Kommentar

Sudan: Die Hintergründe des Konflikts

Gudrun Harrer © zvg

Gudrun Harrer /  Wer kämpft im Sudan eigentlich gegen wen – und wer unterstützt die Konfliktparteien? Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Seit Mitte April kämpfen zwei Generäle und ihre Soldaten um die Macht im Sudan: auf der einen Seite der momentane Herrscher des Sudan und Oberbefehlshaber der Armee, General Abdel Fattah al-Burhan, auf der anderen Seite sein bisheriger Stellvertreter, Milizenführer General Mohamed Hamdan Daglo, auch bekannt als Hemeti. Die Armee von Juntachef al-Burhan ist zwar zahlenmässig stärker als die paramilitärischen Truppen seines bisherigen Stellvertreters Hemeti, aber diese sind besser ausgerüstet und trainiert. Al-Burhan hat stabile Beziehungen zum Nachbarland Ägypten. Die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) stehen dagegen hinter Milizenführer Hemeti.

Warum kämpfen die beiden Generäle gegeneinander?

Burhan und Hemeti haben nach dem Sturz von Langzeitpräsident Omar al-Bashir 2019 die Macht übernommen, die sie nun wieder – im zweiten Anlauf – an eine zivile Führung hätten übergeben sollen. Beide beschuldigen einander, den Prozess torpediert zu haben.

Abdelfattah al-Burhan ist ein klassischer Militär, ausgebildet in Ägypten und Jordanien, und war bis 2019 nicht sehr hochrangig. Hemeti wurde zwar nur sein Stellvertreter, ist aber als Chef der gefürchteten und gut vernetzten RSF (Rapid Support Forces) gut aufgestellt. Die RSF sind aus den vom Darfur-Genozid bekannten arabischen Reitermilizen Janjaweed hervorgegangen und sichern auch Hemetis Geschäftsinteressen – er kontrolliert einen Teil der sudanesischen Goldminen – ab. Die RSF sollten nach Wunsch Burhans rasch in die Armee integriert werden, das wollte Hemeti nicht hinnehmen.

Woher kommen die beiden?

Burhan (62) aus einem Dorf am Nil, gilt als ein «Kizan»: Die den Muslimbrüdern nahestehenden arabischen Islamisten stützten die dreissigjährige Herrschaft Omar al-Bashirs. Das benützt Hemeti dazu, sich als Kämpfer gegen den Islamismus und die Rückkehr des alten Regimes zu stilisieren. Er selbst ist aber ein Mann, der von al-Bashir gemacht wurde, der ihn sogar einmal seinen «Beschützer» nannte.

Hemeti, 48, stammt aus einfachsten Verhältnissen, er verliess die Schule früh und landete im Kamelhandel und dann als Milizionär im Darfur-Konflikt. Sein Stamm lebt im Grenzgebiet von Tschad und Darfur. Deshalb wird auch ein Überschwappen des Konflikts in den Tschad befürchtet. Hemeti hat jedoch auch Kontakte zu bewaffneten Gruppen in Libyen und in der Zentralafrikanischen Republik.

Wer unterstützt die beiden?

Burhan gelang es – trotz seiner Kizan-Nähe –, stabile Beziehungen zum ägyptischen Regime von Abdelfattah al-Sisi aufzubauen. Der Juntachef versuchte, in die klassische Präsidentenrolle zu schlüpfen und pflegte Kontakte zu den Nachbarn und regionalen Partnern. Der Sudan stellte zum Beispiel der saudisch-geführten Koalition im Jemen, der auch die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) angehörten, sudanesische Soldaten zur Verfügung. Burhan gelang es aber nie, die finanziell potenten Vereinigten Arabischen Emirate ganz auf seine Seite zu ziehen. Sie stehen hinter Hemeti, der gute Beziehungen zum Herrscherhaus haben soll.

Hemeti beschuldigt Kairo, Burhan militärisch gegen ihn zu unterstützen: Zu Beginn dieses Konflikts nahmen die RSF auf dem Flughafen in Merowe nördlich von Khartum ägyptische Armeeangehörige fest. Aber Hemeti ist viel besser als Burhan auf informeller Ebene vernetzt: Zu seinen Unterstützern wird der ostlibysche General Khalifa Haftar gezählt, der viele Kämpfer aus Darfur unter seinen Söldnern hat. Sie kämpften gegen die international anerkannte Regierung in Tripolis.

