Die Polizei verharmlost – die Fussgänger-Lobby kritisiert
«Fussgängerin von Auto gestreift.» Diesen Titel setzte die Jungfrauzeitung an Heiligabend. Sie berichtete damals über einen Unfall in Thun BE. Dabei stützte sie sich auf eine Medienmitteilung der Kantonspolizei Bern. Deren Titel: «Fussgängerin nach Streifkollision leicht verletzt.»
Es war Fahrerflucht
Infosperber hatte Anfang Jahr die Polizei für ihre Medienmitteilungen über Unfälle mit Fussgängern kritisiert. Die Polizei liess beispielsweise im Fall Thun nämlich offen, wer wen gestreift hat. Nur wer die Medienmitteilung vollständig las, erfuhr, dass sich zwei Frauen anschickten, einen Fussgängerstreifen zu überqueren, dass ein Autofahrer sie anfuhr und dass er anschliessend sogar Fahrerflucht beging.
Der Unfall in Thun war kein Einzelfall. Die Polizei berichtet regelmässig über Unfälle, bei denen ein Auto einen Fussgänger anfährt oder überfährt. Dabei spricht sie selten Klartext.
Fünf Kritikpunkte
Diese Praxis kritisiert nun auch die Lobby-Organisation Fussverkehr Schweiz in einem Positionspapier, das nur in französischer Sprache vorliegt. Die wichtigsten Kritikpunkte:
- Passiv: Laut Fussverkehr Schweiz verschleiern Polizei und Medien mit Passiv-Formulierungen, welche Personen am Unfall beteiligt waren. Den Fussgänger erwähne die Polizei immer. Den Autofahrer dagegen nicht. Höchstens sein Fahrzeug. Beispiel: «Der Fussgänger wurde angefahren und verstarb an den Folgen seiner Verletzungen.» Oder: «Der Fussgänger wurde von einem Auto angefahren…»
- Schicksal: Häufig sprechen Medien und Polizei davon, dass ein Fussgänger «verdeckt» gewesen sei oder «plötzlich aufgetaucht» sei. Laut Fussverkehr Schweiz entsteht so der Eindruck, als hätte der Autofahrer den Unfall nicht vermeiden können.
- Zufall: Das gängige französische Wort für «Unfall» lautet «accident». «Accident» kann allerdings auch «Vorfall» oder «Zufall» bedeuten. Fussverkehr Schweiz empfiehlt daher das Wort «collision». Auch den deutschen Wörtern «Unfall» und «Unglück» wohnt etwas Zufälliges inne.
- Details: Fussverkehr Schweiz stört sich daran, dass nach einem Unfall sofort Fragen auftauchen wie: War die Person auf dem Fussgängerstreifen unterwegs? Starrte sie aufs Handy? Hörte sie Musik? War sie dunkel gekleidet? Wie alt war sie? War es dunkel? So entstehe der Eindruck, der Fussgänger wäre besser nicht zu Fuss unterwegs gewesen. Dagegen frage beim Autofahrer niemand: Hörte er Musik? War er mit dem Navigationssystem beschäftigt? Trieb er Spässe mit den Mitfahrern? Ass er ein Sandwich?
- Prävention: Verkehrssicherheits-Organisationen rufen Fussgänger dazu auf, helle Kleidung zu tragen, am besten mit Reflektoren, den Sichtkontakt zu anderen Verkehrsteilnehmern zu suchen und auch bei Grünlicht vorsichtig zu sein. Alles sinnvoll. Allerdings bürden sie damit ausgerechnet den Fussgängern viele Aufgaben auf, obwohl die Fussgänger ja niemanden in Gefahr bringen. Sie übertragen den Fussgängern die Verantwortung dafür, einen Unfall zu vermeiden, obwohl das in erster Linie die Aufgabe der Autofahrer wäre.
Weiterführende Informationen
- Infosperber: Das verschweigt die Polizei (1)
- Infosperber: Das verdreht die Polizei (2)
- Infosperber: Das vergisst die Polizei (3)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Wirklich ein bemerkenswert egoistisches, kompetenzfreies Positionspapier.
Kurz Zusammengefasst könnte es heissen:
Der Polizei sind die Fussgänger egal.
Die motorisierten Verkehrsteilnehmer müssen im voraus wissen wo und wann ein ‹Dunkelgekleideter› über die Strasse will.
Der Fussgänger darf ohne Rück-sicht, mit dem Handy vor der Nase, auf den Fussgängerstreifen fallen. Sie müssen sich um nichts kümmern, ihre Sicherheit ist Sache der motorisierten Verkehrsteilnehmer.
Das die Polizei mit einer Schuldzuweisung zurückhaltend, ist beweist nur, dass sie ihre Kundschaft kennt.
Mich deucht, die Mann’innen vom Lobby Fussgänger sollten sich mal das Verhalten von Kindergärlern und Erst-/Zweitklässlern zu Gemüte führen. Da könnten sie doch tatsächlich etwas Lernen über Sicherheit im Strassenverkehr.
Diese Kleinen schreiben keine weinerlich, egoistischen Positionspapiere. Sie tun einfach was der Polizist ihnen beigebracht hat.
