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Olaf Scholz beruhigt die Bankkunden am 24. März in Brüssel: «Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen» © ARD

Banken: Beruhigende Worte von Scholz und Macron sind wenig wert

Urs P. Gasche /  Um das Vertrauen in Grossbanken zu bewahren, müssen Behörden und Banker lügen. Sie würden lieber das labile Geldsystem fixieren.

Nach dem Zwangsverkauf der Credit Suisse an die UBS «herrscht nach wie vor Unsicherheit an den Börsen», meldete gestern Freitag, 24. März, die Schweizer Tagesschau. Die Aktien der Deutschen Bank beispielsweise hätten am Freitag 8,5 Prozent ihres Wertes verloren. Die Regierungschefs würden «versuchen zu beruhigen».

In Brüssel versammelte Regierungschefs sahen sich veranlasst, die Öffentlichkeit am Fernsehen zu beruhigen.

Olaf Scholz erklärte in der ARD-Tagesschau:

«Die Deutsche Bank hat ihr Geschäft grundlegend modernisiert und neu organisiert und ist eine sehr profitable Bank. Es gibt keinen Anlass, sich irgendwelche Gedanken zu machen.»

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zur gleichen Zeit im Fernsehen:

230334 Macron
Emmanuel Macron am 24. März beruhigt: «Das Bankensystem in Europa ist stabil»

«Wir haben aus vergangenen Krisen gelernt. In der Eurozone sind die Banken heute am solidesten, weil sie die Vorgaben für Solvenz und Liquidität, die nach der Finanzkrise von 2008 entstanden, am gewissenhaftesten befolgen.»

Wie hiess es doch zum Kollaps der Credit Suisse: Sie habe überhaupt keine Liquiditätskrise gehabt. Es seien vielmehr die gestiegenen Zinsen gewesen, Probleme von US-Banken und Gerüchte in Social Media, welche die Grossbank ins Schleudern gebracht hätten.

Falls dies zutrifft, wäre dies ein Beleg dafür, auf wie wackeligen Füssen das gesamte Finanzsystem beruht. Denn steigende Zinsen waren längst vorauszusehen. Ebenso, dass etwa in den USA, Italien, Spanien oder Griechenland einzelne Banken ins Taumeln kommen könnten. Und Gerüchte in Social Media sollten abermilliardenschweren Grossbanken wohl nichts anhaben können.

Doch dies ist offensichtlich tatsächlich möglich, weil das Bankensystem ein klappriges Kartenhaus ist, das auf nahezu blindes Vertrauen der Sparer, Anleger und Investoren angewiesen ist. Aus diesem Grund dürfen Regierungen, Behörden – und natürlich auch die Banken selbst – nie reinen Wein einschenken.

Auch zu viele Experten befolgen dieses Gebot und warnen nicht rechtzeitig, wenn sie Schwachstellen und Gefahren analysieren. In der ARD-Tagesschau äusserte sich Hans-Peter Burghof, Finanzökonom an der Universität Hohenheim:

«Ich sehe keinen Grund für eine allgemeine Bankenkrise […] Die Banken werden von den Märkten schlecht behandelt.»

Vielleicht haben Experte Burghof, Macron und Scholz recht. Es wäre jedenfalls zu hoffen.

Aber ihre beruhigenden Worte sind nichts wert, weil sie auch so reden müssten, falls es wirklich ernsthafte Anzeichen einer Bankenkrise gäbe.

Noch vier Tage vor dem mit Notrecht angeordneten Verkauf der Credit Suisse an die UBS, erklärten die Aufsichtsbehörde Finma und die Schweizerische Nationalbank in einem gemeinsamen Communiqué:

«Die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA und die Schweizerische Nationalbank SNB informieren, dass von den Problemen gewisser Bankinstitute in den USA keine direkte Ansteckungsgefahr für den Schweizer Finanzmarkt ausgeht. Die für die Schweizer Finanzinstitute geltenden strengen Kapital- und Liquiditätsanforderungen sorgen für die Stabilität der Institute. Die Credit Suisse erfüllt die an systemrelevante Banken gestellten Anforderungen an Kapital und Liquidität.»

Die Medien sollen solch beruhigende Aussagen von Behörden, Experten und Banker nicht zum Nennwert weiterverbreiten, sondern stets darauf hinweisen, dass keiner dieser Exponenten je die Wahrheit sagen würde, falls am Bankenhimmel düstere Wolken aufziehen. 

Erst nach einem Kollaps können alle Fehler und vergangenen Warnzeichen aufgezählt werden.

