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Blablabla © suju-foto

Desaster im Intrigantenstadl

Rainer Stadler /  Medienleute demontieren ihre Branche – durch peinliche gegenseitige Bezichtigungen. Selbstkritik wäre etwas anderes.

Wer ein Flair für Zynismus und Klatsch hat, wird derzeit gut versorgt von Medienleuten, die über andere Medienleute öffentlich tratschen und die Bösartigkeit der ehemaligen Kollegen skandalisieren wollen. Der «Spiegel», der vor zwei Jahren den damaligen «Bild»-Chefredaktor, Julian Reichelt, unter dem Titel «Vögeln, Fördern, Feuern» angriff und diesem internen Machtmissbrauch vorwarf, bot Anfang Februar der ehemaligen «Magazin»-Redaktorin Anuschka Roshani eine Plattform, welche diese nutzte, um ihren ehemaligen Chef, Finn Canonica, in schlechtestem Licht darzustellen. Sensibilisiert durch die in den USA gestartete Me-Too-Bewegung, griffen Redaktionen in der Schweiz und Deutschland den Fall kritiklos auf, bis Roger Schawinski dagegenhielt und darauf aufmerksam machte, dass Roshanis Behauptungen wenig glaubwürdig seien. Doch davon später.

Jeder gegen jeden

In Deutschland zielte die «Zeit»-Redaktion Anfang April auf den Springer-Chef Mathias Döpfner und publizierte interne Botschaften, in denen Döpfner mit teilweise derben Worten über Ostdeutsche, Politiker und intolerante Muslime herzog. Die Konkurrenz und das politische Milieu reagierten empört. Die vertraulichen Äusserungen des mächtigen Medienmanns brachte offenbar Julian Reichelt in Umlauf, wie sich bald herausstellte. Denn es wurde bekannt, dass die Döpfner-Zitate auch zum Verleger der «Berliner Zeitung», Holger Friedrich, gelangt waren. Dieser hielt sie für publizistisch wertlos. Er unterrichtete darauf den Springer-Chef über die Indiskretionen seines ehemaligen Chefredaktors, worauf Springer Reichelt wegen Verletzung der vertraglichen Abgangsregeln verklagte.

Die Indiskretion von Friedrich trieb wiederum einige Journalisten auf die Palme, denn sie erkannten eine Verletzung des journalistischen Quellenschutzes, der unter allen Umständen gewahrt werden müsse. Die Frage ist allerdings, ob die Quellenschutz-Norm für einen Verleger gleichermassen gilt, zumal dieser eigentlich nicht zur Redaktion gehört und abgesehen von publizistischen Grundsatzfragen nur für geschäftliche Belange zuständig sein sollte. Wie auch immer – der Deutsche Presserat will nun prüfen, ob Friedrich den Quellenschutz verletzt hat. Dabei müsste wohl in Betracht gezogen werden, auf welche Art der Kontakt zwischen Friedrich und Reichelt verlief. In dieser Sache hat der Presserat weiteres zu tun. Er klärt nämlich ab, ob die «Zeit» mit ihrem Artikel über Döpfner den Berufskodex verletzt hat. Teilweise schon, denn interne derbe Äusserungen eines Chefs über andere Personen sind kein Gegenstand von öffentlichem Interesse.

Schawinskis Buch-Intervention in Rekordzeit

Zurück in die Schweiz. In einem Rekordtempo – in nur einem Monat – hat Roger Schawinski im Eigenverlag ein 170-seitiges Buch über Anuschka Roshanis Angriff auf Finn Canonica geschrieben («Anuschka und Finn. Die Geschichte eines Medienskandals»). Schawinski hat dafür geschaut, dass sein Werk übers vergangene Wochenende in den Zeitungen Aufmerksamkeit gefunden hat. Sein Buch vertieft die Enthüllungen, die er zuvor auf seinem Radio1 gemacht hat. Sein Verdienst ist es, dass er dem Medienskandal eine neue Richtung gab, indem er die vorschnellen Verurteilungen von Canonica, die diesem erheblich schadeten, ausbremste. Er konnte sich dabei nicht zuletzt auf Auszüge eines ausführlichen Untersuchungsberichts stützen, den einst Tamedia in diesem Zusammenhang bei Rechtsanwälten (Rudin Cantieni) in Auftrag gegeben hatte. Dieser entlastete Canonica in vielen Aspekten. Wer Schawinski die Auszüge des Berichts verschafft hat, ist nicht bekannt – es gilt auch hier der Quellenschutz.

