Das weltweit teuerste Medikament – und das Patienten-Sponsoring
Im Februar 2023 liess die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) das bisher teuerste Medikament der Welt zu: Eine Spritze dieser Gentherapie gegen eine seltene Form der Bluterkrankheit (Hämophilie B) kostet angeblich 3,5 Millionen Dollar.
Hersteller dieser Gentherapie namens «Hemgenix» ist «CSL Behring», eine Pharmafirma, die in der Vergangenheit schon mehrere Arzneimittel gegen Blutgerinnungsstörungen auf den Markt gebracht hat. Ihr Name taucht nicht nur im Zusammenhang mit «Hemgenix» auf, sondern auch beim Sponsoring von Selbsthilfegruppen.
Selbsthilfegruppen können Druck machen
Solche Patienteninitiativen sind Anlaufstellen für Kranke – und auch für die Pharmafirmen. Denn die Patienteninitiativen spielen in der Gesundheitspolitik eine Rolle, zum Beispiel, wenn sie Druck auf die Krankenkassen ausüben, damit diese eine bestimmte Behandlung bezahlen. Patienteninitiativen werden überdies zunehmend öfter einbezogen, wenn Fachleute medizinische Studien planen oder Leitlinien für die Behandlung von Krankheiten erstellen.
Eigentlich müsste das Sponsoring von Patient*innen-Initiativen offengelegt werden. Dazu haben sich die Pharmafirmen selbst verpflichtet. Doch «das Problembewusstsein ist immer noch nur sehr selektiv vorhanden», hielt das «Austrian Institute for Health Technology Assessment» (AIHTA) in einem Bericht 2021 fest. Es überprüft seit 2014 immer wieder, welche Pharmafirmen in Österreich der Selbstverpflichtung zur Offenlegung nachkommen. Vergleichbare Erhebungen für die Schweiz oder Deutschland sind weder dem AIHTA noch anderen Fachleuten bekannt.
Pfizer war der grösste Sponsor
Nur gerade 39 von 115 Mitgliedsunternehmen des Verbands der pharmazeutischen Industrie in Österreich gaben demnach für das Jahr 2019 an, ob sie Patienten-Initiativen unterstützten. «CSL Behring» gehörte zu denen, die ihr Sponsoring offenlegen. Mit Zuwendungen von über 100’000 Euro zählten «CSL Behring», «Roche Austria», «Takeda Pharma» und «Bayer» 2019 demnach zu den grosszügigeren Firmen. Der grösste Geldgeber für österreichische Patient*innen-Initiativen war Pfizer mit über 357’000 Euro. Alle genannten Pharmahersteller verkaufen ebenfalls Medikamente gegen Hämophilie. Pfizer beispielsweise entwickelt auch Gentherapien, die in der letzten Studienphase vor der eventuellen Zulassung sind.
Insgesamt 165 Selbsthilfegruppen und Organisationen in Österreich wurden 2019 von den Pharmaunternehmen bedacht. Den grössten Anteil der Zuwendungen von rund 290’000 Euro erhielt die Österreichische Hämophilie Gesellschaft (ÖHG) – ein Plus von 78 Prozent gegenüber 2018. Die ÖHG vertritt Menschen mit angeborenen Blutgerinnungsstörungen wie zum Beispiel Hämophilie B und betont in ihrem Jahresbericht, dass sie «ausdrücklich keine kommerziellen Interessen» verfolge.
Hämophilie-Gesellschaft seit 2015 der Spitzenreiter
Obwohl die Hämophilie sehr selten ist, sind die Betroffenen für die Pharmafirmen offenbar interessant – vielleicht auch deshalb, weil die Behandlungen sehr teuer sind (siehe Kasten unten). Die ÖHG erhielt 13 Prozent aller offengelegten Sponsorenbeiträge an Selbsthilfe-Organisationen im Jahr 2019. Schon seit 2015 ist die Österreichische Hämophilie Gesellschaft die Patienten-Initiative in Österreich, welche jedes Jahr die meisten Sponsorengelder von Pharmafirmen erhält – falls die offengelegten Zahlen das Sponsoring getreu abbilden. Nur im Bereich der Krebserkrankungen flossen 2019 mit rund 354’000 Euro mehr Sponsorengelder an Selbsthilfe-Initiativen.
Wenn Pharmafirmen die Selbsthilfegruppen finanziell unterstützen, «dann tun sie das nicht aus Barmherzigkeit», schrieb die Zeitschrift «Gute Pillen – schlechte Pillen» 2016: «Suggestive Information und sanfter Druck sorgen dafür, dass Patienten und Patientinnen eine neue medikamentöse Therapie ausprobieren möchten – auch wenn sie wesentlich teurer ist als etablierte Standards und kein relevanter Vorteil erwiesen ist. Kranke geben diesen Druck in der Regel an ihre behandelnden Ärzte und Ärztinnen weiter und erwarten eine bestimmte Verordnung.»
