Bankchef Josef Ackermann verstand seine eigenen Angebote nicht
Wie andere Grossbanken war auch die gestrauchelte Credit Suisse auf undurchsichtigen «Dark Pool»-Handelsplätzen hyperaktiv oder versuchte computergesteuert innerhalb von Millisekunden hohe Gewinne zu erzielen und machte den Kunden und Pensionskassen in ganzseitigen Inseraten «Renditeoptimierungsprodukte» schmackhaft, beispielsweise mit dem unverständlichen Namen «Autocallable Barrier Reverse Convertibles».
Die Finanzindustrie hat die Finanzwelt in ein gigantisches Casino verwandelt, wo Milliarden-Gewinne locken. Man zockt und bereichert sich schamlos auf Kosten anderer – ohne Nutzen für die Volkswirtschaft.
Im «Worst case» können die Spekulanten auf eine Rettung durch Regierungen zählen. Das Risiko eines Crashs trägt die ganze Bevölkerung.
Infosperber versucht, den Schleier etwas zu lüften. In einem ersten Teil deckten wir auf, dass die unregulierten Schattenbanken weltweit fast die Hälfte sämtlicher Finanzanlagen verwalten. Heute geht es um sogenannte Finanzprodukte, mit denen ohne Nutzen für die Volkswirtschaft spekuliert wird.
Josef Ackermann: «Es werden täglich neue Produkte kreiert. Ich muss mich auf mein Team verlassen»
Sogenannte Derivate sind Spekulationspapiere, deren Wert sich davon ableitet, wie sich die Kurse bestimmter Aktien entwickeln. Wie genau der Wert eines sogenannten «strukturierten Produkts» von den Börsenkursen seiner («Basis»)-Werte abhängt, bestimmen meist schwer durchschaubare mathematische Modelle.
Nur ein geringer Teil der Derivatgeschäfte taucht in den Bilanzen der Banken auf. Beispielsweise fehlen dort alle OTC-Geschäfte (Over the Counter = über den Tresen). Trotz der grossen Bedeutung solcher OTC- und Schattenbank-Geschäfte wissen deshalb weder die Aufsichtsbehörden noch die Notenbanken, wie gross ihr Umfang weltweit derzeit ist.
Finanzjournalistin und Buchautorin Myret Zaki schätzt, dass die gesamte Summe der kaum regulierten Spekulationsgeschäfte weltweit mindestens 150 Billionen Dollar betragen. Zaki warnte in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens: «Wenn die Zinsen weiter steigen, kracht dies alles zusammen, doch niemand interessiert sich dafür.»
In Schweizer Kundenkontos lagen Ende 2019 Derivate in Form von strukturierten Produkten mit einem Volumen von 198 Milliarden Franken (Quelle: Schweizerischen Nationalbank). «Die Schweiz ist mit einem Anlagevolumen von rund 200 Milliarden der weltweit grösste Markt für stukturierte Produkte», rühmten Mitte 2021 die Credit Suisse und der Lobby-Verband der «Strukis», wie man sie zärtlich nennt. Diese undurchsichtigen Spekulationsvehikel würden «viele Arbeitsplätze für Hochqualifizierte» schaffen und angeblich das Eigen- und Fremdkapital für Unternehmen erhöhen.
Als «Basiswerte» von strukturierten Produkten wählen die Mathematiker der Banken Aktien grosser Unternehmen. Ein Nutzen dieser Milliarden-Spekulationen mit Derivaten für diese Unternehmen und für die reale Wirtschaft ist nicht ersichtlich. Falls der Handel mit diesen Spekulationspapieren besteuert oder sonst eingeschränkt würde, «erwarten wir keine substanziellen Nachteile», meinte ein Novartis-Sprecher auf Anfrage. Die SwissRe nannte ebenfalls keine Nachteile: «Wir machen dazu keine Aussagen.» Nestlé wollte auch keine Nachteile für Nestlé erwähnen: «Wir überlassen die kompetente Antwort den Finanz- und Finanzmarktspezialisten.»