Allerdings stellen sich da ein paar Fragen. Wie Schawinski schreibt, waren Teile des vertraulichen Papiers eingeschwärzt. Doch diese Einschwärzungen waren offenbar durch einen Mitarbeiter von Schawinski leicht zu entfernen. Hat der Überbringer dieser Papiere einkalkuliert, dass die Hürden leicht überwindbar wären? Man darf mutmassen. Jedenfalls sind durch die Indiskretion auch zwei Namen bekanntgeworden, die im internen Verfahren als Zeugen von Roshani aussagten. Unabhängig vom Wert ihrer Zeugenschaft – ihre nachträgliche Blossstellung auf Grund einer Untersuchung, die eigentlich auf Vertraulichkeit basierte, ist fragwürdig. Ein gewisses Verständnis kann man nur darum aufbringen, dass die Heftigkeit, mit der Roshani ihren ehemaligen Chef öffentlich angriff, eine starke Gegenreaktion provozierte.

Beschädigte Glaubwürdigkeit

Auch wenn noch nicht alle Umstände dieses Skandals bekannt sind, kann man jetzt schon festhalten: Roshani hat ein erhebliches Glaubwürdigkeitsproblem. Das Landgericht Hamburg verlangte denn auch vom «Spiegel», dass er neun Passagen des Roshani-Textes kürzen muss; dagegen will das Magazin aber Einspruch erheben. Gegenüber Schawinski wollte sich Roshani zur Sache nicht äussern, was kaum verwundert. Denn sie ist nun in rechtliche Verfahren verwickelt, wodurch öffentliche Äusserungen heikel werden. Die «Süddeutsche Zeitung» konnte ihr schliesslich doch noch ein paar Worte entlocken. Sie sagte dem Blatt, sie habe Schawinski nicht geantwortet, weil sie sich durch seine Radiosendungen vorverurteilt fühlte – nach ihrem heftigen Angriff auf Canonica wirkt diese Äusserung etwas kurios.

Wie auch immer, die seltsamen Affären werden nun Gerichte, Rechtsanwälte und Selbstkontrollorgane beschäftigen und früher oder später weitere Schlagzeilen hervorrufen. Klar ist bereits: Die gegenseitigen Indiskretionen, Klagen und Skandalisierungen werfen ein schlechtes Licht auf die Medienbranche. Für Aussenstehende muss sie einem grossen Intrigantenstadl gleichen, wo die Beteiligten offensichtlich nicht mehr zu erkennen vermögen, was von öffentlichem Interesse ist und was nicht. Die von Rache geprägten Aktionen schaden überdies der Sache, der ernsthaften Diskussion über Machtmissbrauch in Redaktionen und Chefetagen. Den gibt es nämlich.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Rainer Stadler ist Mitglied im Stiftungsrat des Schweizer Presserats.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 18.05.2023 um 12:14 Uhr
    Permalink

    Danke. Ich kenne ein wenig einige Gruppierungen aus der Medien und Künstlergilde aus Jugendlicher Zeit. Da war vieles anders als es uns bekannte moralische Vorstellungen vermitteln würden. Schillernde Figuren, Menschen welche komplett anders denken als man es ahnen würde, und ein Umgang mit der Sexualität sowie mit Berauschendem, das ich damals das Gefühl hatte, in einer anderen Welt zu sein. Ein Käfig voller Narren, würden die einen denken, die Anderen sehen darin einen Spiegel zur Gesellschaft, wo die Regel, das eine Krähe der Anderen kein Auge aushakt, nicht gilt. Bevor es langweilig wird, gibt es immer noch den Skandal, die Sünde, die Leichen im Keller der Anderen. Der Unterhaltungswert war garantiert, aber wie im Spiel. Der Bereich wo sich die Welten der Theater sowie Kunstschaffenden und die Welten des Journalismus überschneiden und vermischen, ist heute keine entmilitarisierte Zone mehr wie vor 50 Jahren, sie wurde zu einem Spiegel unserer oft gewalttätigen Gesellschaft.

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