellung als technologieanbieter sehr ungewöhnlich und unzureichend ist, zeigt sich nun in den vorfällen und defiziten.
der sbb ansatz stimmt – die plattform ist fragwürdig – gerade bei steigenden nutzerzahlen.
Die SBB war traditionell ganz schlecht bei der Digitalisierung. Am Ticketautomat konnte ich nie ein Billett kaufen, weil ich nicht wusste, was eine «Tarifzone» ist. Von Easy Ride bin ich begeistert. Das ist echt kundenfreundlich, und zwar auch für Kunden, die nicht Informatik studiert haben. Dass es gewisse Kinderkrankheiten hat, ist nicht überraschend, denn es ist eine sehr ausgeklügelte Applikation. Meine Empfehlung an die SBB: Weiter so, bei Mängeln kulant sein, und weiter perfektionieren. 100% gibt es halt nicht, auch nicht bei SRF.
Es ist eine Frechheit, wenn die SBB bei Rückerstattungen CHF 10 abzieht, wenn aber sie selber Mist bauen und ich Aufwand habe, bekomme ich nichts. Ich habe genug davon, für die SBB gratis das nicht richtig funktionierende System zu testen. Ich soll nach deren Meinung im HB ZH den Zug vor der Nase fahren lassen und wieder an die frische Luft gehen, damit der Easy-Checkin funktioniert. Vergisst man das Auschecken, werden einfach Fantasie-Fahrstrecken angenommen und entsprechende Preise berechnet. Gerade wenn man noch schnell einen Zug erwischen könnte, nützt Easy überhaupt nichts. Man muss vor der Abfahrt ein Ticket gelöst haben. In gewissen Bussen kann man allerdings während der Fahrt Tickets lösen, aber nur mit Bargeld. Warum wird man mit Easy-Ride schlechter behandelt? Die Sache ist unausgegoren. Dafür stehen bald Preiserhöhungen an. Kundenservice miserabel!
Das ist wieder so eine Schlechtmache: EasyRide hat für mich seit 2020 – vorher hatte ich ein GA 1. Klasse, mir einer Ausnahme einwandfrei funktioniert und ich habe damit gegenüber dem GA viel Geld gespart, ohne auf die Bequemlichkeit des GA‘s verzichten zu müssen. Betreffend die Ausnahme habe ich die Differenz des zu viel verrechneten Betrages anstandslos zurückbekomme. Ich habe die berechneten Kosten mehrmals nachgerechnet: es hat immer gestimmt, es war immer das günstigste Angebot. Was wollen Sie mit einer solchen Schreibe erreichen? Dass weniger Leute den öV benützen? Von wem werden Sie für solche Beiträge entschädigt.
Nein, ich will nicht erreichen, dass weniger Leute den ÖV benützen. Ich will zeigen, dass das System kolossale Schwächen hat. Schwächen, welche schlimmstenfalls den Leuten den ÖV verleiden.
Ich fand die SBB noch nie so «Un-Easy» wie heute. Aus meiner Sicht untergraben die SBB den ÖV, zwingen Menschen wie mich auf die Strasse (statt Schiene). Ich finde das umweltunfreundlich. Warum sehe ich keine Gegenwehr, kein Aufgleisen von Korrekturen, seitens Parteien wie SP/Grünen? Ich reklamiere seit Jahren gegen die SBB.
https://www.infosperber.ch/wirtschaft/konsum/sbb-bestrafen-zweitklass-gaeste-anstatt-ihr-angebot-anzupassen/
https://www.infosperber.ch/freiheit-recht/kulanz-bei-den-sbb/