Vor allem das freundliche Lächeln/Winken.
Es sollte immer erst über Verkehrsunfälle berichtet werden, wenn die Schuldfrage, die Personenschädigungsschwere (Tage Arbeitsunfähigkeit, bleibende Behinderung, Tod) und die Schuld, die entsprechende Haftung feststeht oder abschätzbar ist. Es ist klar, dass die schwächeren Verkehrsteilnehmer im eigenen Interesse ein gewisses Maß an Umsicht einbringen sollten, bis hin zu der Möglichkeit, einen Fußgängerüberweg dann zu begehen, wenn es für alle am wenigsten hinderlich ist, oder versuchen, Blickkontakt mit dem Autofahrer aufzunehmen.
Das Strafmaß für Unfall verursachende Autofahrer sollte sich an der schuldhaften Schädigung orientieren: Führerscheinentzug entsprechend, der Arbeitsunfähigkeit der Geschädigten.
Eine unverschämte Frechheit ist es auch, wenn im Polizeibericht zu lesen ist, dass «sich» ein angefahrener Fussgänger «verletzt/ Verletzungen zugezogen» habe! Meist ist es auch nur ein «Auto», das einen Fussgänger dazu bringt, zu sterben – und nicht etwa ein/e Autolenker/in, der/die ihn totfährt. Und die meisten Medien übernehmen diese erbärmlichen Formulierungen wortwörtlich.
Sehr geehrter Herr Franz Peter Dinter,
leider wurde der Fussgänger schon vor Jahren entmündigt. Jegliche Verantwortung für sein Leben und seine Gesundheit wurde den Autofahrern übertragen.
Im Kindergarten bringt ihnen der Polizist bei wie sie sich am Fussgängerstreifen verhalten sollen.
Anhalte, Blickkontakt, bis zur Mittelinsel gehen. Anhalten, Blickkontakt gehen. Und siehe da – sie werden nicht überfahren.
Aber was tun die ‹Erwachsenen› . . . ich habe Vortritt!! und Zack – TOT
Daraus schliessen wir: «Verhalte dich am Fussgängerstreifen wie ein Kindergärtler und gib dem Autofahrer die Chance, seine Verantwortung wahrzunehmen.»
Ich war 45 Jahre Chauffeur und habe den katastrophalen Wandel vom ‹Handzeichen zum Vortritt› jeden einzelnen Tag mit erlebt.
Nur mit viel Glück habe ich all diese Vortrittsberechtigten unbeschadet überstanden.
Sehr geehrter Herr Wunderle, zu Ihrer Sicht der Schuldfrage will ich mich nicht äussern. Mein Kommentar bezieht sich auf die oft sehr tendenziöse Art der Formulierungen in Polizeiberichten – also auf den Inhalt des Artikels.
Offensichtlich dürfen Fussgänger alles und der Autofahrer ist immer schuldig. So einfach ist es wirklich nicht. Übrigens sind die meisten Autofahrer auch Fussgänger und/oder Radfahrer. Sie kennen beider Seiten einer Verkehrssituation. Sicher sind die Unfallmeldungen in einer eigenartigen Sprache abgefasst. Aber auch wenn der Fussgänger ‹vom Tram erfasst wird›, heisst das nicht, dass er unschuldig ist. Auch Fussgänger bringen Velofahrer zu Fall und verursachen schwere Verletzungen.
Zebrastreifen Chur: Drei Fussgängerinnen auf einen Schlag:
https://www.suedostschweiz.ch/vermischtes/drei-frauen-auf-churer-fussgaengerstreifen-angefahren
Zebrastreifen Chur: WIEDER drei Fussgängerinnen auf einen Schlag:
https://www.suedostschweiz.ch/polizeimeldungen/2017-12-12/drei-fussgaengerinnen-von-auto-zu-boden-geschleudert
Zebrastreifen: Kinder:
https://www.suedostschweiz.ch/zeitung/sechsjahrige-chur-auf-zebrastreifen-angefahren
Autofahrer ÜBERHOLT stehendes Postauto, Postauto steht vor Zebrastreifen:
https://www.suedostschweiz.ch/vermischtes/kind-zizers-auf-einem-zebrastreifen-angefahren
https://www.suedostschweiz.ch/vermischtes/frau-auf-fussgaengerstreifen-angefahren-1
Zitat: (auf dem Fussgängerstreifen) «geriet die 17-jährige Frau auf den Kühler des Autos und schlug mit dem Hinterkopf auf die Frontscheibe. Sie wurde zurück auf die Strasse geschleudert. Sie verletzte sich LEICHT.» Ich frage: Sie prallte mit dem Hinterkopf auf die massive Frontscheibe: Gehirn-HWS-Trauma?
Ich hatte die CH immer als Vorbild für die Verkehrs-Disziblin gesehen. Zumal die Bußgelder und das Verkehrs-Strafrecht auf Erziehung und nicht wie in Deutschland auf Abzocke ausgelegt ist. Daß die CH-Polizei so lasch mit dem Verkehrsrecht umgeht nimmt mich Wunder. Ist das bereits der Einfluß der EU?