Widersprüchliche Angaben
Den Pharmaunternehmen zufolge erhielt die ÖHG im Jahr 2019 über 287’000 Euro. Die Gesellschaft selbst dagegen deklarierte 93’000 Euro weniger, nämlich rund 194’000 Euro – ein Problem bei vielen Patienteninitiativen, wie das AIHTA bemerkt. Patient*innen-Initiativen würden «eher selten» genau angeben, wie viel Geld sie von welchen Sponsoren erhalten.
Aufgrund der fehlenden Transparenz können sich weder die Patientinnen und Patienten noch Aussenstehende ein genaueres Bild machen von den finanziellen Verflechtungen zwischen Pharmafirmen und Selbsthilfe-Organisationen und den daraus entstehenden Interessenkonflikten. Angesichts der Summen, welche die Medikamente gegen Hämophilie kosten (siehe Kasten unten), sind Sponsorenbeiträge von fast 290’000 Euro an die ÖHG für die Sponsoren ein Klacks – aber sie könnten Goodwill und Abhängigkeiten schaffen. Die Fragen von Infosperber beantwortete die ÖHG nicht.1
Im Mai 2023 wird der nächste Bericht zum «Sponsoring von Patient*innen-Initiativen in Österreich» erscheinen. Dann wird sich zeigen, ob sich die Transparenz verbessert hat – und welche Selbsthilfe-Organisationen jetzt finanziell mit welchen Pharmafirmen verbunden sind.
Neue Gentherapien gegen die Bluterkrankheit
Menschen mit Bluterkrankheit fehlen bestimmte Eiweissstoffe, die für die Blutgerinnung nötig sind. Dadurch kommt es immer wieder zu Blutungen oder grossen Blutergüssen bei Bagatellverletzungen. Blutungen in Gelenke führen zu Schmerzen und vorzeitiger Arthrose und reduzieren die Lebensqualität der Betroffenen. Gefürchtet sind Hirnblutungen, die zu schwerer Behinderung oder zum Tod führen können. Es gibt leichte, mittelschwere und schwere Formen der Hämophilie.
Die Bluterkrankheit ist erblich und bricht nur bei Knaben aus, weil sich das veränderte Gen auf dem X-Chromosom befindet, von dem Knaben nur eines haben. Bei Mädchen springt das Gen auf dem anderen X-Chromosom kompensierend ein. Ungefähr einer von 5000 Knaben leidet an Hämophilie A, etwa einer von 20’000 bis 50’000 an Hämophilie B.
Bisher werden die Betroffenen mit den Blutgerinnungsfaktoren behandelt, die ihnen fehlen, oder mit bestimmten Antikörpern, um ihre Blutgerinnung günstig zu beeinflussen. Diese Medikamente sind teuer: Der Antikörper Emicizumab von Roche beispielsweise kostet in der kleinsten Packung rund 2000 Franken pro Anwendung, in der höchsten Dosierung kostet eine Packung über 10’000 Franken. Das Medikament wird alle ein, zwei oder vier Wochen gespritzt. Die Gerinnungsfaktoren, welche sich die Betroffenen meist selbst spritzen (in schweren Fällen dreimal pro Woche), kosten je nach Dosis und Präparat mehrere Hundert bis mehrere Tausend Franken. Diverse Pharmafirmen stellen solche Medikamente her und / oder entwickeln gegenwärtig Gentherapien gegen Hämophilie.
Millionenteure Therapien
Zwei solche Gentherapien sind in der EU bereits zugelassen. Beide führten in den Studien dazu, dass die Behandelten viel weniger Blutungen bekamen und weitestgehend auf die sonst nötigen Medikamente verzichten konnten. Beide Gentherapien benützen genetisch veränderte AA-Viren (Adeno-assoziiertes Virus) als Transporter, um ein Gen in die Leberzellen einzuschleusen. Dieses Gen sorgt dann dafür, dass die Leberzellen den Blutgerinnungsfaktor bilden, der den Betroffenen fehlt.
Die Gentherapie «Hemgenix» wurde im Februar 2023 in der EU zugelassen. Eine Behandlung damit konnte die Hämophilie B bei Studienteilnehmern für die Dauer von 18 Monaten deutlich bessern – möglicherweise wirkt sie aber noch bedeutend länger. Wie lange, ist offen. Die entsprechende, kleine Studie soll 2025 abgeschlossen werden. Offen ist gegenwärtig auch, ob «Hemgenix» zu Langzeitschäden führen wird. Theoretisch könnte das Risiko für Leberkrebs steigen, wenn sich die Virus-DNA ins Erbgut von Leberzellen integriere, berichtete «The Medical Letter».
