Das Interview als Strafaufgabe
19 Punkte Vorsprung haben die Berner Young Boys in der Fussballmeisterschaft. Wenn sie heute Abend in Zürich gegen die Grasshoppers gewinnen, dann sind sie sechs Runden vor Schluss bereits Schweizer Meister. Grund zur Freude also. Ausser vielleicht für die Spieler, die in der Pause oder nach dem Match dem Fernsehen SRF ein Interview geben müssen.
So ein Interview ist nämlich keine Ehre, sondern eine Strafaufgabe. Denn manche Fragen der SRF-Sportreporter sind sehr seltsam und lassen sich beim besten Willen nicht vernünftig beantworten. Das zeigte sich zuletzt am Samstag beim 6:1-Sieg der Young Boys gegen Genf-Servette. Da führte SRF-Sportreporter Felix Renggli die Interviews.
Frage an Cédric Itten: «Das Spiel ist schnell erzählt. YB war drückend überlegen. Wie viel Symbolik in Bezug auf die ganze Saison war dabei?»
Ja, was soll denn der arme Kerl antworten? Sehr viel Symbolik? Drei Stück? Fünf Kilo? «Das ist schwer zu sagen», antwortet Itten. Und weil so eine kurze Antwort unfreundlich wirken könnte, liefert er ungefragt noch eine Spielzusammenfassung – inklusive der Sportler-Floskel «Wir nehmen Spiel für Spiel».
Frage an Cédric Itten: «Das war jetzt möglicherweise der zweitletzte Schritt vor dem Meistertitel. Wie viel Boost hat das gegeben, das Wissen, dass es schon am Dienstag fertig sein kann?»
Wieder bekommt man als Zuschauer fast Mitleid mit Itten. Der Spieler ignoriert die Frage nach dem «Boost» und erzählt einfach, was ihm grad einfällt: «Wir wussten vor dem Spiel, dass wir mit zwei Siegen alles klar machen können. Deshalb wollten wir heute ein gutes Spiel machen. Erster gegen Zweiter. Und ich glaube über die 90 Minuten ist uns das super gelungen.»
Behauptung gegenüber Cédric Itten: «Sie selber haben drei Tore geschossen. Sie sind jetzt auf 17 Saisontreffern. Sie sind Leader in der Torschützenliste der Super League. Sie haben Jean-Pierre Nsame überholt. Das wird ihm nicht gefallen.»
Der Reporter fragt nicht; er behauptet. Und Itten? Soll er für seinen Teamkollegen sprechen? Soll er sagen, dass sein Kollege, der wegen einer Sperre zuschauen musste, es ihm vielleicht missgönne? Itten umschifft die Klippe mit einer weiteren Fussballer-Floskel: «Es ist schön, wenn man der Mannschaft hilft.»
Frage an Cédric Itten: «Es könnte eine Woche geben mit wenig Schlaf. Sind Sie bereit dafür?»
Natürlich verrät uns Itten nicht, ob er vorgeschlafen habe. Stattdessen sagt er: «Ja, das ist sehr schön. Das sind die Momente, die man geniesst, auf die man hinarbeitet. Da freue ich mich sehr darauf.» Und wahrscheinlich geniesst er es auch, dass dem Reporter endlich die Fragen ausgehen.
Cédric Itten ist nicht der einzige YB-Spieler, der sich an diesem Abend den Fragen des Fernsehens SRF stellen muss. Auch der erst 21-jährige Fabian Rieder kommt dran.
Frage an Fabian Rieder: «Ihr letzter und einziger Meistertitel mit YB ist bis jetzt ohne Fans gefeiert worden wegen der Pandemie. Wie bereit sind Sie für eine grosse Party?»
«Ich habe schon drei Kästen Bier im Keller und eine Schachtel Zigarren im Humidor.» Das wäre wohl die schlagfertigste Antwort gewesen. Doch Rieder erlaubt sich keine Spässe, sondern sagt ganz abgeklärt: «An die Party will ich gar nicht denken. Zuerst kommt das Spiel. Wir sind zu 100 Prozent parat. Wir wissen, was wir können.»
Frage an Fabian Rieder: «6:1-Sieg gegen Servette. Ist es der Match mit dem höchsten Spassfaktor – vielleicht sogar der ganzen Saison?»
Rieder findet die Frage nach dem «Spassfaktor» wahrscheinlich doof. Er geht darauf gar nicht ein, sondern liefert einfach – wie schon Itten – eine Spielzusammenfassung. Und das ist wahrscheinlich besser so.
Weiterführende Informationen:
Infosperber: Fussball-WM: Unser «Ausruefer» (3)
Infosperber: Ohrenweh vor dem «Fernseh»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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