Sprachlupe: Wie Maschinen zu reden, geht ans Lebendige
Von Maschinen, die immer «menschlicher» zu schreiben oder sprechen lernen, ist derzeit viel die Rede. Aber auch das Umgekehrte greift um sich: dass sich Menschen immer «maschineller» ausdrücken. Wenn sie einander auf dem Laufenden halten, dann updaten sie sich; wenn sie vergeblich nach einem Wort suchen, dann finden sie es gerade nicht auf ihrer Festplatte; wenn sie über eine Begegnung berichten, war es vielleicht nur eine virtuelle. Traf man sich nicht bloss online, so muss das eigens klargestellt werden: «live» war’s oder «physisch» (wenn nicht gar «physikalisch» als naheliegende Fehlübersetzung von «physical», also: in natura). Führt all das zum Nervenzusammenbruch, dann ist’s ein Crash. Da hilft nur noch ein Reset.
Denken wie ein Computer
Das alles ist nicht nur eine Frage das Vokabulars: Für menschliche, zwischenmenschliche, allzumenschliche Vorgänge lauter Bezeichnungen aus der Maschinenwelt zu verwenden, kann auch Ausdruck einer mechanistischen Betrachtungsweise sein. Der französische Psychoanalytiker Yann Diener hat letztes Jahr im Migros-Magazin (französische Ausgabe) dazu ausgeführt, dass es auch nicht nur um eine Betrachtungsweise gehe, sondern ums Denken selber: «Die Maschinensprache, bekanntlich nur aus 0 und 1 bestehend, lässt uns auf lange Sicht mehr und mehr in binärer Weise denken.» Das begünstige das Vertauschen von Wahrheit und Lüge oder auch die zunehmenden Spaltungen in der Gesellschaft, die «identitären Reflexe», sich einer bestimmten Gruppe zuzuordnen und von anderen Gruppen abzugrenzen.
Diese Reflexe wiederum behindern laut Diener das Miteinander-Reden; er nennt es «parole» und unterscheidet es von der «communication». Letztere sei einfach ein «Informationsaustausch zwischen zwei Systemen», geeignet etwa, um ein Rendezvous zu vereinbaren oder es eben zu «programmieren». Aber bei solcher Kommunikation gebe es «keine Metaphern, keinen Hintersinn, keine Wortspiele». Und so vereinfacht werde dann auch das Zwischenmenschliche betrachtet: Paare klagten etwa über ihre «Mühe, zu kommunizieren» – statt einzusehen, dass sie «nicht mehr miteinander reden können». Diener hat ein Buch geschrieben über «LQI, Notre Langue Quotidienne Informatisée» – in bewusster Anlehnung an Victor Klemperers LTI, die «Lingua Tertii Imperii» der Nazis, die Sprache der Entmenschlichung und der Instrumentalisierung des Humanen als Ressource.
Unmenschlich zweckmässig
Es würde zu weit führen, die von der Informatik beeinflusste Sprache gleich in jenes «Wörterbuch des Unmenschen» zu verbannen, das einst Dolf Sternberger und andere Analytiker des nationalsozialistischen Deutsch zusammengetragen haben. Indes sind solche Überlegungen ein Ansporn, den menschlichen Zwischentönen Sorge zu tragen, die aus sprachlichem Austausch echte Kommunikation machen, also im Wortsinn das Erlangen von Gemeinschaft. Für den blossen Informationsaustausch, ob mit Mensch oder Maschine, ist Ja-Nein-Klarheit nützlich. Aber unter Menschen mit ähnlichem Sprachempfinden verbessern Feinheiten das tiefere Verständnis. Sie können nebenbei dazu dienen, mithörende oder -lesende Computer zu überlisten.
So gibt es allerhand Techniken, sprachliche Datenspuren zu verwischen, um keine unerwünschten Persönlichkeitsprofile zu hinterlassen – hierzulande dürfte da die Verwendung von Mundart nützlich sein, jedenfalls solange Texterkennungsprogramme nicht darauf trainiert sind. Allerdings kann auch das Verwedeln unedlen Zwecken dienen, etwa um auf sozialen Netzwerken den Filtern zu entgehen, die menschenverachtende Ausdrucksweisen blockieren sollen. Die Filter wiederum können auch harmlose Wörter einfangen: So war in der SRF-Sendung «Schnabelweid» zu hören, «Niggi-Näggi» im Niklausvers sei als «N-Wort» bei Facebook in Ungnade gefallen. Wer anderseits einen Computertext als seinen eigenen ausgeben will, tut laut einer bereits kursierenden Schulweisheit gut daran, Tippfehler einzubauen – es sieht dann menschlicher aus.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor ist ein Mensch.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Immer wieder eine Freude, lieber Herr Goldstein, ihre Beiträge hier zu lesen. Bitte weiter so!
Auch ich sage DANKE, Herr Goldstein.