Das Vertrauen, das nicht erschüttert werden darf

Das fast blinde Vertrauen in Grossbanken – und damit das Schönreden – muss heute aus folgenden Gründen unzumutbar gross sein:

  • weil Grossbanken nur fünf Prozent ihrer Milliarden-Verpflichtungen mit Eigenkapital gedeckt haben. Es braucht deshalb nur wenige Gross- oder Kleinkunden, die ihre Guthaben in kurzer Zeit zurückziehen.
  • weil Grossbanken mit ihrem eigenen bescheidenen Kapital und mit Kundengeldern hochspekulative Wettgeschäfte betreiben, deren Exzess der computerisierte Millisekunden-Handel darstellt. 
  • weil Grossbanken viele riskante Geschäfte über Schattenbanken abwickeln. Weltweit seien 150 Billionen Dollar in spekulative Geschäfte investiert, die ausserhalb der Bilanzen und ohne jegliche Kontrollen abgewickelt würden, erklärte Finanzjournalistin und Buchautorin Myret Zaki in der Sendung «Infrarouge» des Westschweizer Fernsehens. Die Nominalwerte von sogenannten Derivaten, darunter unzählige sogenannte strukturierte Produkte, würden jetzt bei der UBS und CS zusammen etwa das Vierzigfache des Schweizer Bruttoinlandprodukts erreichen. Das sagte der Zürcher Finanzprofessor Marc Chesney in der gleichen Sendung.


Massnahmen die sich aufdrängen, damit fehlendes Vertrauen nicht so rasch zu einem Crash führt

Professor Chesney hat notwendige Massnahmen bereits vor zehn Jahren auch auf Infosperber aufgezählt. Keine davon wurde seither umgesetzt. Sie drängen sich mehr denn je auf, damit die Märkte wieder normal funktionieren: 

  1. Die Eigenkapitalanforderungen für Banken sollten mindestens 20% bis 30% betragen.
  2. Die Banken sollten im Rahmen eines Trennbankensystems in Investment- und Geschäftsbanken aufgetrennt werden, wie dies durch den Glass-Steagall Act von 1933 während Jahrzehnten der Fall war und womit durchaus eine gewisse ökonomische Stabilität gewährleistet werden konnte.
  3. Die Finanzprodukte sollten, bevor sie auf den Markt kommen, zertifiziert werden, so wie dies bei anderen Produkten der Fall ist, wie zum Beispiel im Industrie-, Nahrungs- und Pharmasektor. Die Finanzüberwachungsbehörden sollten für die Vergabe solcher Zertifikate verantwortlich sein. Auf diese Weise würde die Verbreitung «giftiger» Produkte begrenzt.
  4. Die Verbriefungs-Praktiken sollten eingegrenzt werden.
  5. Die Verbreitung «giftiger» Produkte sollte ein Finanzdelikt darstellen, so wie es in allen anderen Wirtschaftszweigen der Fall ist oder zumindest sein sollte. Es würde sich um eine Straftat handeln, welche die wirtschaftliche und finanzielle Sicherheit verletzt.
  6. Das riesige Volumen von Derivaten erzeugt Systemrisiken für die Wirtschaft. Es sollte kontrolliert und drastisch reduziert werden. So könnte man vermeiden, dass die Absicherung bestimmter Produkte zu Wetten auf den Zusammenbruch von Unternehmen werden. Das ist bei den Kreditderivaten Credit Default Swaps oder CDS der Fall. Die meisten sichern keine Risiken ab, sondern sind reine Wettgeschäfte.
  7. Der Kauf eines CDS sollte das Halten eines darauf basierenden Wertschriftentitels voraussetzen, der gegen Verlust abgesichert werden soll.
  8. Die Aktivitäten von Hedge-Fonds oder von Private-Equity-Fonds sollten kontrolliert werden.
  9. Für die Führungskräfte von Banken sollten die Entschädigungssysteme auf der Grundlage von Bonuszahlungen durch Systeme ersetzt werden, die auch wirkliche Bestrafungen (malus) beinhalten. Heute sind es Aktienoptionen und hohe Abfindungen, die den Anreiz zum Eingehen von Risiken schaffen, die letztlich von anderen Teilen der Gesellschaft getragen werden: von Aktionären, Kunden, Arbeitnehmern, Rentnern und schliesslich von den Steuerzahlenden.
  10. Die Effektivität des Risikomanagements und des Risiko-Controllings der Banken sollte stark verbessert werden. Boni für Risiko-Controller wären viel nützlicher als solche für Händler. 
  11. Eine Mikrosteuer auf allen elektronischen Zahlungen sollte eingeführt werden. Es geht nicht nur darum, dem Staat mehr Geld zukommen zu lassen, sondern darum, die Spekulation und die Volatilität durch Verteuerung einzudämmen. Wettgeschäfte mit High Frequency Trading würden dadurch begrenzt. (Siehe Dossier Mikrosteuer auf alle Geldflüsse.)
  12. Die Grösse der Banken sollte begrenzt werden. Das Problem des «too big to fail» ist gefährlich, weil es falsche Anreize erzeugt. Finanzinstitute gehen Risiken ein, ohne deren Konsequenzen tragen zu müssen, weil der Steuerzahler im Notfall zur Kasse gebeten wird. Es handelt sich dabei um eine Gratisversicherung auf Kosten der allgemeinen Bevölkerung statt auf Kosten der Verantwortlichen.
  13. Rating-Agenturen sollten unter öffentlicher Kontrolle stehen, weil ihre Macht der demokratischen Funktionsweise der Staaten schadet. Die 2008-Finanzkrise hat gezeigt, dass sie gescheitert sind, da sie Zombie-Banken mit guten Noten bewertet haben. Sie wurden von diesen Geschäftsbanken dafür gut entlöhnt. 
  14. Der Inhalt des Unterrichts in Volkswirtschaftslehre und Finance muss gründlich überprüft werden. 