Bereits im August 2022 liess die EMA die erste Gentherapie gegen Hämophilie A zu. Das Medikament mit dem Namen «Roctavian» funktioniert ähnlich wie «Hemgenix», schleust aber ein Gen für einen anderen Blutgerinnungsfaktor ein. «Roctavian» wird von der Firma BioMarin hergestellt und kostet verschiedenen Medienberichten zufolge rund 1,5 Millionen Euro. BioMarin ist nicht Mitglied des Verbands der pharmazeutischen Industrie Österreichs und wird im Bericht des AIHTA nicht erwähnt. Auf der Website der Österreichischen Hämophilie Gesellschaft wird BioMarin nicht als Sponsor aufgeführt.
Nach der Behandlung sollte ein Jahr lang mit Kondom verhütet werden
Laut einem Artikel in der Fachzeitschrift «Hämostaseologie» liess die Wirkung von «Roctavian» bei Studienteilnehmern im Verlauf von zwei Jahren deutlich nach. Bei 85 Prozent der behandelten Patienten sei es zu einer unerwünschten Immunreaktion der Leber gekommen, die im Mittel 230 Tage lang behandelt werden musste. Ein erheblicher Teil der Betroffenen litt an Nebenwirkungen von dieser Immunbehandlung.
Solche Immunreaktionen der Leber könnten einige Wochen bis Monate nach der Gentherapie auftreten. Sie erfordern eine monatelange, teils hochdosierte Behandlung mit Kortison oder anderen Immunsystem-bremsenden Medikamenten. Da noch mehrere Monate nach der Gentherapie Teile der AA-Viren im Speichel, Urin, Stuhl und Sperma gefunden wurden, müssten die Behandelten für eine sichere Empfängnisverhütung sorgen und sollten im Jahr nach der Behandlung mit Kondomen verhüten, raten die AutorInnen des Artikels.
«Patienten treffen mit ihrer Einwilligung zur Gentherapie […] eine Entscheidung, deren Langfristigkeit und Unwiderruflichkeit mit bisherigen Therapieformen nicht vergleichbar ist», heisst es weiter in dem Fachartikel, den die Suchmaschine Google bei der Suche nach Gentherapie und Hämophilie weit oben präsentiert, dessen Autoren viele Interessenkonflikte mit den entsprechenden Pharmafirmen angeben und den mehrere Patientenvereinigungen vor Veröffentlichung kritisch geprüft haben, darunter auch die ÖHG.
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1 Die Autorin bat die Österreichische Hämophilie-Gesellschaft um Antworten auf diese Fragen:
Gibt es aus ihrer Sicht wichtige Punkte, welche der AIHTA-Bericht unerwähnt lässt?
Wie erklären sie es sich, dass die ÖHG seit 2015 von allen PatientInnen-Organisationen in Österreich die meisten Sponsorengelder erhält?
Sehen sie einen Zusammenhang mit den sehr teuren, neuen Gentherapien?
Gab es seitens der Sponsoren jemals Versuche, Vertreter der ÖHG oder Betroffene direkt oder subtil zu beeinflussen?
Wie kommt die Diskrepanz zwischen der im Bericht des AIHTA erwähnten Fördersumme und der Summe zustande, die sie angegeben haben?
Die ÖHG antwortete bisher nicht.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Hier einige eigene Beobachtungen aus Österreich zum Thema: in öffentlichen Verkehrsmitteln und Haltestellen läuft auf Monitoren der Nachrichtendienst «Infoscreen» – neben Nachrichten, Werbung und Leipziger Allerlei werden hier häufig pharmarelevante Themen gebracht; bspw. wie gefährlich HPV sei und wo man jetzt impfen könne, Selbsthilfegruppen zu Psoriasis, Endometriose, Herzkrankheiten usw. werben hier (auf der letzten Tafel sieht man dann die Phalanx an Pharmafirmen die dahinter stecken). Auch in den Arztpraxen ist ähnliches zu finden. Allen gemeinsam ist immer der Einsatz von «ganz neuen», «hochwirksamen» Medikamenten oder die Inanspruchnahme von Vorsorgeuntersuchungen – kurzum, es geht immer ums Geschäft. In Ö sind viele große Pharmafirmen ansässig, da wundert so etwas nicht.
sehr gut, danke.
Wir finanzieren über Steuern und KK-Prämien ungefragt Pfizer und andere, wir bezahlen ihre Forschung separat a fond perdu, entlasten sie ungefragt vor Haftungsrisiken, die satten Gewinne überlassen wir aber ebenso ungefragt eben diesen.
Heilung Nebensache, lautet treffend ein Buchtitel.