Finanzprofessor Marc Chesney warnte am 11. September 2018 in der NZZ:
«Ein Blick in die Schweiz zeigt, dass der Nominalwert der Derivate der Credit Suisse im Jahr 2017 einen Umfang von 28,9 Billionen Franken betrug. Damit waren diese ungefähr 36-mal so hoch wie ihre Bilanzsumme und 687-mal so hoch wie ihr Eigenkapital. Der Wert dieser Produkte entsprach etwa 43-mal dem BIP der Schweiz und etwas mehr als einem Drittel der Weltwirtschaftsleistung.
Der Nominalwert der Derivate der UBS betrug im gleichen Jahr 18,5 Billionen Franken und war 20-mal so gross wie ihre Bilanzsumme beziehungsweise 361-mal so hoch wie ihr Eigenkapital. Hiermit machte es 28-mal das Schweizer BIP und rund einen Viertel der Weltwirtschaftsleistung aus.
Das Derivatevolumen der Deutschen Bank zeigt ein ähnliches Bild. Es wies 2017 eine Höhe von 48,3 Billionen Euro auf. Dies entsprach 33-mal ihrem gesamten Vermögen und 708-mal ihrem Eigenkapital. Damit war es ungefähr 15-mal so gross wie das Deutsche BIP und machte etwa 67 Prozent der Weltwirtschaftsleistung aus.
Zwischen 2008 und 2018 hat sich der Schattenbankensektor stark entwickelt – wie zum Beispiel die Beteiligungsgesellschaft BlackRock, die ebenfalls «too big to fail» ist und ein Vermögen von mehr als 6 Billionen Dollar verwaltet. Dieser Sektor besitzt eine beunruhigende Macht.»
Derivate in Form von «strukturierten Produkten» sind weit verbreitet. Das Wetten mit ihnen hängt oft von so komplizierten und schwer durchschaubaren Bedingungen ab, dass Bankkunden sie nur schwer verstehen können. Manchmal gaukeln die Banken Produkte mit «100 Prozent Kapitalschutz» vor, obwohl es schon mehrfach zu absoluten Verlusten kam.
In der Schweiz beliebt sind fast unzählige Angebote mit Namen «Barrier-Reverse-Convertibles». Deren gute Noten der Rating-Agenturen seien «für die Kunden irreführend» und «eine echte Gefahr für Privatanleger, Pensionskassen und Gemeinden», warnte Marc Chesney, Finanzprofessor in Zürich. «Eigenartigerweise» würden die Aufsichtsbehörden dies zulassen.
Namhafte Beteiligte an diesen Geschäften der Schattenwirtschaft bezeichnen sich selber als «Investmentbanken». Man denkt an Investionen in Strassen, Schulen und Fabriken. Doch weit gefehlt. Mit mathematischen Modellen entwickeln sie komplexe Anlagepapiere, genannt «Produkte», darunter «strukturierte» Produkte, die Spekulationsgeschäften dienen, jedoch Sicherheit und «Renditeoptimierung» vorspiegeln.
Auf die Frage, ob er als Chef der Deutschen Bank verstanden habe, was die Deutsche Bank zu seiner Zeit da genau anbot und wie hoch die Risiken waren, antwortete Josef Ackermann Anfang 2022 in der NZZ:
«Bei dieser Komplexität der Materie muss sich ein Bankchef auf die Fachkompetenz eines starken Teams verlassen können. Es werden täglich neue Produkte kreiert.»
Selbst der oberste Bankchef versteht also nicht alle «Produkte», welche seine eigene Bank ihren Kunden anbietet. Ebenso wenig verstehen davon überforderte Aufsichtsbehörden oder Parlamentarier, die Bankgesetze beschliessen, oder Regierungen, die Verordnungen erlassen.
Es handelt sich fast immer um spekulative Termingeschäfte, also Wetten auf die Zukunft. Mit sogenannten «Swaps» (deutsch: Tausch) werden Geschäfte zu einem festgesetzten Preis mit Zahlung zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart.
Die komplexen Derivate erlauben den «Investment»-Bankern, mit einem geringen Kapitaleinsatz hohe Gewinne abzuschöpfen. Diese rechtfertigen am Jahresende happige Boni.