Siehe Infosperber-DOSSIER:

Das Finanzcasino bedroht die Weltwirtschaft


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

3065502515_fcf0d5f0f2

Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

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5 Meinungen

  • am 25.03.2023 um 11:39 Uhr
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    Alles sehr überzeugend, was hier im Anschluss an den geschätzten Kollegen Marc Chesney postuliert wird. Aber der Impuls im Lead — „das labile Geldsystem fixieren“ — lässt eigentlich Ideen zur historisch fälligen Reform des kaputten Geldsystems erwarten. Zur Erinnerung: Auch dazu finden sich bei Infosperber ungeahnt aktuelle Artikel, etwa mein eigener, vor fünf Jahren verfasster Beitrag, in dem ich den Publikumszugang zum gesetzlichen Zahlungsmittel, also zu echtem Geld auf sicheren Transaktionskonten (Vollgeld) statt bloss unsicheren „Guthaben“ an Bankengiralgeld, vorgeschlagen habe: „Mehr Swissness für unser gutes Geld!“
    https://www.infosperber.ch/politik/schweiz/mehr-swissness-fuer-unser-gutes-geld/

  • am 25.03.2023 um 15:33 Uhr
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    Otto Normal Bankkunde hat leider ebenso wenig Ahnung vom Bankgeschäft wie all die Journalisten, die sich in den Medien profilieren wollen. Und in der Schule lernt man dazu nichts!

    Das Geld, das ich zur Bank auf ein Konto bringe, gehört der Bank, nicht mehr mir! Ich gebe der Bank formal einen Kredit, den sie mir normalerweise mit Zins vergütet. Die Bank kann mit diesem Geld arbeiten, wie sie will, z.B. Kredite, Hypotheken usw. vergeben oder eigene Handelsgeschäfte finanzieren.

    Wenn ich mein Vermögen bei einer Bank so anlegen will, dass es weiterhin mir gehört, so müssen das Wertpapiere sein. Die darf die Bank nicht benutzen. Die stehen auch nicht in der Bankbilanz.

    Wenn Kunden wie jetzt Angst um ihr Geld bekommen und es sofort zurück haben wollen, so produzieren sie eine Liquiditätskrise bei der Bank, weil die Bank nicht kurzfristig Kredite kündigen kann. Der Ärger geht also jetzt erst richtig los.
    Reiche Grosskunden übrigens beziehen nicht Geld, sondern kaufen Anlagen!

  • am 25.03.2023 um 15:58 Uhr
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    Die wichtigste Forderung ist Nr. 12, denn dann könnte eine in Schwierigkeiten geratene Bank liquidiert werden, ohne den Steuerzahler zu belasten.
    Ich hätte noch eine Nr. 15 hinzugefügt: In Anstellungsverträgen für Manager die Klausel aufnehmen: Der Unterzeichner haftet mit seinem gesamten Privatvermögen.
    Ich bin sicher, es gäbe nicht mehr so eklatante Fehler im Management.

  • am 25.03.2023 um 16:02 Uhr
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    Bis zum nächsten Finanz-Gau wird es nicht lange dauern, die Deutsche Bank ist next!
    CDS ohne Gegenpositionen sowie Securities Lending müssen verboten sein.
    Das Gesamtvolumen aller derivativen Instrumente jeder Bank muss an das Tier 1-Kapital gekoppelt sein.
    Die Reduktion des Ausübungspreises für Mitarbeiter-Optionen ist Diebstahl und muss geahndet werden.
    Die Mikrosteuer ist einzuführen.
    Boni sind in Aktien mit einer Sperrfrist von 5 Jahren auszuschütten. Ein Freikauf bei einer Kündigung ist nicht möglich, es muss ausgesessen werden!

  • am 25.03.2023 um 21:50 Uhr
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    Wenn nur das viele Geld nicht automatisch auch mit viel zu viel Macht und einer damit verbundenen unmöglichkeit einherginge, am System überhaupt etwas ändern zu können.
    Insgesamt gehört das Grosskapital besser besteuert und reguliert.
    Aber vom abermaligem Wunschdenken wird auch diesmal nichts rüberkommen und etwas ändern.
    Dazu sind alle Beteiligten viel zu sehr miteinander verwachsen und wie in dem Bericht über die Drehtür von der Politik in die Wirtschaft voneinander abhängig.

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