Süd- und Mittelamerika: Was in vielen unserer Medien unterging
Zum jüngsten Umsturz und seinen Nachwehen in Peru liegen zwei Einschätzungen von erfahrenen Beobachtern der dortigen Entwicklung vor: Carlos Herz, Leiter der Nichtregierungsorganisation Centro Bartolomé de las Casas in Cusco, zeichnet das verwirrende innenpolitische Panorama in diesem Andenstaat von der Basis her nach. Im «IPG-Journal» kommentiert Wolf Grabendorff die Situation in Peru aus deutscher Perspektive, die durch langjährige berufliche Erfahrung des Autors auf dem Subkontinent untermauert wird. Im gegenwärtigen Krisenszenario verlangt er eine Vermittlung durch die EU, UNO und/oder CELAC, die gegenwärtig aktivste Organisation der Staaten Lateinamerikas, um die vielfältigen Konflikte im Innern Perus zu entschärfen und das zu retten, was von demokratischen Ansätzen und Möglichkeiten derzeit noch übrigbleibt.
Die Monatszeitschrift «Nueva Sociedad» hat in Honduras einen lokalen Historiker interviewt und damit ein Dokument von seltener Intensität geschaffen. Es vermittelt einen tiefen Einblick in die Rolle der Uniformierten und ihrer zivilen Verbündeten in Politik und Wirtschaft dieses zentralamerikanischen Landes und thematisiert auch die stetige Präsenz der USA in allen relevanten Aspekten. Deutlich wird auch das andauernde Überschwappen gewalttätiger Umtriebe aus den Nachbarstaaten El Salvador und Guatemala, einer endemischen Bedrohung, die fast ausschliesslich gegen untere und unterste Bevölkerungsschichten gerichtet ist. Der Geschichtsforscher spricht zudem Gegensätze an im Gespann zwischen dem früheren, vorzeitig entthronten Präsidenten Mel Zelaya und dessen seit einem Jahr ebenfalls verfassungsmässig regierender Gattin Xiomara Castro.
El Salvador auf dem Weg in eine Diktatur?
Während sich das Machthaber-Duo Castro-Zelaya in Honduras gegen alle möglichen Widerstände interner und externer Provenienz um eine Wiederaufnahme und Weiterführung gemässigt linker Politik bemüht, verfolgt Nayib Bukele im benachbarten El Salvador einen zwar auch durch Wahlen anfänglich legitimierten Kurs, der aber immer deutlicher in eine rechtspopulistische Diktatur umkippt. In der «NZZ am Sonntag» entwirft die mit den regionalen Verhältnissen vertraute Journalistin Sandra Weiss ein erschütterndes Bild von den Exzessen, zu denen Gewalt führen kann – egal welchen politischen Ursprungs sie sein mag. Was in diesem Fall wohl am meisten beschäftigt: Mit harter Hand ging Bukele gegen die gefürchteten Mara-Jugendbanden vor, die die Existenz seines Landes bedrohten. Doch unter den vielen tausend in KZ-artigen Haftanstalten gefangenen Männern befinden sich offenbar auch zahllose Unschuldige, die das Pech hatten, bei den Razzien der Polizei und Armee im falschen Augenblick am falschen Ort gewesen zu sein. Damit geschieht neues Unrecht, das in Zukunft Anlass zu neuer, uferloser Gewalt sein kann.
Eine Recherche der «Schaffhauser AZ» deckt auf, welche Schlüsselrolle eine Briefkastenfirma in Schaffhausen im grössten Korruptionsskandal in der Geschichte Kolumbiens spielte. Dabei geht es um die Vernetzung und Verschachtelung von Firmenteilen des kolumbianischen Staatskonzerns Ecopetrol und dessen subterrane Verbindungen zu Glencore, der im Kanton Zug domizilierten Nummer eins im weltweiten Rohstoffhandel. Der AZ-Bericht ist umso wertvoller und bemerkenswerter, als er aus der Redaktion eines der ganz wenigen Presseorgane kommt, die ihre Unabhängigkeit inmitten einer furiosen Machtkonzentration in der schweizerischen Medienlandschaft bis jetzt hat wahren können.
Mexiko verstaatlich Lithium-Produktion
Im letzten Presse-Panorama war unter anderem der Hype um das Leichtmetall Lithium in Bolivien ein Thema. Ein ergänzender Bericht von «amerika21» betrifft Mexiko: Dort hat Staatspräsident Andrés Manuel López Obrador per Dekret die lokalen Lithium-Vorkommen zum Eigentum der mexikanischen Nation erklärt und dem Staat die exklusive Vollmacht für den Abbau erteilt. Damit wird bei der Nutzung dieser Ressource sozusagen ein vierter Weg definiert: die Nationalisierung. Chile stützt sich beim Abbau von Lithium auf einen landeseigenen privaten Konzern (Soquimich), Argentinien auf die technologische und finanzielle Zusammenarbeit mit der EU und Australien, während Bolivien, das Land mit den grössten Lithiumvorkommen, bei der Ausbeutung des wertvollen Rohstoffs auf China setzt.
In Bolivien sind die frei verfügbaren Devisenreserven in den letzten Jahren ziemlich rasant geschwunden. Die gegenwärtig seriöseste Tageszeitung des Landes, «Página Siete», berichtet ausführlich über diesen Prozess, der die Gefahr einer baldigen Abwertung der gut anderthalb Jahrzehnte lang stabilen Landeswährung heraufbeschwört. Der seither starr fixierte Wechselkurs hat zu einer sukzessiven Überbewertung des Boliviano geführt, was bald auch Teuerungsschübe in der Binnenwirtschaft anstossen könnte. Damit droht die lange Phase wirtschaftlicher Erfolge, mit denen die Regierung in La Paz im lateinamerikanischen Kontext brillieren konnte, in eine heiklere Phase überzugehen. Ein lokaler Ökonom, der als um Objektivität bemühter Experte gelten kann, äussert sich im gleichen Blatt über die zunehmend kritische Lage.
Ergänzungen zu früheren Nachrichten über die dramatischen Lebensumstände von indigenen Völkern in Brasilien finden sich auf dem Online-Portal humanitaire.ws.
Eine Reportage im «Guardian» beleuchtet das Schicksal von Kindern, die während der letzten Militärdiktatur in Argentinien entführt und von Angehörigen der Streit- und Sicherheitskräfte illegal adoptiert worden sind, in seiner ganzen Dimension. Gewisse Parallelen zu den verschleppten Kindern im Ukraine-Krieg sind nicht von der Hand zu weisen.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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