Die Nominalwerte ihrer offenen Derivatgeschäfte müssen die Grossbanken in der Bilanz nicht einmal ausweisen. Das wird damit begründet, dass sich die Risiken netto ausgleichen würden. Es handle sich um ein «Nullsummen-Spiel», weil immer eine Seite gewinnt und die andere verliert. Nur: Wenn das Casino brennt, müssen die Steuerzahlenden die Zeche zahlen.
Wäre das Wett-Casino tatsächlich ein Nullsummen-Spiel, hätten sich die Risiken 1998 und 2008 tatsächlich gegenseitig neutralisiert und es wäre nicht zu den grossen weltweiten Finanzkrisen gekommen. Warren Buffett bezeichnete die Derivate-Instrumente der Finanzindustrie bereits in den Neunzigerjahren als «Massenvernichtungswaffen».
Das Beispiel Archegos
Auch beim Fall Archegos entpuppte sich das angebliche Netto-Null-Risiko als trügerische Hoffnung. Die Bilanz wies Fonds von 10 Milliarden aus, Archegos stand jedoch mit 50 Milliarden Dollar im Risiko. Zum Wetten mit Derivaten stellte die Credit Kundengelder und eigene Gelder der Archegos Capital Management zur Verfügung. Die CS soll der Archegos regelrecht Geld nachgeschmissen haben, «weil sie sich hohe Gebühreneinnahmen und Provisionen versprach», schrieb die NZZ. Das interne Risiko-Management der Grossbank versagte.
Das Geschäftsmodell von Archegos beruhte auf der Manipulation von Börsenkursen. Die Anklageschrift der New Yorker Staatsanwaltschaft beschrieb das Konstrukt wie folgt (redigiert):
«Archegos lieh sich über Derivate wie sogenannte Total-Return-Swaps viel Geld und kaufte damit riesige Mengen von lediglich etwa zehn verschiedenen Aktien. Diese grosse Nachfrage trieb die Kurse dieser Aktien massiv nach oben. Das führte zu nicht realisierten Gewinnen. Dank diesen verbuchten Gewinnen konnte sich Archegos von Banken wiederum sehr viel Geld ausleihen, mit dem wieder die gleichen Aktien gekauft wurden, was deren Wert weiter in die Höhe trieb.»
Bevor die Credit Suisse in diese riskanten Spekulationsgeschäfte investierte, hatte die Grossbank nicht einmal verlangt, dass Archegos seine weiteren finanziellen Verpflichtungen offenlege. Wirtschaftsjournalist Beat Schmid kommentierte am 2. Mai 2021 in der Sonntags-Zeitung: «Jeder Hausbesitzer und Unternehmer muss, bevor er einen Kredit erhält, offenlegen, bei wem er weitere Kredite am Laufen hat. Bei Archegos, das mit einem x-fach höheren Einsatz spekulierte, verlangten die Banken dies nicht.»
CDS oder Kreditausfallversicherungen
Zu casino-ähnlichen Wettgeschäften entartet sind auch Versicherungen gegen Kreditrisiken oder Währungsverluste. Die Käufe solcher Versicherungs-Zertifikate, genannt Credit Default Swaps CDS, erfüllen ihren Zweck dann, wenn sie ein tatsächlich eingegangenes Risiko gegen Verluste absichern. Kauft beispielsweise ein Investor Obligationen eines Unternehmens, kann er sich gegen einen Zahlungsausfall des Unternehmens absichern, indem er bei einem Finanzinstitut eine Kreditausfallversicherung abschliesst und ein CDS kauft. Der Preis hängt in der Regel von der Bewertung des Unternehmens durch Rating-Agenturen ab. Je unsicherer die finanziellen Aussichten des Unternehmens sind, desto höher steigt der Preis oder der Kurs des CDS.
Der Kurs der CDS steigt also, wenn es dem Unternehmen immer schlechter geht, weil dann eine Rückzahlung der Obligationen unsicherer wird. Die CDS kann man jederzeit kaufen und verkaufen.