Russland steht in Libyen auf der Seite Haftars und wird im Sudan der Seite Hemetis zugerechnet. Der soll auch eng mit der Wagner-Gruppe zusammenarbeiten. Aber beide – Burhan und Hemeti – haben versucht, gute Beziehungen zu Moskau zu pflegen: Sie hatten Russland gemeinsam die Zusage gegeben, am Roten Meer in Port Sudan eine Militärbasis errichten zu können. Dementsprechend befindet sich jetzt Russland, wie die meisten äusseren Akteure, in einer abwartenden Haltung: Sie wollen sich nicht auf die Seite des Verlierers schlagen.

Worum geht es bei den Verbindungen von Wagner zu Hemeti?

Es gehört zu der Strategie der Wagner-Gruppe, in Nordafrika jedes mögliche Einfallstor zu nutzen, sie ist in fast allen Ländern präsent. Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin dementiert das Engagement seiner Miliz für Hemeti. In dessen Umfeld gibt es jedoch viel Geld zu verdienen. Abgesehen vom Gold kontrolliert er auch Migranten und Menschenhandelsrouten.

Gibt es ausser Burhan und Hemeti noch andere Akteure im Sudan, die wichtig werden könnten?

Der Sudan war stets ein schwacher Zentralstaat, es gibt Konflikte vor allem in den Randgebieten. Es gibt Milizen und Fraktionen noch aus der Zeit des innersudanesischen Bürgerkriegs und des Kriegs in Darfur. Viele dieser alten Warlords warten erst einmal ab. Hemeti hat sich bei seinem Aufstieg besonders viele Feinde gemacht: Da gilt Musa Hilal als eine mögliche Schlüsselfigur. Auch er war Janjaweed-Führer und hat mächtige Stammesvernetzungen, er wurde jedoch von Omar al-Bashir zugunsten Hemetis zur Seite geschoben. Die Liste der Personen und Gruppen, die wieder aus den Kulissen auftauchen könnten, ist lang.

Dieser Beitrag ist am 24. April im «Standard» erschienen.

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NACHTRAG vom 7.5.2023
Red. Ein Leser macht auf einen Artikel in «Foreign Affairs» vom 1. Mai aufmerksam, der nicht nur die United Arab Emirates als Hemedti-Partner nennt, sondern pikanterweise auch die EU erwähnt, die de facto als Partnerin fungierte: «(The RSF) even positioned itself as an ally of the European Union in its fight against migration from the Horn of Africa, playing the role of border guards for Europe.»


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Gudrun Harrer ist leitende Redakteurin des österreichischen «Standard» und unterrichtet Moderne Geschichte und Politik des Nahen und Mittleren Ostens an der Universität Wien.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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3 Meinungen

  • am 8.05.2023 um 07:31 Uhr
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    Interessanter Überblick, als Einstieg ins Thema ‹Sudan› sehr gut geeignet. Natürlich gelingt es in solch kurzen Artikel nie, die Komplexität eines Themas zu vermitteln.
    Das grundsätzliche Problem im Sudan, wie in vielen anderen nach-kolonialen Staaten ist, dass sie von Europäern mit künstlichen Grenzen geschaffen wurden, die keine Grundlage und keinen Support bei den dortigen Verhältnissen und den dort lebenden Menschen haben. Kurz, eine jegliche ‹Regierung› oder ‹Staatsform› wird jeweils nur von Teilen der Bevölkerung als legitim empfunden.
    Nach staatsrechtlichen Definitionen muss ein Staat drei Merkmale haben: 1. Staatsgebiet, 2. Staatsvolk, 3. Staatsgewalt (im Sinne einer stabilen Regierung, die als legitim anerkannt ihre Macht ausübt).
    Vermutlich scheitert Sudan schon an 2. aber sicher an 3.
    Die Frage für Sudan wäre also, wie macht man aus den Clans EIN Volk, dass genügend Gemeinsamkeiten findet um sich für eine gemeinsame Regierung zu entscheiden, die als legitim betrachtet wird.

  • Portrait_Josef_Hunkeler
    am 8.05.2023 um 22:31 Uhr
    Permalink

    Die Rolle der EU-Kommission sollte wohl besser offengelegt werden.

    Double-standards noch und noch…

    Immerhin, besten Dank für diese Auslegeordnung.

    • Portrait_Josef_Hunkeler
      am 9.05.2023 um 11:15 Uhr
      Permalink

      Besten Dank für den Nachtrag zur Rolle der EU.

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