Zur Zweckentfremdung kommt es, wenn man an der Börse CDS gegen Kursverluste von Obligationen kauft, ohne dass man Obligationen dieses Unternehmens besitzt. Man hat kein Geschäft abzusichern, sondern spekuliert einfach darauf, dass der Kurs der Obligation fällt und der Preis der börsengehandelten CDS entsprechend steigt. Dann kann man die gekauften CDS viel teurer wieder verkaufen. Der Erwerb solcher «Versicherungs»zertifikate oder CDS dient dann ausschliesslich der Spekulation.
Chesney erläuterte diese Spekulation mit folgender Analogie:
«Niemand kann eine Autoversicherung abschliessen, ohne ein Auto zu besitzen […] Man kann auch keine zehn oder hundert Versicherungen für das Auto des Nachbarn abschliessen in der Hoffnung, dass er einen Unfall hat. Man hätte dann ein Interesse daran, das Auto des Nachbarn zu manipulieren! In der Finanzwelt aber ist es gang und gäbe, auf die Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen, mit denen keinerlei Geschäftsbeziehungen bestehen, zu spekulieren und möglicherweise die Zahlungsunfähigkeit dann zu provozieren. Man wettet auf ihre Zahlungsunfähigkeit, ihren Erfolg oder ihre Rettung.»
Bekannt wurde, dass beispielsweise der frühere Goldman-Sachs-Manager Richard Perry im Jahr 2016 mit seinem Hedge-Funds Perry Capital für eine Milliarde Dollar solche Kreditausfallversicherungen kaufte und auf Pleiten von Unternehmen wettete. Das meldete «Business Insider».
Das Ausmass der Spekulationsgeschäfte mit diesen Vesicherungspolicen CDS ist gigantisch: Heute sichern über 90 Prozent aller gekauften CDS keine realen Geschäfte mehr ab, sondern sind reine Wettgeschäfte.
Der Preis eines CDS hängt davon ab, wie die Rating-Agenturen die «Bonität» des jeweiligen Versicherten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses einschätzen. Und umgekehrt können Rating-Agenturen die «Bonität» herabsetzen, weil die Preise der CDS steigen.
Die spekulativen CDS können als gefährliche Brandbeschleuniger wirken.
Ein aktuelles Beispiel ist die Credit Suisse. Je tiefer der Kurs der CS-Aktien im Jahr 2022 fiel, desto stärker stiegen die Kurse der CDS. Steigende CDS-Kurse wie letztes Jahr bei der Credit Suisse gelten als Zeichen, dass die grossen Wett-Spekulanten nicht mehr an die Zukunft der Bank glauben oder jedenfalls auf deren Niedergang wetten. Die Bank verliert weiter an Bonität. Das hat zur Folge, dass sie bei der Ausgabe neuer Obligationen oder bei der Aufnahme von Krediten höhere Zinsen zahlen muss.
Ende November 2022 prophezeite Rainer Skierka, Banken-Analytiker bei Research Partners in der NZZ, der Kursanstieg der CDS sei für die CS «noch folgenschwerer als der Rückgang des Aktienkurses». Das war dann tatsächlich der Fall.
Niemand weiss allerdings, welche Finanzinstitute, Hedge-Fonds oder Beteiligungsgesellschaften wie BlackRock oder Vanguard auf eine Insolvenz der CS gewettet haben. Die Akteure bleiben im Dunkeln. Die parlamentarische Untersuchungskommission könnte versuchen, dies herauszufinden.
Mit «Killerinstinkt» gegen Unternehmen wetten
Wenn grosse Hedge-Funds auf den Konkurs eines Unternehmens wetten, können sie die Entwicklung entsprechend beeinflussen beziehungsweise manipulieren. Häufig platzieren sie selber dazu nützliche Beiträge in Medien oder bedienen Wirtschaftsjournalisten mit exklusiven «Insider»-Informationen, die dem Unternehmen schaden.
Auf ihren «Killerinstinkt» sei sie geradezu stolz, meinte Fahmi Quadir, Gründerin des New Yorker Hedge-Funds «Safkhet Capital». Das Setzen auf Kursstürze und Bankrotte von Unternehmen sei nützlich, um schwache Firmen aus dem Markt zu kippen. Beim Unternehmen «Valeant Pharmaceuticals» beispielsweise habe sie ein schlechtes und korruptes Management ausgemacht und dann zehn Prozent des Hedge-Fund-Kapitals eingesetzt, um mit Leerverkäufen* auf einen Kurszerfall bei Valeant zu wetten. Kurz darauf hätten die Valeant-Aktien 90 Prozent ihres Wertes verloren.
UBS zahlte wegen Manipulationen in Dark Pools 14 Millionen Dollar
Anfang 2015 verbreitete Reuters folgende Meldung:
«Im Rahmen eines Vergleichs zahlt die UBS-Tochter UBS Securities 14,4 Millionen Dollar [Schadenersatz]. Den Market-Makers und Hochfrequenz-Handelsfirmen, welche die Dark Pools genutzt hätten, seien unerlaubterweise Vorteile zu günstigen Konditionen gewährt worden, erklärte die US-Wertpapieraufsicht SEC. Dark Pools sind ausserbörsliche Handelsplätze, an denen Investoren unbemerkt von Rest der Investoren grosse Aktienpakete kaufen oder verkaufen können.»
Lange bringt es grosse Gewinne – beim Absturz helfen Staat und Steuerzahlende
Hat das Wetten gegen die Zukunft eines Unternehmens Erfolg, machen Käufer von CDS ein hervorragendes Geschäft. Deshalb beteiligen sich an diesem lukrativen Geschäft alle grossen Finanzinstitute: Die Deutsche Bank (Derivatvolumen 2015: 75 Billionen Dollar!), JPMorgan, Goldman Sachs und mindestens bis zum Kollaps die Credit Suisse. Das genaue Ausmass des Engagements der Credit Suisse (und der UBS) müsste die parlamentarische Untersuchung aufdecken.
Finanzprofessor Marc Chesney hatte Anfang 2021 gegenüber Infosperber darauf hingewiesen, dass bei der Credit Suisse im Geschäftsjahr 2020 weniger als 1 Prozent der Nominalwerte aller Derivatgeschäfte das Kursrisiko eines Wertpapiers, eines Rohstoffes oder eines Wechselkurses absicherten. «Die restlichen 99 Prozent sind reine Wetten einer Casino-Finanzwirtschaft sowie Marktmanipulationen, die der Realwirtschaft keinen Nutzen, sondern nur Gefahren bringen. «Wer kann da noch glauben, die Situation sei unter Kontrolle?», fragte Chesney.
Regierungen und Parlamente schauen zu und übernehmen die Rettung
Falls es wie 1998 oder 2008 zu einer grösseren Krise oder einem Crash kommt, zählen die Spekulanten darauf, dass andere Banken oder der Staat einspringt. Im Jahr 2008 mussten mit der AIG die grösste Versicherungsgesellschaft der Welt sowie die US-Hypothekenbanken Fannie May und Freddy Macgerettet werden. Bei einem Bankrott der AIG wären CDS in Höhe von 440 Milliarden Dollar fällig geworden. Sie hätten das globale Finanzsystem finanziell aus den Angeln gehoben.
Die Jahre der tiefen Zinsen und Negativzinsen verschaffte der Finanzindustrie immer neues, billiges Geld. Doch die «Investmentbanken» stellten der Realwirtschaft nur wenig davon zur Verfügung. Sie verwöhnten zuerst die Aktionäre und schleusten den grössten Teil in die Spekulation, also in erster Linie in das Wettgeschäft mit Derivaten.
Trotz aller Versprechen, das Geschäft mit Derivaten im Dunkel der Schattenbanken stärker zu regulieren, hat kein einziges Land etwas unternommen. Im Gegenteil: Der Derivate-Sektor ist weiter stark gewachsen. Das ganze Finanz-Casino gefährdet unterdessen das globale Finanzsystem, den Wohlstand, die Demokratie und den Frieden mehr denn je.
Die Schweizer Finanzaufsichtsbehörde Finma gibt sich schweigsam. Auch auf Anfrage sagt sie beispielsweise nicht, welcher Anteil der Derivate in der Schweiz nicht über die Börse, sondern ausserbörslich in der Schattenwirtschaft gehandelt wird. Und zur Frage, welchen Nutzen beispielsweise der Handel mit ungedeckten, rein spekulativen CDS für die reale Wirtschaft hat, will sich die Finma auf Anfrage nicht äussern.
Abhilfe gegen dieses Zocken mit Derivaten und CDS brächte eine Mikrosteuer auf allen elelektronischen Transaktionen, also auch auf Käufen und Verkäufen dieser «Produkte».
*Spekulieren mit Leerverkäufen
Bei Leerverkäufen verkauft jemand zu einem festgelegten Preis auf einen späteren Zeitpunkt Aktien, die er noch gar nicht besitzt (Termingeschäft). Der Verkäufer setzt mit Leerverkäufen auf fallende Aktienkurse (er „shortet“ seine Position). In der Zeit bis zum vereinbarten Verkaufstermin muss der Leerverkäufer die Aktien kaufen. Das Geschäft geht schief, falls der Kurs der Aktie steigt.
Im Extremfall kann es vorkommen, dass viel mehr Aktien im Voraus verkauft werden als existieren. Das war beispielsweise beim US-Unternehmen Gamestop der Fall, die Computerspiele und Unterhaltungssoftware verkauft. Als der Aktienkurs aufgrund von Spekulationen von 20 Dollar am 12. Januar 2021 bis auf über 480 Dollar am 28. Januar 2021 emporschnellte, verkauften vor allem Hedge-Funds massenweise Gamestop-Aktien auf Termin, da sie fallende Kurse erwarteten und daraus Gewinne erzielen wollten. Schliesslich wurden 40 Prozent mehr Aktien leer verkauft als es überhaupt gab. Weil sich die Baisse-Spekulanten rechtzeitig mit Aktien eindecken mussten und es zu wenige gab, wären die Kurse in extreme Höhe geschnellt. Dazu kam es nicht, weil ein Online-Broker die Käufe stoppte. Es kam zu Verwerfungen. Gamestop schloss weltweit fast alle Läden und betreibt fast nur noch Online-Handel.
Die Wettgeschäfte mit den Gamestop-Aktien waren alle legal. «Es war die menschliche Gier, welche Anleger zu Gamestop zogen», meinte Werner Grundlehner, Börsenredaktor der NZZ.
Wie das Problem «ganz einfach zu lösen» wäre, sagte einer der es wissen muss. Multimilliardär Peter Peterffy, Mehrheitsaktionär von Interactive Brokers: «Die Regulatoren müssten für die Leerverkäufe nur die Margenvorschriften anzupassen – von bisher 50 Prozent hinterlegtem Eigenkapital auf 100 Prozent plus 1 Prozent von jedem zusätzlichen 1-Prozent-Anteil der bereits auf fallende Kurse gesetzte Papiere. Im Endeffekt wären immer genügend Sicherheiten vorhanden.»
Lesen Sie demnächst: Das unglaubliche Wetten auch mit Währungen
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Das erste Inserat ist wohl von der Credit Suisse und nicht von Raiffeisen, wie in der Legende.
Wenn Regierungen, Parlamente, die FINMA und auch die SNB dieses Finanz-Wett-Casino jahrelang und jahrzehntelang wissentlich (oder unwissentlich) gewähren lassen und dann die Rettung mit öffentlichen Geldern von Staat und SNB durchwinken – unter Umgehung der too-big-to-fail-Gesetze – dann entspricht dies aus meiner Sicht einer kriminellen Verschwörung gegen alle Steuerzahler und müsste mit Höchststrafen geahndet werden.
Von wirksamer Regulierung keine Spur.
Wir werden systematisch über den Tisch gezogen.
Dieser Straftatbestand reicht aus, um die Steuerpflicht aller Steuerzahler in Frage zu stellen bis diese Missstände korrigiert sind. Ein Steuerstreik erscheint mir auch aus demokratischen Gründen legitim.
Sollte unser Justizsystem dies anders sehen, so müsste der Steuerzahler sich fragen, auf wessen Seite die Justiz steht.